Ein Jahrzehnt nach der US-Invasion zum Sturz Saddam Husseins
steckt das Land in einer tiefen, nicht endenden Krise , bleiben die Iraker
Gefangene der Angst
von Birgit Cerha
Zwei Stunden und 15 Minuten nach Ablauf eines Ultimatums an
Iraks Diktator Saddam Hussein verkündete US-Präsident George Bush um 04.14 Uhr (mitteleuropäischer
Zeit) des 20. März 2003 über das Fernsehen die Eröffnung der „ersten Phase zur
Entwaffnung des Iraks“. 50 Stunden zuvor hatte Bush den irakischen Erzfeind
ultimativ aufgefordert, mit seinen zwei Söhnen das Land zu verlassen. „All die
Jahrzehnte der Täuschung und der Grausamkeiten (gegen das eigene Volk und die
Region) sind nun zu einem Ende gekommen“, verhieß der sich so sendungsbewusst
präsentierende US-Führer den Irakern und der Welt. Und er schwärmte von einem „Leuchtfeuer
der Demokratie und Freiheit“, das vom Zweistromland aus die ganze Region
beglücken werde.
20 Tage später hatten amerikanische und britische Truppen
das ganze Land besetzt und den Despoten
vom „Thron“ gestürzt. Ein Jahrzehnt
danach aber hält die internationale
Kritik an diesem Krieg und an dessen führenden Proponenten – Bush wie dem
britischen Premier Tony Blair – immer noch an. Denn beide hatten mit intensiver
Hilfe eines entscheidenden Teils der amerikanischen, wie internationaler Medien einen Waffengang mit den modernsten
Tötungsmaschinerie gegen einen militärisch weit unterlegenen Staat auf der
Basis völlig falscher Voraussetzungen gewagt,
einen Krieg, der Zehntausende Opfer und unendliches Leid zur Folge hatte.
Die primären Kriegsgründe – Zerstörung von
Massenvernichtungswaffen, Zerschlagung einer zentralen Basis des Al-Kaida-Netzwerkes –
erwiesen sich rasch als unhaltbar. Weder gab es die gefürchteten
Waffenarsenalte, noch die geringste Kooperation Saddams mit Al-Kaida, auf die
allerdings nach dem Sturz des Diktators der Irak nach den Worten des
US-Generals Ricardo Sanchez als „Terror-Magnet“ wirkte, als hochwillkommenes
Aktionsfeld bis heute dient. Nur Bushs „Freiheits-Agenda“
blieb als deklariertes Kriegsziel übrig.
Im Dezember 2011 verließen die letzten US-Soldaten das Land,
doch das Blutvergießen hält an, wiewohl in etwas geringerem Maße. Der Ausgang
einer anhaltend gravierenden internen Krise
bleibt höchst ungewiss.
Kommentare der Iraker zu ihrem tragischen Schicksal
variieren. Auch ob der unerfüllten Versprechen bitter Enttäuschte gestehen ein,
dass sie sich niemals allein von diesem brutalen Despoten hätten befreien
können und sie würdigen die Möglichkeit,
heute weitgehend offen ihre Meinung äußern zu können. Im autonomen,
wirtschaftlich boomenden kurdischen
Norden, aber auch in dem überwiegend schiitischen Süd-Irak lässt sich noch ein minimales Maß an
Zufriedenheit finden. Doch im Zentralirak mit der Hauptstadt Bagdad und den von
der arabisch-sunnitischen Minderheit bewohnten Regionen reagieren viele
verzweifelt auf die Frage, ob es ihnen heute besser geht als unter Saddam. Eine
Irakerin, die unter dem Pseudonym „Riverbend“ einen Blog führte, drückte ihre
und die Stimmung vieler im Februar 2007 in starken Worten aus: „Es ist
schlimmer. Es ist vorbei. Ihr (die USA) habt verloren. Ihr habt alle gesunden,
echten Iraker verloren, als die Fotos von Abu Ghraib (einem von US-Truppen
geführten Gefängnis, in dem schwerst demütigende Foltermethoden angewandt
wurden) veröffentlicht wurden. Ihr habt verloren, als ihr Mörderer, Plünderer,
Gangster und Milizenchefs an die Macht brachtet….“ Im September 2011 bestätigte
eine Umfrage des renommierten Instituts
Zogby, dass 42 Prozent der Iraker ihre Situation als schlechter empfanden als
vor der Invasion und nur 30 Prozent als besser.
Doch die Schuld an der tragischen Misere liegt keineswegs
allein bei den USA. Der irakische Zeitungskolumnist Samand al-Taie analysierte
die Gründe allegorisch gegenüber dem britischen „Economist“: „ Sie (die von den
USA geführte Allianz) haben den Deckel des Grabes in dem wir lebten, gehoben. Es
ist nicht ihre Schuld, dass wir nicht ganz herausgeklettert sind. Die
Amerikaner haben furchtbare Fehler gemacht, aber wir auch.“
Die fatalen Anfangsfehler der US-Besatzungsmacht wurden
nicht korrigiert und haben bis heute gravierende Folgen. Bush und seine Berater
hatten keinen Nachkriegs-Plan, keine Strategie zum Aufbau eines demokratischen
Staates und sie entwickelten sie auch im Laufe ihrer Besatzungszeit nicht. So
wurde nach dem „Sieg“ abrupt und spontan der gesamte – von Sunniten dominierte
- Apparat des alten Regimes kriminalisiert, die gesamte administrative
Infrastruktur des Staates aufgelöst, das politische System nicht auf eine
ethnisch-konfessionelle Grundlage gestellt, die
der Bevölkerungsstruktur des Iraks entsprach und die Basis für einen
demokratischen Staat geschaffen hätte. Man holte fast ausschließlich Politiker
aus jahrelangem Exil, denen die Verbindung zur Heimat und deren Menschen
fehlte.
Die Verzweiflung der von der Macht gejagten, dramatisch marginalisierten
und ihrer Lebensbasis beraubten arabischen Sunniten machten sich nicht nur die
Überreste des Baath-Regimes“, sondern auch Islamisten der Al-Kaida zunutze, um
den Irak in einen grausigen Bürgerkrieg zu stürzen, der sich gegen die neuen,
überwiegend schiitischen Herrscher und deren amerikanische Schutzmacht
richtete, in erschreckender Zahl vor
allem die Zivilbevölkerung tödlich traf. Bis heute bleiben die Iraker Gefangene
der Angst.
Die Grundprobleme des Staates bleiben ungelöst, weil die
Volksvertreter im freigewählten Parlament gegenseitigen Rivalitäten,
persönlichem Machtstreben und hemmungsloser Bereicherung absoluten Vorrang gaben und bis heute geben
vor dem Aufbau einer neuen Staatsstruktur. Hunderte, dringend notwendige
Gesetze wurden nicht verabschiedet, der politische Prozess ist gelähmt. Die
Verfassung, die die arabischen Sunniten krass benachteiligt, wurde nicht
revidiert, keine Antwort auf die umstrittene Frage der Staatsstruktur –
Föderalismus oder Zentralismus – gefunden, ebenso keine Regelung zur Verteilung
der Ressourcen, insbesondere des Öls, die Frage der von den in Autonomie
lebenden Kurden, wie von Bagdad
beanspruchten „umstrittenen Gebiete“, darunter die Ölstadt Kirkuk, bleibt ungelöst und mögliche Quelle neuer
Gewalt, ebenso die institutionelle Balance der Gewaltenteilung, die Kompetenzen
des Premiers, die Funktionsweise des Parlaments, die Struktur der Polizei und
der Ordnungskräfte. Seit Jahren stockt der Übergangsprozess zu einem
funktionierenden Staat.
Zugleich hat der Krieg
ein Regierungssystem hervorgebracht, das sich zunehmend weniger von jenem
Saddam Husseins unterscheidet, ihm an Korruption und schockierender Verletzung
der Menschenrechte zunehmend weniger nachsteht. Das allgemeine Chaos begünstigt
Terror und allerlei kriminelle Aktivitäten, denen die Zivilbevölkerung hilflos
ausgeliefert ist. Die neue politische
Klasse hat sich an diese Missstände
angepasst, statt gegen sie anzukämpfen.
Der Krieg in Syrien hat Iraks arabische Sunniten zum
erneuten – derzeit noch gewaltlosen – Widerstand in Form von seit Monaten
anhaltenden Massenprotesten gegen gravierende Repression und Diskriminierung
ermutigt. Sie fanden nun aber auch Unterstützung bei Schiiten – allen voran der
Bewegung des einflußreichen Geistlichen und wichtigen Koalitionspartner Premier
Malikis, Moktada Sadr. Denn auch er und viele Schiiten erzürnt zunehmend die
korrupte und äußerst repressive Herrschaft des sich zum Diktator mausernden
Schützlings der USA.
Zehn Jahre nach der Befreiung des Iraks stehen die Zeichen
im Zweistromland erneut alarmierend auf Krieg.
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