Unbeugsam angesichts von 60.000 Toten bietet Präsident Assad
seinen Gegnern einen kompromisslosen „Friedensplan“ an
von Birgit Cerha
Der Jubel im vollbesetzten Opernhaus von Damaskus fand
Sonntag keine Grenzen, als Bashar el Assad zum ersten Mal seit sechs Monaten
wieder das Wort an das gequälte syrische Volk richtete. Am Ende der fast
einstündigen „Rede an die Nation“ stürmten Anhänger das Podium, um ihren schwer
bedrängten Präsidenten zu umarmen und abzuküssen. Ihnen vor allem wohl, aber
auch einer beträchtlichen Schar von politisch in diesem grausamen Krieg
unentschlossenen Syrern, galten Assads eindringliche Durchhalteappelle, die
emphatischen Aufrufe, zum fortgesetzten Kampf gegen „Terroristen“ und „Kriminelle“,
die Syrien zu zerstören trachteten. Wie in den wenigen vorangegangenen
Ansprachen seit Ausbruch der Rebellion im März 2011 sieht Assad sich und seine
Regime einer brutalen Verschwörung ausländischer Feinde ausgesetzt, die gnadenlos
seinen Untergang betrieben. Unter tosendem Beifall zog er die Opposition und
vor allem die militanten Rebellen ins Lächerliche. Seine Gegner seien „Marionetten
des Westens“, „Feinde Gottes“ und siegesbewusst fügte er hinzu, diese „Feinde
Syriens werden zur Hölle fahren“. Sie betrieben „keine Revolution“, denn eine
Revolution „braucht Denker“, Menschen mit Ideen und „Führer“.
Elegant gekleidet, doch klar gezeichnet von den Mühsalen der
vergangenen Monate, präsentierte Assad – offensichtlich auf Druck des
Vermittlers der UNO und der Arabischen Liga Lakhdar Brahimi, sowie des
russischen Außenministers Lavrov einen „Friedensplan“, in dem er in keinem
entscheidenden Punkt von bisherigen starr vertretenen Standpunkten abrückte. Er
schob den Ball der internationalen Gemeinschaft zu, die die Bewaffnung von „Terrorgruppen“
(gemeint sind seine militanten Gegner) einstellen müssten; sodann würden die
Regierungstruppen ihre militärische Operationen einstellen, sich jedoch das
Recht vorbehalten, „Staatsinteressen zu verteidigen“; sodann sollte ein
nationaler Dialog mit „syrischen Einzelpersonen und politischen Parteien“
beginnen, von dem allerdings all jene ausgeschlossen würden, die Syrien „verraten“
hätten. Gemeinsam würde dann eine „Nationalcharta erarbeitet, die dem Volk zur
Billigung präsentiert werden solle. Parlamentswahlen und eine neue Regierung
sollten folgen.
Da Assad jeglichen Kontakt mit den Rebellen und dem im
November neugebildeten, bereits von den USA und der EU anerkannten Dachverband
der Opposition, der „Syrischen Nationalen Koalition“ (SNK), ausschließt, überrascht
die scharfe Kritik von Assads Gegnern an der Initiative ihres Erzfeindes
keineswegs. Ein SNK-Sprecher meinte Sonntag, Assads Rede markiere das „Ende der
diplomatischen Bemühungen Brahimis“. Sie sei nichts als „eine Zeitverschwendung und leere Rhetorik“.
Brahimi und Lavrov betonten vor wenigen Tagen, eine
Verhandlungslösung sei die einzige Option für ein Ende des grauenvollen
Blutvergießens in Syrien. Set vielen Wochen hatte sich Brahimi um einen
Friedensplan auf der Basis eines von
einer internationalen Konferenz im Juni beschlossenen Konzeptes bemüht, das
eine Übergangsregierung vorsieht, doch Assads Schicksal im Unklaren ließ. Die
Opposition lehnt jede Lösung ab, in der Assad eine aktive Rolle spielt.
Wiewohl sich kein Ausweg aus dem militärischen Patt in
diesem Krieg abzeichnet, der bereits mindestens 60.000 Menschen das Leben
gekostet hat, geriet Assad jüngst immer stärker in Bedrängnis. Die Rebellen
dringen immer weiter nach Damaskus vor
und im nordsyrischen Idlib gelang ihnen die Eroberung eines wichtigen
Luftwaffenstützpunktes. Dennoch geraten sie in der Umgebung von Damaskus massiv
unter militärischen Druck des Regimes, während bereits 50 hohe syrische
Offiziere in der Türkei Zuflucht suchten.
Augenzeugen berichteten in den vergangenen Tagen, dass
Eroberungen in Damaskus und Idlib entscheidend der von den USA jüngst wegen
ihrer Bande mit Al-Kaida auf die Terrorliste gesetzten „Al-Nusra-Front“ zu
danken seien. Diese Entwicklung verstärkt das latente Misstrauen einer
beträchtlichen Schar von einflussreichen Syrern, die schockiert über die gigantischen Brutalitäten
von beiden Seiten, keine klaren Positionen zu beziehen wagen. Geschäftsleute in
Damaskus, die die Antriebskraft der syrischen Wirtschaft bilden, Banker, die
sie finanzieren, aber auch Sicherheitsoffiziere
und hohe Beamte, die die Säule des autoritären Staates bilden. Wenn sie sich
nicht für die eine oder die andere Seite entscheiden, dann könnte Syrien aus
dem blutigen Patt nicht so bald herausfinden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen