Sonntag, 17. März 2013

Irak: Ein Land im wirtschaftlichen und sozialen Ruin

Washingtons 60-Mrd.-Dollar-Wiederaufbauprogramm scheiterte kläglich – Exzessive  Korruptiion der neuen Führungsschichte blockiert jeden Fortschritt

 
 
Die von den USA  angeführte Militärkampagne zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein begann am 20. März 2003. Sie traf ein Land, dessen Ökonomie bereits durch einen 13-jährigen in seiner Intensität und Schärfe einzigartigen internationalen Wirtschaftskrieg zerstört worden war. Die UNO-Sanktionen, 1990 als Folge der irakischen Invasion Kuwaits verhängt,  kamen  einer ökonomischen Belagerung dieses Landes gleich, das einst – ungeachtet des saddam’schen Barbarismus - zu den höchstentwickelten der Region zählte, im Gesundheitssektor etwa genauso wie im Bildungsbereich. Sie ermöglichten dem Diktator hemmungslose Bereicherung, und stürzten Millionen unschuldige Iraker in bittere Armut Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren waren laut einer Studie des UN-Kinderhilfswerkes Unicef von 1998 chronisch unterernährt und führten zum Tod von etwa 500.000 Neugeborenen und Kleinkindern. Eine ganze Generation von Irakern verlor ihre Zukunft. Die internationale Gemeinschaft, angeführt von den USA und Großbritannien wurde bis heute für diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht zur Rechenschaft gezogen.
 
Eine Darstellung der Situation des Iraks zehn Jahre nach der US-Invasion 2003 muss die Folgen des 13-jährigen Embargos, wohl aber auch der zwei von Saddam angezettelten Kriege (gegen den Iran von 1980 bis 1988 und jenen gegen Kuwait) voll miteinbeziehen.  Als amerikanische Bomben und Raketen auf Bagdad und andere irakische Städte niederprasselten, trafen sie keineswegs eine perfekt funktionierende moderne Infrastruktur. Umso rascher ließen sich öffentliche Versorgungsanlagen,  (Strom, Wasser, Abwässer etc) ausschalten, ebenso wie wichtige Verkehrsadern. Terror und Sabotage des irakischen Widerstandes und der Extremisten des Al-Kaida-Netzwerkes blockierten Wiederaufbauversuche, insbesondere im zentralen Ölbereich. Traf aber auch kulturhistorische Schätze, wie etwa das zentrale Heiligtum der Schiiten, die  al-Askari-Moschee in Samarra, ganz zu schweigen von einer höchst mysteriösen Kampagne zur Eliminierung der irakischen Intelligenz. Nach Feststellungen  des angesehenen ägyptischen „Al-Ahram Zentrums für politische und strategische Studien“ wurden zwischen 2003 und -04 310 irakische Wissenschaftler ermordet, nach anderen Quellen  in den zwei darauf folgenden Jahren weitere 340 Intellektuelle, laut UNESCO stand das irakische Universitätssystem am Rande des Zusammenbruchs, nachdem etwa 20.000 Intellektuelle, darunter 6.700 Universitätsprofessoren  in Todesangst geflüchtet waren. Nur ein Bruchteil ist seither zurückgekehrt. In Basra wurde 2008 etwa der einzige praktizierende Neurochirurg ermordet ind die Leiche in auf die Straße der Stadt geworfen.
Die amerikanischen und britischen Besatzer konnten mit ihren insgesamt fast 200.000 Bewaffneten solche Verbrechen nicht stoppen. Das irakische Bildungs- wie auch das Gesundheitssystem hat sich bis heute von diesem Aderlass und all den Zerstörungen nicht erholt.
 
