Bedrängt durch den „Arabischen Frühling“ verspricht der König dem Land einen „einzigartigen Weg“ – Parlamentswahlen sollen der erste Schritt sei
von Birgit Cerha
In den Zorn über starke Erhöhungen von Treibstoffpreisen mischte sich lange aufgestauter Ärger über Korruption der herrschenden Elite und Unterdrückung der freien Meinung. Während die Popularitätskurve König Abdullahs sinkt – nach jüngsten Umfragen sind nur etwa 50 Prozent mit der politischen Führung des Monarchen zufrieden - waren unter den Rufen nach politischen Reformen erstmals auch Verbalattacken gegen den Monarchen zu hören. Das Königshaus steckt in der schwersten Krise seit den 1950er Jahren.
Unterdessen verspricht Abdullah dem Volk einen „einzigartigen Weg“ durch die die gesamte Region erfassten Turbulenzen: Das Regime, die Monarchie will sich selbst reformieren. Ersten Schritt zu diesem hohen Ziel sollen nach Vorstellung des Herrschers die Parlamentswahlen am 23. Januar setzen. Mehr als 1.500 Kandidaten bewerben sich um 150 Parlamentssitze. Doch zahlreiche reformorientierte Persönlichkeiten kandidieren nicht und die „Islamische Aktionsfront“ (IAF), der politische Arm der Moslembruderschaft, ruft aus Protest gegen ein neues Wahlgesetz zum Boykott auf. Die IAF ist die weitaus stärkste Partei in einem Land, in dem ansonsten politische Parteien eine äußerst geringe Rolle spielen. Ein Parlament ohne IAF könnte in den Augen vieler Jordanier nicht als legitime Repräsentanz der Bevölkerung gelten.
Die Islamisten sehen durch das neue Wahlgesetz keine Chance, im Parlament eine starke Mehrheit zu erringen. Es ändert an den bisher verzerrten Stimmenverhältnissen wenig, garantiert vielmehr auch in Zukunft den loyalen Anhängern des Königs, insbesondere den transjordanischen Stämmen aus den ländlichen Regionen die Mehrheit. IAF stützt sich auf ihre Hausmacht in den Städten. „Die Wahlen werden nicht den Willen des Volkes reflektieren“, begründet Hannam Saeed, Führer der Moslembruderschaft, den Boykottaufruf. Und er tut alle bisherigen Reformen des Königs als „kosmetisch“ ab.
IAF fordert eine Aufhebung der in der Verfassung garantierten Rechte des Königs, Minister zu ernennen, deren Rücktritt zu akzeptieren und das Parlament aufzulösen. Sie fordert eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Justiz. Diesem Verlangen schließen sich erstmals – zumindest teilweise – auch loyale, höchst einflussreiche Stammesführer an.
Drei Hauptströmungen der Bevölkerung – die islamistische, die konservative, stammesorientierte transjordanische und die gebildete, demokratiehungrige Mittelschichte verlieren zunehmend Vertrauen in die Führungsqualitäten des Königs, der dem Land ungeachtet aller Versprechungen tatsächlich bisher keine weitreichenden Reformen verordnete. Das dem Königshof unverrückbar loyal ergeben Sicherheitsestablishment blockiert alle Bestrebungen politischer Liberalisierung, die die verfassungsrechtliche Macht des Königs beschneiden würden. So wurde zwar erstmals eine unabhängige Wahlkommission zur Überwachung des Urnengangs eingesetzt, um das Erbe der manipulierten Wahlen abzuschütteln, doch ihr Leiter ist ein wegen seiner bedingungslosen Treue zum König bekannter Diplomat, womit die Kommission in den Augen vieler Oppositioneller an Glaubwürdigkeit verliert.
Nach Einschätzung politischer Analysten in Amman versucht das Königshaus ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Bestreben sich erneut ein ihm ergebenes Parlament zu sichern, während gleichzeitig den Forderungen oppositioneller Kräfte entgegenzukommen. So hat der König klar seine Absicht bekräftigt, Jordanien zu einer konstitutionellen Monarchie zu führen. Doch noch sei das Land dafür „nicht reif“, schließlich, so die Argumentation, gäbe es außer der IAF kaum andere überzeugend funktionierende Parteien. Der König sei fest entschlossen, „dem nächsten Parlament“ mehr Macht zu übertragen, beteuert der im Oktober interimistisch eingesetzte Reform-Premier Abdullah Ensour. Es sei nicht der Wunsch des Monarchen gewesen, dass IAF in der neuen Abgeordnetenkammer nicht vertreten ist.
Die Islamisten im Aufwind durch die Erfolge ihrer Gesinnungsgenossen in Tunesien, Ägypten und nun vielleicht auch in Syrien, sind entschlossen, weiterhin in den Straßen für Reformen zu demonstrieren. Vor Gewaltanwendung scheuen, ungeachtet kleinerer Zwischenfälle, beide Seiten aber zurück. Das Königshaus steckt in der Krise, doch seine Existenz steht nicht auf dem Spiel. Zu große ist die Angst der Bevölkerung – auch der islamistischen – vor dem Grauen des todbringenden Virus, der nun den Nachbarn Syrien in die Katastrophe reißt.
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