Der einzige Geistliche unter den Präsidentschaftskandidaten stößt an die „roten Linien“ des Regimes und hofft auf die Stimmen der frustrierten Jugend
von Birgit Cerha
„Wir werden alle Schlösser, die das Leben der Menschen in den vergangenen acht Jahren blockiert haben aufbrechen. Ihr teure Studenten und jugendliche Helden, ihr seid es, die die nationale Wirtschaft wieder instand setzen und den Lebensstandard der Menschen verbessern werdet. Wir werden unser Land zurückführen zur Würde der Vergangenheit.“ Je näher der Tag der Präsidentschaftswahlen im Iran, der 14. Juni, heranrückt, desto mehr erwacht unter der seit den manipulierten Wahlen 2009 tief frustrierten Bevölkerung ein wenig Hoffnung. Hassan Rohani, der einzige Geistliche der acht Kandidaten, haucht mit einer Rhetorik, die zunehmend an jene der vor vier Jahren brutal zerschlagenen „Grünen (Reform-)Bewegung“ erinnert, ein wenig Leben in eine lahme Wahlkampagne ein. Könnten diese Wahlen ungeachtet der Disqualifizierung aller prominenten Vertreter gemäßigter oder reformorientierter Strömungen den Iranern doch noch eine Alternative zu den erzkonservativen Getreuen des „Geistlichen Führers“ Khamenei bieten?
Tag um Tag tastet sich Rohani, dieses Geschöpf des islamischen Systems, an die von Khamenei gezogenen „roten Linien“ heran, sticht in die zentralen Probleme, die der Führung des „Gottesstaates seit 2009 so zu schaffen machen: die Folgen der Massenproteste gegen die als manipuliert empfundene Wiederwahl des scheidenden Präsidenten Ahmadinedschad, tiefe Spaltung der herrschenden Elite und der Konflikt mit der internationalen Gemeinschaft über Irans Atomprogramm. Rohani verspricht die Freilassung der Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi und Karrubi, aus zweijährigem Hausarrest und viele der anderen politischen Gefangenen, kritisiert im staatlichen Fernsehen scharf die Lügenpropaganda der staatlichen Medien, zog die Teilnahme am Begräbnis des prominenten dissidenten Großayatollah Jalal al-Din Taheri in Isfahan den Gedächtnisfeierlichkeiten für Revolutionsführer Khomeini an dessen 14. Todestag vor und liess sich dort von der Bevölkerung wie einst Mussawi als neuer Hoffnungsträger feiern. Mutig widerspricht er der herrschenden Elite, die ein „ausländisches Komplott“ für die Proteste von 2009 verantwortlich macht, sie seien vielmehr eine „natürliche“ Reaktion des Volkes gewesen und Irans Führer hätten darauf eingehen müssen. Damit riskiert Rohani von den Khamenei untergebenen „Ultras“ als „Konterrevolutionär“ gebrandmarkt zu werden. Schon wurden einige seiner Wahlkampfmitarbeiter verhaftet und konservative Medien kündigten die nachträgliche Disqualifizierung Rohanis an, weil er gegen das Gesetz verstoßen habe, da er eine Wahlkampfrede ohne vorherige behördliche Genehmigung gehalten hatte) und zudem Geheimnisse um das Atomprogramm preisgegeben hätte. Doch der Sprecher des für die Zulassung von Kandidaten zuständigen Wächterrates, Abbas Ali Kadkhodaei stellte Montag klar, dass es keinen Plan zur Disqualifizierung Rohanis gebe, allerdings, so fügte er warnend hinzu, gestatte das Gesetz den Wahlausschluss bis zum Wahltag.
Nicht nur der Inhalt seiner Wahlkampfreden, auch die intensive Präsenz Rohanis in den sozialen Medien irritiert seine mächtigen Gegner. Auf seiner Twitterseite präsentiert sich der 65-jährige Geistliche als moderner, erfahrener Politiker, der sich für volle Gleichbereichtigung von Frauen einsetzt und für eine klügere Diplomatie mit der internationalen Gemeinschaft. Er beharrt, wie alle Kandidaten auf dem Recht des Irans zu (friedlicher) atomarer Entwicklung, doch dies dürfe nicht aufkosten der Wirtschaft (die nun im zweiten Jahr aufgrund internationaler Sanktionen ein Minuswachstum verzeichnen dürfte), des Lebensstandards und der Chancen für die Jugend gehen. Der Iran müsse seine Beziehungen zu den USA, die seit Ahmadinedschad von Feindschaft gezeichnet seien, allmählich entspannen und schließlich entscheidend verbessern. Und dafür könne nach seiner Überzeugung der Präsident sehr wohl entscheidende Signale zu setzen.
Die Kritik an der Politik der vergangenen Jahren darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rohani keineswegs ein Gegner des Establishments ist. An seiner bedingungslosen Unterstützung des theokratischen Systems hat dieser hochgebildete Theologe, seit Jahrzehnten engster Mitstreiter Ex-Präsident Rafsandschanis, niemals gerüttelt. Durch seine Positionen als Parlamentspräsident, führender Atomunterhändler in der Präsidentschaft Mohammed Khatamis (1997-2001), in der er einer auf zwei Jahre befristeten Suspendierung des Urananreicherung zugestimmt hatte, als langjähriges Mitglied führender Institutionen der „Islamischen Republik und Chef des „Zentrums für Strategische Forschung“ ist er einer breiten Bevölkerung durchaus bekannt, doch mehr als Bürokrat denn als Politiker mit Charisma oder Visionen, und schon gar nicht als reformfreudiger Feuerkopf. Ob es ihm so in den letzten Tagen vor der Wahl tatsächlich gelingen kann, viele der zum Boykott entschlossenen Wähler aus ihrer Lethargie zu reißen, erscheint höchst fraglich. Wenn sich Rafsandschani und Khatami offen hinter ihn stellen und der andere reformorientierte Kandidat, Reza Aref, zu seinen Gunsten auf seine Teilnahme an den Wahlen verzichtet könnte er aber den Einzug in die Stichwahl schaffen, da nach (den allerdings im Iran höchst unzuverlässigen) Meinungsumfragen keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die 50-Prozent-Marke überschreiten dürfte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen