Um die Früchte ihres Freiheitskampfes betrogen, beginnen
Frauen der arabischen Welt den „zweiten Frühling“
von Birgit Cerha
Sie standen an vorderster Front der friedlichen Proteste
gegen die Diktatoren, auf dem Kairoer Tahrir-Platz ebenso, wie in der Habib
Bourghiba Avenue in Tunis, dem Märtyrer-Platz in Tripolis und dem Platz der
Veränderung in Sanaa. An der Seite der Männer kämpften die Frauen arabischer
Länder viele Monate lang entschlossen und mutig für einen demokratischen
Neuanfang. Die angesehene libanesische
Zeitung „An Nahar“ kürte 2012 zum „Jahr der arabischen Frau“.
Zwei Jahre, nachdem der Sturz des ersten arabischen
Despoten, Bourghiba in Tunesien, eine Kettenreaktion ausgelöst hatte, sehen
sich die Araberinnen aber mit der bitteren Realität konfrontiert, dass der Fall
der Tyrannen für sie noch lange nicht das Tor zu Freiheit und
Gleichberechtigung geöffnet hat. In Tunesien, in Ägypten, in Libyen und im
Jemen ringen heute bitter enttäuschte
Bürgerinnen gegen tiefverwurzelte erzkonservative Kulturnormen und das
Bestreben der neuen, islamistisch geprägten Machthaber, sie auch noch der
wenigen Rechte zu berauben, die deren autokratische Vorgänger ihnen gewährt
hatten. Zugleich aber wagen es Frauen in den vom „arabischen Frühling“ bisher
unberührten Ländern, dennoch den Versuch, von der Demokratiebewegung zu
profitieren, um ihren sozialen und rechtlichen Status zu verbessern.
Die Revolutionärinnen, die sich in unerschütterlichem
Engagement über die sozialen Netzwerke für Würde und Freiheit ihrer Mitbürger
eingesetzt hatten, sehen sich nach dem Sturz der Despoten politisch an den Rand
gedrängt, mit einem Schlag gewann die Frage der Gleichberechtigung der
Geschlechter wieder sekundäre Bedeutung und insbesondere in Ägypten verschlechterte
sie sich unter Führung des islamistischen Präsidenten Mursi gar noch. Dort
garantiert die neue Verfassung ausdrücklich keine Gleichberechtigung der
Geschlechter, während auch in dem
ebenfalls von Islamisten regierten Tunesien die seit den 1950er Jahren
verfassungsrechtlich gesicherte Gleichberechtigung in ernster Gefahr ist. Auch
in Libyen und im Jemen bleiben die Tore zur politischen Arena den Frauen
weitgehend verschlossen. Insbesondere in Ägypten, wo erstmals in der Geschichte
die „First Lady“ nur mit einem islamischem Kopfschleier auftritt, aber auch in anderen Ländern des arabischen
Frühlings, sind keineswegs nur Aktivistinnen, sondern Frauen insgesamt in
alarmierendem Maße willkürlicher Gewalt durch Männer ausgesetzt, während die
staatlichen Behörden meist tatenlos zusehen. Im Jemen mehren sich Berichte von
Todesdrohungen gegen Frauen, die sich politisch engagieren.
Doch die Araberinnen geben nicht auf. Dalia Ziada, von „Newsweek“
zweimal als eine der einflussreichsten und furchtlosesten Frauen der Welt
bezeichnet, setzt in Ägypten entschlossen den Kampf für Bürgerrechte, religiöse
Freiheiten und Toleranz fort. Sie will neue Gesetze zur Stärkung der Rechte,
zur Förderung der ökonomischen Unabhängigkeit ihrer Geschlechtsgenossinnen
durchsetzen, doch noch wichtiger ist es ihrer Ansicht nach, die Denkmuster von
Männern, aber auch von Frauen auf der Basis zu verändern. Sonst, so meint die
26-jährige Aktivistin, werde der „Arabische Frühling“ sein Potential nicht
erreichen. Denn, so fügt sie unter Bezug auf die Rechte der Frauen hinzu, „es
gibt keinen Frühling ohne Blumen“.
In Libyen hat die 22-jährige Ärztin Alaa Murabit auf der
Basis einer umfangreichen Befragung von Frauen im ganzen Land in einer „Libysche
Frauencharta“ die spezielle Bedürfnisse
und Forderungen von Libyerinnen aufgelistet,
die in einer neuen Verfassung Niederschlag finden sollen. Frustriert über die
physischen Misshandlungen von
protestierenden Frauen durch Regimeanhänger, ebenso wie durch Revolutionäre in
verschiedenen Teilen der arabischen Welt, haben zwei junge Libanesinnen,
gemeinsam mit einer Ägypterin und einer Palästinenserin das Facebook „Uprising
of Women in the Arab World“ gegründet und in kürzester Zeit Tausende User
angezogen. Di8e Hälfte der arabischen Gesellschaft schreit zur anderen Hälfte: „Ich
bin genauso gut wie du“, und immer mehr Frauen schließen sich dieser virtuellen
Kampagne an, um ihre Ängste darzulegen und, bestärkt durch den Erfolg der
sozialen Netzwerke im Kampf gegen Diktatoren, in einem „zweiten Frühling“ die
Befreiung von jahrhundertealten patriarchalen Zwängen einzuleiten.
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