Wiewohl die USA  die zweitgrößte Wiederaufbauaktion ihrer Geschichte starteten  bleibt der Irak kriegszerstört. In einem abschließenden Bericht stellt der „Special Inspector General für den Wiederaufbau im Irak“, Stuart Bowen unumwunden das Scheitern dieses gigantischen Projekt fest. Von den 60 Mrd. Dollar gingen gigantische acht Miliarden verloren. Beispiel unzähliger fehlgeschlagener Projekte erschüttern. So begannen die USA in der von blutigen Kämpfen zwischen arabischen Sunniten und Schiiten besonders betroffenen Provinz Diyala mit dem Bau eines Gefängnisses für 3.600 Insassen, gaben das Projekt drei Jahre später wegen eskalierender Gewalt auf. Der unfertige Bau kostete 40 Mio.Dollar und das irakische Justizministerium denkt nicht daran, ihn fertig zu stellen.  Die USA hatten eine zentrale Brücke über den Tigris, über die 15 Öl- und Gaspipelines in den Nord-Irak geführt hatten, 2003 zerstört und beabsichtigten, sie innerhalb von zwei Monaten für fünf Millionen Dollar wieder herzustellen.  Doch dann beschlossen sie, die Pipelines – mit den fünffachen Kosten - lieber unter dem Tigris durchzuziehen, berücksichtigten dabei aber nicht Studien, die darauf hinwiesen, dass der Grund für ein solches Projekt zu sandig sei. Die Pipelines versanken im Sand und mit ihnen Dutzende Millionen von Dollar. Schließlich wurde drei Jahre später die Reparatur der alten Brücke für 100 Millionen Dollar vollendet.
Experten machen schlechte Planung, zahllose Fehlkalkulationen, Desorganisation in Washington, aber auch unzureichende Konsultation mit den Irakern für all die gigantische Verschwendung verantwortlich. Iraks amtierender Innenminister Adnan al Asadi etwa klagt, dass Washington 200 Mio. Dollar für ein Ein-Milliarden-Dollar Programm zum Aufbau der Polizei verschwendet hätte, das weit umfangreicher gewesen sei, als die irakische Regierung wollte. 
 
Die Ergebnisse dieses gigantischen finanziellen Einsatzes sind erschütternd.  Laut Bowen hatte ihm Asadi zutiefst frustriert erklärt: „Sie können mit dem Helikopter über Bagdad und andere Städte fliegen, aber sie werden nicht ein einziges Projekt finden, das von den USA gebaut und vollendet wurde“ – und das, obwohl Washington fast ein Jahrzehnt lang 15 Mio.Dollar im Tag für diesen Zweck ausgegeben hat. Große Teile der Infrastruktur bleiben immer noch beschädigt. Im Zentralirak, insbesondere in Bagdad  ist die Stromversorgung nur sechs bis sieben Stunden hintereinander im Tag gesichert. Grund für diese Misere ist aber vor allem auch bei den Irakern selbst zu suchen. Die heute herrschende Schichte hat unter Führung von Premier Maliki Korruption und Nepotismus, seit langem heimisch am Tigris, zur alles lähmenden Hochblüte getrieben. So erläutert ein führender Ingenieur im Elektrizitäts-Ministerium: Die Generaldirektoren bekommen ihre Posten durch politische Beziehungen. Sie kontrollieren die Großprojekte, besitzen  aber nicht die Expertise für künftige Planungen. Deshalb tun sie lieber nichts, um das Risiko einer Entlassung zu vermeiden.“ Der Irak gilt heute laut „Transparency International“ als das drittkorrupteste Land der Welt.
Mit Hilfe der USA wurde in Bagdad die Anti-Korruptionsbehörde „Commission of Integrity“ gegründet. Dessen Chef Rahim Hassan al-Uqailee im Dezember 2011 nach dreieinhalb Jahren wegen gravierender politischer Einmischung  zurücktrat und seinen Schritt in einem offenen Brief an das Parlament begründete: „Der Kampf um den Diebstahl des Staatsgeldes und des (staatlichen) Besitzes ist der unausgesprochene Teil des Machtkampfes im heutigen Irak.“ Irakische Politiker setzten alles daran „scih den Mechanismen der Transparenz und Rechenschaftslegung“ zu wiedersetzen. 31 Mitarbeiter seiner Behörde wurden im Laufe der Jahre ermordet.
 
Die Institutionden des neuen Iraks sind nach Einschätzung westlicher Experten „ein einziger Hort des Nepotismus und der Inkompetenz“ (Le Monde Diplomatique) .  Iraks Politiker verschanzen sich in der streng bewachten „Grünen Zone“ Bagdads, die zum Sinnbild geworden ist für die an Saddams Zeiten erinnernden schlimmsten Auswüchste von Korruption und Privilegientum. Alljährlich, so schätzen Experten, fließen an die 40 Mrd. Dollar gestohlene Gelder illegal ins Ausland.
Diese „institutionalisierte  Kleptokratie“, wie  ein irakischer Politiker die Missstände nennt, aber auch die gravierende Ineffizienz der neuen politischen Führer hat nach Überzeugung vieler Iraker ihre Ursach in den zahlreichen Tragödien der Vergangenheit: „UN-Sanktionen zerstörten die irakische Gesellschaft in den 1990er Jahren; die Amerikaner zerstörten den irakischen Staat nach 2003“, analysiert ein Ex-Minister Patronanz gestützt auf Partei, Familie oder soziale Gemeinschaft bestimmt die Vergabe von Jobs. Es gibt viele Gewinner und Verlierer und alles hängt von den Ölexporten ab. Ich erlebte nur einmal Panik in der Regierung, als der Ölpreis plötzlich stark fiel.“

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