Sonntag, 10. März 2013

„Unsere Feinde in unseren Häusern, Moscheen und Schulen“

Drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen im Iran verschärft sich der Machtkampf dramatisch und mit ihm die Repression

von Birgit Cerha


Der Geheimdienst der „Islamischen Republik“, stets hochaktiv, um „Andersgesinnten“ im Volk Angst einzujagen, hat eine Großaktion gestartet. Hauptziel sind wieder einmal die Medienschaffenden im „Gottesstaat“. Allein In den vergangenen fünf Wochen wurden an die 20 Journalisten festgenommen und eine Reihe liberaler Publikationen verboten. Das Geheimdienst-Ministerium wirft den Verhafteten vor, einem mit der britischen BBC verbundenen Spionagering anzugehören. Iranische Menschenrechtsgruppen befürchten nun, einige der Journalisten könnten, wie bereits in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit geschehen, durch Folter gezwungen werden, Spionage zu „gestehen“. Laut „Committee to Protect Journalists“ (CPJ) saßen Ende Dezember 2012 45 Journalisten in iranischen Gefängnissen. Der Blogger Sattar Behschti, Sohn des 1981 bei einem Bombenanschlag auf Irans Führung ums Leben gekommenen Vorsitzenden des „Wächterrats“, Ayatollah Mohammed Husseini Beheschti, wurde im November zu Tode gefoltert. Viele Journalisten flüchteten in den vergangenen Monaten ins Ausland. Der „Geistliche Führer“ Ali Khamenei hat die Lehre aus den monatelangen Massenprotesten gegen die weithin als manipuliert empfundene Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads im Juni 2009 gezogen. Auch die kleinste Gefahr einer Wiederholung dieser Rebellion soll vermieden werden, wenn die Iraner Mitte Juni einen Nachfolger für Ahmadinedschad wählen, der nicht für eine dritte aufeinanderfolgende Amtszeit kandidieren darf. Die Knebelung oppositioneller Stimmen noch bevor der Wahlkampf überhaupt begonnen hat, zählt zur wichtigsten Strategie Khameneis und seiner Anhänger. Geheimdienstminister Heydar Moslehi gab drohend bekannt, dass seine Mitarbeiter eine Gruppe von 600 „verdächtigen“ Journalisten, 150 davon im Iran, identifiziert und ihnen „einen Schlag versetzt“ hätten. „Wir haben die Pläne der Feinde zerstört.“
Die Angst sitzt tief in höchsten Führungskreisen. Sie überschattet den ungelösten Atomkonflikt, die immer noch nicht gebannte Gefahr eines israelischen Präventivschlags und die schmerzlichen Folgen der internationalen Sanktionen. Welch hohen Stellenwert sie besitzt, zeigte Khamenei jüngst, als er bei einem Besuch in der „Heiligen Stadt“ Qom mahnte, dass interne und externe Feinde versuchen könnten, die Wahlen zu stören und politische Aktivisten und Journalisten warnte, „nicht ständig nach freien Wahlen zu rufen. Es ist offensichtlich, dass die Wahlen frei sein sollen.“ Zugleich befahl Khamenei den rivalisierenden politischen Fraktionen, ihre Konflikte nicht in der Öffentlichkeit auszutragen. Hatten Irans höchste Militärkreise 2009 die USA und Israel für die Massenproteste der „Grünen (Reform-)Bewegung“ verantwortlich gemacht, so sieht der Chef der Streitkräfte, General Hassan Firouzabadi, die mögliche Quelle der „Aufwiegelung“ heute im Inneren: „Die meisten unserer Feinde sind in unseren Häusern, Moscheen, Seminaren und Schulen“ zu finden und dort müssten diese Gruppen radikal zerschlagen werden. 

