Neue Bande zwischen Ägypten und dem Iran könnten die Region radikal verändern – Doch lässt sich die alte Feindschaft tatsächlich überwinden
von Birgit Cerha
Mit Umarmung und Küssen empfing Ägyptens Präsident Mursi
Dienstag seinen iranischen Amtskollegen Ahmadinedschad auf dem Kairoer
Flughafen zum ersten Besuch eines iranischen Präsidenten am Nil seit Gründung
der „Islamischen Republik“ 1979. Ahmadinedschads Reise zu dem heute, Mittwoch
beginnenden Gipfeltreffen der „Islamischen Konferenz-Organisation“ (IKO) krönt
monatelanges Liebeswerben der iranischen Führung um das neue Regime der
Moslembruderschaft am Nil. „Die politische Geographie der Region wird sich
verändern, wenn Iran und Ägypten eine gemeinsame Position in der
Palästinenserfrage einnehmen“, frohlockte Ahmadinedschad vor seiner Abreise in
Teheran. Sein Herzenswunsch sei es, in Jerusalem um die „völlige Befreiung“ zu
beten. Ahmadinedschad hatte sich in seiner Amtszeit immer wieder für Israel und
dessen internationale Freunde besonders provokanten Auftrag Revolutionsführer
Khomeinis bekannt, Jerusalem „aus den Klauen der Zionisten“ zu befreien.
Ägypten, der erste arabische Staat, der 1979 mit Israel Frieden schloss und eng
mit Irans Erzfeind USA verbündet, stellte sich dabei als großes Hindernis in
den Weg.
Der Sturz Präsident Mubaraks vor zwei Jahren hat mit einem
Schlag die gesamte außenpolitische Rolle des größten arabischen Staates infrage
gestellt. Immerhin verbinden Mursis Moslembrüder mit den schiitischen
Herrschern in Teheran starke ideologische Bande, von den anti-israelischen
Gefühlen über die Unterstützung der islamistischen palästinensischen Hamas in
Gaza, dem unverrückbaren Glauben an die Sharia als Basis des Rechtssystems und
der Angst vor der westlichen Kultur, die sie als große Bedrohung für die
Gesellschaft ihrer Länder und ihre eigene Dominanz empfinden. In zentralen
Fragen der Region herrscht zwischen
Kairo und Teheran – so mag es erscheinen – Übereinstimmung.
Und dennoch. Auch wenn der Besuch eines iranischen
Präsidenten in Kairo seit mehr als drei Jahrzehnten unvorstellbar war, ist doch
der gestürzte Kaiser Mohammed Reza Pahlevi, einst enger Freund des 1981
ermordeten ägyptischen Präsidenten Sadat im Kairoer Exil gestorben und
begraben, hatten die Iraner doch eine Straße im Zentrum Teherans nach Sadats
Mörder Islambouli getauft und ihr erst unter Präsident Khatami 2004 einen
anderen Namen gegeben, und Mursi nun den Bann gebrochen hat, einem von Teheran
ersehnten neuen Bündnis stehen hohe Hürden im Wege – politische und religiöse.
Zwar beschworen sowohl Ahmadinedschad, als auch Ägyptens
Großscheich Ahmed al-Tayyeb, der höchsten Autorität des sunnitischen Islam, vor
ihrer – ebenfalls historischen – Begegnung
Dienstag Nachmittag die Einheit der islamischen Welt, doch IKO-Kreise
befürchten, der iranische Gast werde nach alter Gewohnheit bei seiner Rede
heute Mittwoch nicht auf die Darstellung schiitischer Standpunkte verzichten,
die die sunnitischen Teilnehmer als Provokation empfinden würden. Während die
Sunniten mindestens 80 Prozent der Muslime stellen, machen die Schiiten kaum
zehn Prozent aus.
Der historische Graben zwischen diesen beiden Strömungen des
Islams hat sich in den vergangenen Jahren u.a. durch die Bürgerkriege im Irak
und in Syrien, aber auch durch Rebellionen von Schiiten gegen die sunnitischen
Herrscher in den arabischen Staaten am Persischen Golf noch vertieft. Der
Konflikt wird mit Waffen, aber auch verstärkt im Internet, und dort sehr
polemisch, ausgetragen. Irans geistliche Führer anerkennen de facto, wenn auch
nicht offiziell, die Legitimität des
sunnitischen Islam nicht und scheuen nicht vor großen Anstrengungen zurück,
Sunniten zum Schiismus zu bekehren. Die Verfluchung sunnitischer Symbole gehört
zum religiösen Alltag, während es etwa in Teheran, wo Tausende Sunniten leben,
keine sunnitische Moschee gibt. Orthodoxe Sunniten unter Führung Saudi-Arabiens
hingegen verdammen den Schiismus als Häresie. Diese Einstellung hat seit dem
Sturz Mubaraks danke des wachsenden Einflusses der von Saudi-Arabien massiv
unterstützten radikalen Salafisten in Ägypten starken Auftrieb bekommen.
Anti-schiitische Literatur findet sich immer häufiger in Buchhandlungen am Nil
und Ahmadinedschads Besuch empört diese radikalen Bewegungen.
Doch es sind auch starke politische Gründe, die Mursi vor
einer iranischen Umarmung zurückschrecken lassen. In der auch den OIK-Gipfel
dominierenden Frage Syrien stehen beide an gegensätzlichen Fronten. Mursi hatte
bei dem ersten Besuch eines ägyptischen Präsidenten seit 1979 vergangenen
August in Teheran die Unterstützung der Rebellen gegen Syriens Präsidenten
Assad als „ethische Pflicht“ bezeichnet und damit die wichtigste Schutzmacht
des bedrängten syrischen Herrschers offen vor den Kopf gestoßen. Dennoch hofft
Ahmadinedschad auf Unterstützung für
seinen Sechs-Punkte-Friedensplan, der zwar das Ende der Gewalt, Neuwahlen, eine
neue Verfassung und die Wahl eines neuen Präsidenten vorsieht, aber nicht
ausdrücklich Assads Abgang. Teheran könnte
eine wichtige Vermittlungsrolle spiele, wäre da nicht die blutige
geostrategische Rivalität mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten, die unter
allen Umständen politische Geländegewinne des Irans zu blockieren suchen.
Mursi, im eigenen Land schwer bedrängt, hat keinen
politischen Spielraum. Die wachsenden wirtschaftlichen Nöte des Volkes könnten
ihm die Macht kosten und Ägypten noch tiefer ins Chaos reißen. Auf die
Finanzhilfe der Golfstaaten kann er
ebensowenig verzichten, wie auf das lukrative Bündnis mit den USA. Beides wäre
durch neue Bande mit Teheran ernsthaft gefährdet.
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