Zwei Jahre nach Beginn der Massenproteste ist weithin die Hoffnung der Enttäuschung gewichen – Dem Land droht nun eine schwere Wirtschaftskrise
von Birgit Cerha
„Zwei Jahre voll Hoffnung, geschwächt durch wachsende
Frustration“, Veränderung und Monotonie, Mut und Unfähigkeit, „zwei Jahre der
Rechtschaffenheit, mehr und mehr korrumpiert.“
Nicht nur Ägypten, die Region des Mittleren Ostens hat sich seit jenem 25. Januar
2011, als Zehntausende Bürger erstmals in die Straßen zogen, um ihre Stimmen
gegen Diktator Mubarak zu erheben, radikal verändert, stellt der ägyptische
Journalist Ziad Akl in einer Bilanz der vergangenen zwei Jahre fest. Die
wichtigste Veränderung aber habe sich nicht im politischen System vollzogen, „sondern
in den einzelnen Bürgern selbst“. Der
prominente Autor Alaa el Aswany stimmt zu. Welches Ende diese Revolution auch
finden mag, „die Menschen haben die Mauer der Furcht durchstoßen. Das läßt sich
nicht mehr rückgängig machen.“
Viele der engagierten, demokratiehungrigen jungen Ägypter,
die über die sozialen Medien und ihr aktives Engagement in den Straßen die
Protestbewegung angeführt hatten, fürchten heute um diesen revolutionären
Geist. Sie glauben, der Aufstieg der Islamisten an die Macht verheiße dem Land
unaufhaltsame‚ Turbulenzen und tiefe Spaltung. Unabhängige Beobachter warnen
vor Trugschlüssen: Die Geschichte lehre,
dass keine Revolution, die wie jene Ägyptens das Land von jahrzehntelanger
Diktatur befreite, in nur 24 Monaten ein neues, stabiles System von Freiheit,
Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Achtung menschlicher Würde schaffen könne.
Immerhin hat die jahrzehntelang in politischer Lethargie
dahindämmernde ägyptische Gesellschaft seit den 18 Tagen der Revolution, die im
Sturz Mubaraks am 11. Februar ihren Höhepunkt fand, eine ungekannte politische
Dynamik entwickelt. Ein lange geschlossenes Ventil öffnete sich und förderte
die unterschiedlichsten politischen Ansichten und Ideologien zutage, von denen kaum
einer ahnte, dass sie unter der Oberfläche des repressiven Staates überhaupt
existierten. Heute lassen sich drei
Hauptströmungen erkennen: die eine hofft auf Realisierung der demokratischen
Ziele der Revolution, während eine andere – eine keineswegs kleine Schichte der
Profiteure des alten Systems – die endgültige Zerschlagung des demokratischen
Widerstandes erstreben, um das alte Regime wieder aufzubauen und die immer noch
existierenden korrupten Institutionen weiterhin zu erhalten. Dazwischen bauen
sich die Moslembrüder als die weitaus stärkste und effizienteste politische
Strömung unter Führung Präsident Mursis im Namen Allahs zu neuen Diktatoren
auf. Die revolutionäre Jugend ringt um die verlorene politische Rolle. Ägypten
ist heute ein Land, geführt von alten Männern und nur ganz wenigen Frauen.
Die für ihre Fantasie und ihren Humor berühmte Ägypter haben
längst eine n Kosenamen für Mursi gefunden: „Mursilini“ nennen sie ihn unter Anspielung auf seine
autokratischen Neigungen. All zu bitter hat der Präsident seit seiner
Machtübernahme vor einem halben Jahr die Bevölkerung enttäuscht. Wiederholt
mußte er unbedachte radikale Entscheidungen zurücknehmen, sein gemäßigter,
versöhnlicher Ton ist geschwunden, zahlreiche wichtige Versprechen blieben
unerfüllt: Kein Kopte und keine Frau wurden zu seinen Stellvertretern gekürt. Die
Entscheidung sich vorübergehend absolute Macht zu sichern und von der Kontrolle
durch die Justiz zu befreien , schockierte das Land, ganz zu schweigen von
seiner Strategie, eine heißumstrittene Verfassung in einem Referendum
durchzupeitschen, ohne die Möglichkeit
der Diskussion über das im Sinne der Islamisten verfasste Dokument zu bieten. Wie in der Zeit Mubaraks
läßt auch Mursi Menschenrechte mit Füßen treten, die Polizei nach Herzenslust
foltern und die Medien zunehmend einschüchtern.
Während eine mögliche Revision der Verfassung als erster
Punkt allerhöchster Priorität auf der Tagesordnung des in etwa einem Monat zu
wählenden Parlaments steht, stellt sich die nach den zweijährigen
revolutionären Turbulenzen in eine schwere Krise geschlitterte Wirtschaft als
die größte Herausforderung für das Islamisten-Regime, das seine politische
Stärke in der Unterstützung der strenggläubigen ländlichen Bevölkerung und der etwa
16 Millionen Armen findet. Als einzigen Ausweg aus der alarmierenden Verarmung
der Bevölkerung, einem radikalen Sturz der Währung, ausbleibenden Investitionen
und einem drastischen Rückgang im Tourismus sucht Mursi ein Abkommen mit dem
Internationalen Währungsfonds, der für einen 4,8 Mrd.-Dollar-Kredit ein hartes
Reformprogramm verordnet, das die schrumpfende Mittelschicht, aber auch die
Armen empfindlich treffen würde. Doch die Opposition hat es bis heute nicht
geschafft, sich diesen ägyptischen Massen als attraktive Alternative zu den
Moslembrüdern anzubieten, die wahrscheinlich auch in Zukunft selbst Darbende
durch religiöse Slogans bei der Stange zu halten vermögen.
Dennoch ist auch unter den Demokraten am Nil die Hoffnung
nicht vollends geschwunden. Das neu erwachte politische Bewusstsein wird sich auch
von den neuen islamistischen Autokraten nicht mehr unterdrücken lassen.
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