Die Wahlhysterie trifft den Iran in einer höchst kritischen Phase interner Ungewissheiten, einer schweren Wirtschaftskrise aufgrund der Sanktionen und gravierenden Mismanagements, schmerzvollem Rückgang der Ölexporterträge, rasant gestiegener Inflation, Schrumpfung der industriellen Produktion und einer drohenden Bankenkrise. Die Lebensverhältnisse haben sich seit 2009 derart verschlechtert, dass sich die allgemeine Unzufriedenheit jederzeit entladen könnte. Anfang März kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Hunderten Bauern in den Sicherheitskräften und Hunderten Bauern in der Provinz Isfahan, die gegen die Entscheidung der Regierung protestierten, Wasser aus ihren landwirtschaftlichen Gebieten abzuleiten. Es war ein Alarmsignal. Auch in den Großstädten hat sich die Kluft zwischen der mit der „Grünen Bewegung“ sympathisierenden Mittelschicht, sowie vielen Bazar-Händlern, lange wichtigste Stütze des Regimes einerseits und der herrschenden Elite nur noch mehr vertieft, eine Entwicklung, die das Regime zu noch schärferen Repressionen zwingen dürfte. Die Reformbewegung ist an den Rand gedrängt, ihre Führer, Mussawi und Karrubi sind seit zwei Jahren unter Hausarrest. Dass ein Vertreter dieser Bewegung vom „Wächterrat“ als Präsidentschaftskandidat akzeptiert wird, erscheint derzeit fast ausgeschlossen.
Die Herausforderung Khameneis, der fest entschlossen ist, die Wahl eines ihm völlig gefügigen Präsidenten zu erzwingen, kommt aber von ganz anderer Seite. Ahmadinedschad, Khameneis „politisches Kind“, für dessen Wiederwahl Khamenei 2009 den brutalsten Einsatz seiner Sicherheitskräfte riskiert hatte, kämpft um sein politisches Erbe. Er will einem seiner Vertrauten die Nachfolge sichern, am liebsten seinen engsten Berater und Schwiegervater seines Sohnes, Esfandiar Mashaei. Er gilt als ein Mann mit außergewöhnlichem politischem Geschick, der, so meinen manche Iraner, Ahmadinedschad Einfluß auszuüben vermag, wie einst Grigorij Rasputin über den russischen Zaren. Die Hardliner im „Gottesstaat“ hassen ihn wegen seiner versöhnlichen Haltung gegenüber Israel und so manchen liberalen Ideen. 

In Teheran spricht man schon vom Putin-Modell. Wie in Russland kann ein Präsident mit der Unterbrechung einer Amtsperiode ein drittes Mal gewählt werden. Maschaei könnte wie Medwedew für Putin, dem scheidenden Präsidenten vier Jahre lang den Platz warm halten. Was Khamenei aber besonders irritiert, ist die Tatsache, dass Ahmadinedschad und seine Mitstreiter die Macht der Geistlichen, also vor allem auch seine, in der Islamischen Republik drastisch beschneiden wollen. Weit entfernt von Dankbarkeit hat Ahmadinedschad in den vergangenen vier Jahren wiederholt dem „Führer“ in einer Form getrotzt, wie kein Präsident es vor ihm gewagt hatte. Zuletzt provozierte er im Parlament einen offenen Streit mit dem engen Vertrauten Khameneis, Parlamentspräsidenten Ali Laridschani, dessen mächtige Familie er offen der Korruption bezichtigte und das zu einem Zeitpunkt, da immer größere Bevölkerungskreise wegen der Sanktionen Not leiden. Das Image Laridschanis, bisher aussichtsreicher Anwärter für die Präsidentschaft, ist damit schwer angeschlagen. Sein mächtiger Bruder, Justizminister Sadegh Laridschani, rüstet sich zum Gegenschlag gegen Ahmadinedschads Anhänger, von denen einige bereits festgenommen wurden. 

Der Präsident aber gibt den Kampf um die Macht seiner engsten Mitstreiter nicht auf, vor allem auch, um sich selbst damit weiterhin politischen Einfluss zu sichern. Zwar hat er viele mächtige Institutionen – allen voran den „Geistlichen Führer“, das Parlament, den „Wächterrat“ und vor allem die im Rivalitätskampf entscheidenden „Revolutionsgarden“, einst seine wichtigste Stütze“, gegen sich. Doch eine Waffe hat er sich weiterhin gesichert. Iraner nennen sie „begam begam“ (grob übersetzt: „ich werde sprechen, ich werde sprechen“). Das von ihm immer noch kontrollierte Innenministerium sammelte mehr als tausend geheime Akten, die nach und nach gegen politische Gegner eingesetzt werden könnten. Zudem weiß Ahmadinedschad einen großen Teil der ländlichen und armen städtischen Bevölkerung hinter sich, die er, wenn nötig, auch zu Protesten mobilisieren könnte. Diesmal, so ein Iranexperte, könnten Unruhen nicht von der städtischen Mittelschicht, sondern von den Massen der Armen und Verarmten ausgehen.

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