Donnerstag, 25. April 2013

Arabische Sunniten erklären Maliki den Krieg

Droht dem politisch gelähmten Irak eine neue Runde  blutigen Konflikts zwischen den Bevölkerungsgruppen?  – Sie könnte das Land zerreißen
 
von Birgit Cerha
 
„Die Stämme sind bereit zurück zu schlagen und nach Bagdad zu marschieren. Der Krieg wird beginnen und erst mit dem Sturz von Maliki (Iraks schiitischem Premierminister) enden.“ Arabische Sunnitenführer ballen unter Führung von Scheich  Ali Hatem Suleiman, dem „Kronprinzen“ der Dulaim-Konföderation, die Fäuste.  Vor vier Monaten hatten die Dulaimis, der größte Stamm in der an Syrien grenzenden Provinz Anbar,  landesweite friedliche Proteste  der arabischen Sunniten gegen die Regierung Maliki vom Zaum gebrochen. Nun hat sich dieser bisher weitgehend unblutige Konflikt mit einem Schlag dramatisch verschärft. „Die Straße kocht und niemand weiß, was geschehen mag“, erklärt zutiefst irritiert Scheich Anwar Obeidi, Führer des größten Stammes in der Ölregion Kirkuk.
Mehr als hundert Menschen waren Dienstag und Mittwoch bei einem Militäreinsatz gegen ein sunnitisches Oppositionscamp in der nahe von Kirkuk gelegenen Stadt Hawidscha, sowie bei darauffolgenden Zusammenstößen im ganzen Land ums Leben gekommen.  Beide Seiten schieben sich die Schuld an den blutigsten Zusammenstössen seit Beginn der Proteste gegenseitig zu. Und sie drohen, sich als Wendepunkt im friedlichen Kampf der Sunniten um mehr Rechte im neuen Irak zu erweisen. Eindringlich mahnt Obeidi die Regierung, den Sunniten entgegen zu kommen, sonst könnten die Hardliner unter ihnen die Oberhand gewinnen und den Irak in eine erneute Katastrophe mit unabsehbaren Konsequenzen stürzen.
Der Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 hat Iraks sunnitische Minderheit, die traditionell die herrschende Elite des Landes gestellt hatte, dramatisch an den Rand des politischen Geschehens gedrängt. Das Gefühl zu Bürgern zweiter Klasse degradiert worden zu sein, diskriminiert und häufig auch gewaltsam verfolgt und verjagt zu werden, ist unter den Sunniten – zurecht – weit verbreitet. Nicht nur verloren sie ihre Machtpositionen, sie werden bei der Vergabe von Arbeitsplätzen oder Projekten krass benachteiligt. Das Schicksal eines Lehrers, der nach drei Jahrzehnten  Unterricht in einer  Bagdader Schule durch die auf einem Schmierzettel hingefetzte  Notiz „Geh nach Hause“ über das Ende seiner Lehrtätigkeit informiert wurde, ist eines von unzähligen Beispielen, wie irakische Sunniten im vergangenen Jahrzehnt ihre Existenz verloren. In Bagdader Stadtvierteln tauchten jüngst verstärkt Flugzettel, unterzeichnet von der jüngst gegründeten Schiitengruppe „Mukhtar-Armee“ mit der Drohung auf: „Die Stunde Null ist gekommen. Verschwinde mit deiner Familie…. Du bist der Feind.“  Viele Sunniten packen in Panik und flüchten aus diesen gemischten Stadtvierteln in rein sunnitische Enklaven.
Obwohl es nach mehr als zweijährigem Bürgerkrieg 2008 gelungen war, das dramatische Blutvergießen zwischen Sunniten und Schiiten weitgehend zu beenden, hat Maliki, ungeachtet starken US-Drucks, die von der Macht gestürzte Bevölkerungsgruppe nicht in fairer Weise in den politischen Prozess mit einbezogen, ja seit eineinhalb Jahren sogar zunehmend wieder mit allerlei Tricks aus wichtigen Positionen  verdrängt und zugleich seine autokratische Macht ausgebaut. Ermutigt durch die Rebellion der sunnitischen Mehrheit gegen Diktator Bashar es Assad im benachbarten Syrien, haben die irakischen Glaubensbrüder einen Forderungskatalog an Maliki aufgestellt, den sie durch Sit-Ins und andere friedliche Proteste durchzusetzen hofften.  Radikale Gruppen fordern den Sturz des Premiers, gemäßigtere wollen sich mit der Freilassung zahlloser Sunniten begnügen, die in den vergangenen Monaten willkürlich festgenommen worden waren, Politiker ebenso, wie einfache Bürger. Besonderes Anliegen ist die Änderung des 2003 verhängten Verbots der Ausübung öffentlicher Ämter für Mitglieder der gestürzten Baath-Partei, sowie des Anti-Terror-Gesetzes. Sunniten werfen Maliki vor, diese Gesetze zu krasser Diskriminierung ihrer Bevölkerungsgruppe zu missbrauchen. Ein wenig ist Maliki unterdessen den Sunniten entgegengekommen, doch die Hauptforderungen bleiben weiterhin unerfüllt.
Dem Problem zugrunde liegt ein tiefes Misstrauen zwischen Sunniten und Schiiten, das der zweieinhalb-jährige Bürgerkrieg dramatisch verschärft hatte. Dieses Misstrauen wird nun auch durch Gefühle der Stärke gesteigert, die beide Seiten zu einer offenen Konfrontation treiben könnten: Die Schiiten halten sich für die rechtmäßigen Erben der Macht, da sie die Bevölkerungsmehrheit bilden und durch Wahlen an die Regierung kamen. Diese neue Machtelite befürchtet, den Sunniten gehe es in Wahrheit nicht um einen Kampf gegen Diskriminierung, sondern um die Rückkehr an die Spitze des Staates. Die Sunniten hingegen stärken Gefühle, die ganze arabisch-sunnitische Welt hinter sich zu haben. „Diese Überzeugungen sind ein Rezept zur gegenseitigen Zerstörung“, befürchtet der irakische Politologe Ghassan al-Atiyyah.
Doch die Kraft der Sunniten wird geschwächt durch interne Konflikte, insbesondere zwischen jenen Gruppen, die den Versuch einer politischen Kooperation mit Maliki und seinen Schiiten – noch – nicht aufgeben wollen und den radikaleren Kräften, von denen einige gar zu erneut  gemeinsamen Gewaltaktionen mit der wieder erstarkenden Al-Kaida im Irak neigen mögen. Manche Experten malen schon ein Schreckensszenario an die Wände: Indem sich radikale Sunniten in Syrien mit ihren Gesinnungsgenossen in den angrenzenden irakischen Provinzen verbinden, könnte eine offene sunnitische Revolte die Grenzen niederreisen und das Ende des modernen Iraks einleiten.

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