Freitag, 15. März 2013

Irak: Die Illusion von Demokratie und Stabilität

Ein Jahrzehnt nach der US-Invasion zum Sturz Saddam Husseins steckt das Land in einer tiefen, nicht endenden Krise , bleiben die Iraker Gefangene der Angst
 
von Birgit Cerha
 
Zwei Stunden und 15 Minuten nach Ablauf eines Ultimatums an Iraks Diktator Saddam Hussein verkündete US-Präsident George Bush um 04.14 Uhr (mitteleuropäischer Zeit) des 20. März 2003 über das Fernsehen die Eröffnung der „ersten Phase zur Entwaffnung des Iraks“. 50 Stunden zuvor hatte Bush den irakischen Erzfeind ultimativ aufgefordert, mit seinen zwei Söhnen das Land zu verlassen. „All die Jahrzehnte der Täuschung und der Grausamkeiten (gegen das eigene Volk und die Region) sind nun zu einem Ende gekommen“, verhieß der sich so sendungsbewusst präsentierende US-Führer den Irakern und der Welt. Und er schwärmte von einem „Leuchtfeuer der Demokratie und Freiheit“, das vom Zweistromland aus die ganze Region beglücken werde.
20 Tage später hatten amerikanische und britische Truppen das ganze Land besetzt und  den Despoten vom „Thron“  gestürzt. Ein Jahrzehnt danach aber  hält die internationale Kritik an diesem Krieg und an dessen führenden Proponenten – Bush wie dem britischen Premier Tony Blair – immer noch an. Denn beide hatten mit intensiver Hilfe eines entscheidenden Teils der amerikanischen, wie  internationaler Medien  einen Waffengang mit den modernsten Tötungsmaschinerie gegen einen militärisch weit unterlegenen Staat auf der Basis völlig  falscher Voraussetzungen gewagt, einen Krieg, der Zehntausende Opfer und unendliches Leid zur Folge hatte.
Die primären Kriegsgründe – Zerstörung von Massenvernichtungswaffen, Zerschlagung  einer zentralen Basis des Al-Kaida-Netzwerkes – erwiesen sich rasch als unhaltbar. Weder gab es die gefürchteten Waffenarsenalte, noch die geringste Kooperation Saddams mit Al-Kaida, auf die allerdings nach dem Sturz des Diktators der Irak nach den Worten des US-Generals Ricardo Sanchez als „Terror-Magnet“ wirkte, als hochwillkommenes Aktionsfeld  bis heute dient. Nur Bushs „Freiheits-Agenda“ blieb als deklariertes Kriegsziel übrig.
Im Dezember 2011 verließen die letzten US-Soldaten das Land, doch das Blutvergießen hält an, wiewohl in etwas geringerem Maße. Der Ausgang einer anhaltend gravierenden internen Krise  bleibt höchst ungewiss.
Kommentare der Iraker zu ihrem tragischen Schicksal variieren. Auch ob der unerfüllten Versprechen bitter Enttäuschte gestehen ein, dass sie sich niemals allein von diesem brutalen Despoten hätten befreien können und sie würdigen die  Möglichkeit, heute weitgehend offen ihre Meinung äußern zu können. Im autonomen, wirtschaftlich boomenden  kurdischen Norden, aber auch in dem überwiegend schiitischen Süd-Irak  lässt sich noch ein minimales Maß an Zufriedenheit finden. Doch im Zentralirak mit der Hauptstadt Bagdad und den von der arabisch-sunnitischen Minderheit bewohnten Regionen reagieren viele verzweifelt auf die Frage, ob es ihnen heute besser geht als unter Saddam. Eine Irakerin, die unter dem Pseudonym „Riverbend“ einen Blog führte, drückte ihre und die Stimmung vieler im Februar 2007 in starken Worten aus: „Es ist schlimmer. Es ist vorbei. Ihr (die USA) habt verloren. Ihr habt alle gesunden, echten Iraker verloren, als die Fotos von Abu Ghraib (einem von US-Truppen geführten Gefängnis, in dem schwerst demütigende Foltermethoden angewandt wurden) veröffentlicht wurden. Ihr habt verloren, als ihr Mörderer, Plünderer, Gangster und Milizenchefs an die Macht brachtet….“ Im September 2011 bestätigte eine  Umfrage des renommierten Instituts Zogby, dass 42 Prozent der Iraker ihre Situation als schlechter empfanden als vor der Invasion und nur 30 Prozent als besser.
