Blutige Proteste nach Todesurteilen gegen Fussball-Hooligans
in Port Said symbolisieren eine unverändert tiefsitzende Misere
von Birgit Cerha
Militärhelikopter kreisen über Port Said, den
Mittelmeerhafen an der Mündung des Suez-Kanals. Mit einem Großeinsatz versuchen
Ägyptens Sicherheitskräfte, die aufgebrachte Stadt nach zweitägigen blutigen
Unruhen wieder zu befrieden. Geschäfte und öffentliche Büros blieben Sonntag geschlossen,
Hotelgäste wurden aus Angst vor neuer Gewalt nach Hause geschickt. Zugleich
halten in Kairo und anderen Städten nun schon den dritten Tag teils gewaltsame
Proteste gegen Präsident Mursi an. Mehr als 30 Menschen kamen bereits ums Leben,
an die 300 wurden verletzt und Hunderte festgenommen. Diese blutigen Ereignisse
sind dramatisches Zeichen dafür, dass Ägypten auch zwei Jahre nach
Revolutionsbeginn unter einem neuen, freigewählten Herrscher keine Ruhe findet.
Während in Kairo, Alexandria und in anderen Städten Demonstranten ihre tiefe
Frustration über die anhaltende Instabilität, die sich deshalb stetig verschlechternden
wirtschaftliche und soziale Lage und die Sorge darüber auslassen, dass
Präsident Mursi durch seine Politik das Land spaltet und ins Chaos führt,
beschuldigt der neue Führer seine Gegner, durch immer wiederkehrende Proteste
die Stabilisierung und ökonomische Erholung zu vereiteln.
Ganz anders geartet sind die Unruhen in Port Said, wo die
ganze Stadt im Aufruhr steht, und doch sind sie zugleich eng mit Ägyptens
Grundmisere verwoben. Das weltweit grausamste Fussball-Rowdytum hatte sich am
1. Februar 2012 in dieser rund 500.000 Einwohner zählenden Stadt ereignet. Kurz nach Beginn eines Matches
zwischen der Heimmannschaft Al-Masyr gegen den berühmten Kairoer Verein al-Ahly
waren – angeblich – Al-Masry-Fans mit Messern und Schusswaffen auf das
Spielfeld gestürmt und auf die Kairoer Mannschaft losgegangen. In der daraufhin
ausgebrochenen Panik kamen 74 Menschen ums Leben. 61 Personen wurden daraufhin
wegen Mordes und neun Polizisten wegen Nachlässigkeit angeklagt. Samstag wurden
in dem aus Sicherheitsgründen nach Kairo verlegten Prozess 21 der Angeklagten
wegen Mordes zum Tode verurteilt. Über die anderen Angeklagten will das Gericht
erst am 9. März entscheiden.
Während Familienangehörige der Getöteten und Al-Ahly-Fans,
genannt „Ultras“, in Kairo über die Urteile jubelten, machte sich in Port Said
die Empörung gewaltsam Luft. Angehörige versuchten, das Gefängnis, in dem die
Verurteilten einsitzen, zu stürmen und unzählige Sympathisanten sehen den
Richterspruch als politisch motiviert und als erneuten Beweis für die Marginalisierung
einer ganzen Stadt. Eine wachsende Animosität zwischen Kairo und Port Said hat
ihre Wurzeln in der jüngeren Geschichte.
Einst war Port Said Zentrum des ägyptischen Widerstandes in
dem von Israel, Großbritannien und Frankreich nach der Verstaatlichung des Suez-Kanals
1956 geführten Krieges, ebenso wie elf Jahre später während des israelischen
Überraschungsangriffs auf Ägypten. Und nach dem anfänglich für Ägypten
erfolgreichen Krieg von 1973 verlieh Präsident Sadat Port Said den für die
wirtschaftliche Entwicklung so entscheidenden Zollfreistatus. Doch als ein
Bürger der Stadt 1999 eines Attentatsversuchs auf Präsident Mubarak bezichtigt
und erschossen wurde, verlor die Stadt
nach altbewährter Methode, ganze Gemeinden als Sündenböcke zu diffamieren, zu
bestrafen und damit das Volk zu spalten um es besser kontrollieren zu können, einen
großen Teil ihrer Privilegien und wurde in den darauffolgenden Jahren mehr und
mehr marginalisiert. In Wahrheit, so behaupten die Bürger Port Saids, sei der
angebliche Attentäter nichts anderes als ein armer Mann gewesen, der Präsident Mubarak
einen Beschwerdebrief überreichen wollte und Ägyptens Herrscher wollte durch
solch brutale Reaktion dem Volk beweisen, dass er „unerreichbar“ sei.
Port Said wurde seither im Entwicklungsprozeß sträflich
vernachlässigt und viele Bürger der Stadt sind nun nach Einschätzung von Bashir
Abdel Fattah vom „Al-Ahram Zentrum für politische und strategische Studien“ überzeugt,
dass sie nun auch im neuen Ägypten für ein Verbrechen zahlen, das sie nicht
begangen haben. Tatsächlich ist die Justiz der Behauptung von Augenzeugen und
Al-Masry-Fans nicht nachgegangen, dass von Mubarak-Anhängern angeheuerte
Provokateure die Gewalttaten auf dem Spielfeld verübt hätten, um einerseits
einen Stimmungsumschwung zugunsten des alten Regimes, das dem Land derartige
Gewaltakte erspart hätte, zu bewirken. Anderseits – so die These – wollten Angehörige
der Polizei Rache an den „Ultras“ nehmen, die, gut organisiert, eine wichtige
Rolle im Widerstand gegen die Sicherheitskräfte während der Revolution gespielt
hatten. Tatsache ist, dass seit dem denkwürdigen 1. Februar 2012 die Bewohner
Port Saids sich von der Mehrheit der ägyptischen Medien pauschal kriminalisiert
fühlen und dies durch Hassattacken regelmäßig zu spüren bekommen. Derartige Demütigungen
steigern den aufgestauten Ärger über die sich stetig verschlimmernden sozialen Probleme
und die geringen Zukunftschancen noch zusätzlich. Ein nationaler Dialog, zu dem
nun der „Nationale Verteidigungsrat“ aufruft, ist dringend geboten.
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