Dienstag, 5. Februar 2013

Ahmadinedschads historischer Besuch am Nil


Neue Bande zwischen Ägypten und dem Iran könnten die Region radikal verändern –  Doch lässt sich die alte Feindschaft tatsächlich überwinden
 
  
 



von Birgit Cerha 

Mit Umarmung und Küssen empfing Ägyptens Präsident Mursi Dienstag seinen iranischen Amtskollegen Ahmadinedschad auf dem Kairoer Flughafen zum ersten Besuch eines iranischen Präsidenten am Nil seit Gründung der „Islamischen Republik“ 1979. Ahmadinedschads Reise zu dem heute, Mittwoch beginnenden Gipfeltreffen der „Islamischen Konferenz-Organisation“ (IKO) krönt monatelanges Liebeswerben der iranischen Führung um das neue Regime der Moslembruderschaft am Nil. „Die politische Geographie der Region wird sich verändern, wenn Iran und Ägypten eine gemeinsame Position in der Palästinenserfrage einnehmen“, frohlockte Ahmadinedschad vor seiner Abreise in Teheran. Sein Herzenswunsch sei es, in Jerusalem um die „völlige Befreiung“ zu beten. Ahmadinedschad hatte sich in seiner Amtszeit immer wieder für Israel und dessen internationale Freunde besonders provokanten Auftrag Revolutionsführer Khomeinis bekannt, Jerusalem „aus den Klauen der Zionisten“ zu befreien. Ägypten, der erste arabische Staat, der 1979 mit Israel Frieden schloss und eng mit Irans Erzfeind USA verbündet, stellte sich dabei als großes Hindernis in den Weg.

Der Sturz Präsident Mubaraks vor zwei Jahren hat mit einem Schlag die gesamte außenpolitische Rolle des größten arabischen Staates infrage gestellt. Immerhin verbinden Mursis Moslembrüder mit den schiitischen Herrschern in Teheran starke ideologische Bande, von den anti-israelischen Gefühlen über die Unterstützung der islamistischen palästinensischen Hamas in Gaza, dem unverrückbaren Glauben an die Sharia als Basis des Rechtssystems und der Angst vor der westlichen Kultur, die sie als große Bedrohung für die Gesellschaft ihrer Länder und ihre eigene Dominanz empfinden. In zentralen Fragen der Region  herrscht zwischen Kairo und Teheran – so mag es erscheinen – Übereinstimmung.
Und dennoch. Auch wenn der Besuch eines iranischen Präsidenten in Kairo seit mehr als drei Jahrzehnten unvorstellbar war, ist doch der gestürzte Kaiser Mohammed Reza Pahlevi, einst enger Freund des 1981 ermordeten ägyptischen Präsidenten Sadat im Kairoer Exil gestorben und begraben, hatten die Iraner doch eine Straße im Zentrum Teherans nach Sadats Mörder Islambouli getauft und ihr erst unter Präsident Khatami 2004 einen anderen Namen gegeben, und Mursi nun den Bann gebrochen hat, einem von Teheran ersehnten neuen Bündnis stehen hohe Hürden im Wege – politische und religiöse.

Zwar beschworen sowohl Ahmadinedschad, als auch Ägyptens Großscheich Ahmed al-Tayyeb, der höchsten Autorität des sunnitischen Islam, vor ihrer – ebenfalls historischen – Begegnung  Dienstag Nachmittag die Einheit der islamischen Welt, doch IKO-Kreise befürchten, der iranische Gast werde nach alter Gewohnheit bei seiner Rede heute Mittwoch nicht auf die Darstellung schiitischer Standpunkte verzichten, die die sunnitischen Teilnehmer als Provokation empfinden würden. Während die Sunniten mindestens 80 Prozent der Muslime stellen, machen die Schiiten kaum zehn Prozent aus.
 
Der historische Graben zwischen diesen beiden Strömungen des Islams hat sich in den vergangenen Jahren u.a. durch die Bürgerkriege im Irak und in Syrien, aber auch durch Rebellionen von Schiiten gegen die sunnitischen Herrscher in den arabischen Staaten am Persischen Golf noch vertieft. Der Konflikt wird mit Waffen, aber auch verstärkt im Internet, und dort sehr polemisch, ausgetragen. Irans geistliche Führer anerkennen de facto, wenn auch nicht offiziell,  die Legitimität des sunnitischen Islam nicht und scheuen nicht vor großen Anstrengungen zurück, Sunniten zum Schiismus zu bekehren. Die Verfluchung sunnitischer Symbole gehört zum religiösen Alltag, während es etwa in Teheran, wo Tausende Sunniten leben, keine sunnitische Moschee gibt. Orthodoxe Sunniten unter Führung Saudi-Arabiens hingegen verdammen den Schiismus als Häresie. Diese Einstellung hat seit dem Sturz Mubaraks danke des wachsenden Einflusses der von Saudi-Arabien massiv unterstützten radikalen Salafisten in Ägypten starken Auftrieb bekommen. Anti-schiitische Literatur findet sich immer häufiger in Buchhandlungen am Nil und Ahmadinedschads Besuch empört diese radikalen Bewegungen.

Doch es sind auch starke politische Gründe, die Mursi vor einer iranischen Umarmung zurückschrecken lassen. In der auch den OIK-Gipfel dominierenden Frage Syrien stehen beide an gegensätzlichen Fronten. Mursi hatte bei dem ersten Besuch eines ägyptischen Präsidenten seit 1979 vergangenen August in Teheran die Unterstützung der Rebellen gegen Syriens Präsidenten Assad als „ethische Pflicht“ bezeichnet und damit die wichtigste Schutzmacht des bedrängten syrischen Herrschers offen vor den Kopf gestoßen. Dennoch hofft Ahmadinedschad  auf Unterstützung für seinen Sechs-Punkte-Friedensplan, der zwar das Ende der Gewalt, Neuwahlen, eine neue Verfassung und die Wahl eines neuen Präsidenten vorsieht, aber nicht ausdrücklich Assads Abgang.  Teheran könnte eine wichtige Vermittlungsrolle spiele, wäre da nicht die blutige geostrategische Rivalität mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten, die unter allen Umständen politische Geländegewinne des Irans zu blockieren suchen.
Mursi, im eigenen Land schwer bedrängt, hat keinen politischen Spielraum. Die wachsenden wirtschaftlichen Nöte des Volkes könnten ihm die Macht kosten und Ägypten noch tiefer ins Chaos reißen. Auf die Finanzhilfe der Golfstaaten  kann er ebensowenig verzichten, wie auf das lukrative Bündnis mit den USA. Beides wäre durch neue Bande mit Teheran ernsthaft gefährdet.

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