Doch die Schuld an der tragischen Misere liegt keineswegs allein bei den USA. Der irakische Zeitungskolumnist Samand al-Taie analysierte die Gründe allegorisch gegenüber dem britischen „Economist“: „ Sie (die von den USA geführte Allianz) haben den Deckel des Grabes in dem wir lebten, gehoben. Es ist nicht ihre Schuld, dass wir nicht ganz herausgeklettert sind. Die Amerikaner haben furchtbare Fehler gemacht, aber wir auch.“
Die fatalen Anfangsfehler der US-Besatzungsmacht wurden nicht korrigiert und haben bis heute gravierende Folgen. Bush und seine Berater hatten keinen Nachkriegs-Plan, keine Strategie zum Aufbau eines demokratischen Staates und sie entwickelten sie auch im Laufe ihrer Besatzungszeit nicht. So wurde nach dem „Sieg“ abrupt und spontan der gesamte – von Sunniten dominierte - Apparat des alten Regimes kriminalisiert, die gesamte administrative Infrastruktur des Staates aufgelöst, das politische System nicht auf eine ethnisch-konfessionelle Grundlage gestellt, die  der Bevölkerungsstruktur des Iraks entsprach und die Basis für einen demokratischen Staat geschaffen hätte. Man holte fast ausschließlich Politiker aus jahrelangem Exil, denen die Verbindung zur Heimat und deren Menschen fehlte.
Die Verzweiflung der von der Macht gejagten, dramatisch marginalisierten und ihrer Lebensbasis beraubten arabischen Sunniten machten sich nicht nur die Überreste des Baath-Regimes“, sondern auch Islamisten der Al-Kaida zunutze, um den Irak in einen grausigen Bürgerkrieg zu stürzen, der sich gegen die neuen, überwiegend schiitischen Herrscher und deren amerikanische Schutzmacht richtete,  in erschreckender Zahl vor allem die Zivilbevölkerung tödlich traf. Bis heute bleiben die Iraker Gefangene der Angst.
Die Grundprobleme des Staates bleiben ungelöst, weil die Volksvertreter im freigewählten Parlament gegenseitigen Rivalitäten, persönlichem Machtstreben und hemmungsloser Bereicherung  absoluten Vorrang gaben und bis heute geben vor dem Aufbau einer neuen Staatsstruktur. Hunderte, dringend notwendige Gesetze wurden nicht verabschiedet, der politische Prozess ist gelähmt. Die Verfassung, die die arabischen Sunniten krass benachteiligt, wurde nicht revidiert, keine Antwort auf die umstrittene Frage der Staatsstruktur – Föderalismus oder Zentralismus – gefunden, ebenso keine Regelung zur Verteilung der Ressourcen, insbesondere des Öls, die Frage der von den in Autonomie lebenden  Kurden, wie von Bagdad beanspruchten „umstrittenen Gebiete“, darunter die Ölstadt Kirkuk,  bleibt ungelöst und mögliche Quelle neuer Gewalt, ebenso die institutionelle Balance der Gewaltenteilung, die Kompetenzen des Premiers, die Funktionsweise des Parlaments, die Struktur der Polizei und der Ordnungskräfte. Seit Jahren stockt der Übergangsprozess zu einem funktionierenden Staat.
Zugleich hat der Krieg  ein Regierungssystem hervorgebracht, das sich zunehmend weniger von jenem Saddam Husseins unterscheidet, ihm an Korruption und schockierender Verletzung der Menschenrechte zunehmend weniger nachsteht. Das allgemeine Chaos begünstigt Terror und allerlei kriminelle Aktivitäten, denen die Zivilbevölkerung hilflos ausgeliefert ist.  Die neue politische Klasse  hat sich an diese Missstände angepasst, statt gegen sie anzukämpfen.
Der Krieg in Syrien hat Iraks arabische Sunniten zum erneuten – derzeit noch gewaltlosen – Widerstand in Form von seit Monaten anhaltenden Massenprotesten gegen gravierende Repression und Diskriminierung ermutigt. Sie fanden nun aber auch Unterstützung bei Schiiten – allen voran der Bewegung des einflußreichen Geistlichen und wichtigen Koalitionspartner Premier Malikis, Moktada Sadr. Denn auch er und viele Schiiten erzürnt zunehmend die korrupte und äußerst repressive Herrschaft des sich zum Diktator mausernden Schützlings der USA.
Zehn Jahre nach der Befreiung des Iraks stehen die Zeichen im Zweistromland erneut alarmierend auf Krieg.

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