Verzicht auf Sondervollmachten kommt zu spät – Ägyptens Streitkräfte melden sich angesichts anhaltender
Konfrontation als starke Kraft zurück
von Birgit Cerha
Über dem Zentrum von Kairo kreisten Sonntag F-16 Jets der
ägyptischen Luftwaffe. Diese seltene Aktion der Streitkräfte, die sich nach
ihrer Entmachtung durch Präsident Mursi vor einem halben Jahr aus der
politischen Szene zurückgezogen hatten, verleihen der unverhohlenen Warnung der
Offiziere vom Samstag zusätzliches Gewicht. Die Armeeführung hatte sich
erstmals seit Juli wieder zu Wort gemeldet und in einer insbesondere gegen
Mursi gerichteten Warnung eine Intervention angedroht, sollten Mursi und seine
Moslembrüder den Streit mit ihren Gegnern nicht durch Dialog schlichten und so
verhindern, dass Ägypten „in ein finsteres Tunnel mit katastrophalen Folgen“
schlittere. „Das ist etwas, was wir nicht zulassen werden“, hieß es in einer
Erklärung der Militärs.
Es war wohl dieser Druck gewesen, der Mursi Samstag zu einer
abrupten Konzession bewogen hatte. Doch
die Annullierung der Sondervollmachten vom 22. November, durch die er sich und
seine Entscheidungen über das Gesetz gestellt und den Richtern das Recht abgesprochen
hatte, die von Islamisten dominierte Verfassungsgebende Versammlung aufzulösen,
beschwichtigte Mursis Kritiker nicht.
Sprecher der „Freien ägyptischen Partei“ und andere Liberale verwarfen diesen
Rückzug als bedeutungsloses „politisches
Manöver“ , da Mursi weiterhin auf dem Referendum über den vor einer Woche durchgepeitschten
Verfassungsentwurf beharre. Ein Sprecher
Mursis weist darauf hin, dass nach geltender Verfassung der Präsident den von
der Versammlung festgesetzten Termin des 15. Dezembers nicht verschieben könne,
um der Bevölkerung, wie die Opposition es fordert, mehr Zeit zur Diskussion
über die heftig umstrittenen Verfassungsparagraphen zu geben. Mehr Zeit will
Mursi seinen Gegnern keinesfalls schenken, da er vor allem befürchtet, die
Justiz werde sie nützen, um den Entwurf mit der Begründung für illegal zu
erklären, dass er von einer das Volk nicht repräsentierenden Versammlung im
Eilverfahren verabschiedet worden sei.
Was als wesentliches Zugeständnis erscheint – Annullierung der
Sondervollmachten – hat tatsächlich unterdessen vollends an Bedeutung verloren.
Mit diesen diktatorischen Rechten verfolgte Mursi primär ein Ziel: Ägypten eine
– von den Vorstellungen der Moslembrüder geprägte – Verfassung zu geben, und
die Justiz wollte genau dies verhindern. Ein von der Mehrheit der Bevölkerung
gebilligtes Grundgesetz kann aber nicht mehr angefochten werden.
Massiv unter Druck geraten, will Mursi deshalb nun das Volk entscheiden lassen. Zur Wahl
steht am 15. Dezember ein „Ja“ oder ein „Nein“ zum Verfassungsentwurf. Siegt
das „Nein“, verspricht der Präsident die Bildung einer neuen Versammlung, die
erneut einen Entwurf ausarbeiten soll. Der ganze mühselige Prozess würde wieder
von vorne beginnen und Ägypten weiterhin nicht zu Stabilität und ökonomischer
Erholung finden – eine Aussicht, die zweifellos großen Bevölkerungskreisen
enormes Unbehagen bereitet. Der Opposition versuchte der Präsident mit einem
Appell entgegenzukommen, Änderungswünsche anzumelden, sie in einem Annex an den
Entwurf zuheften und das – erst noch zu wählende - Parlament würde diese dann in seiner ersten
Sitzung behandeln. Ein Trostpflaster, das niemand ernst nimmt.
Die Chance auf ein „Ja“ am 15. Dezember ist groß, nicht nur
wegen der eindrucksvollen Mobilisierungskünste der Moslembrüder. In vielen
Moscheen des Landes werden, so fürchten liberale Kreise – die Geistlichen den
Verfassungskonflikt zu einer Frage von „Für“ oder „Gegen Gott“ simplifizieren.
Anderseits hat Ägyptens höchste islamische Autorität, „Al-Azhar“, den
Verfassungsentwurf kritisiert, da er vor allem den Nicht-Muslimen –
insbesondere den acht Millionen Kopten – keinerlei Sicherheit im neuen Ägypten
bietet. Die Angst, dieser Entwurf ebne den Moslembrüder den Weg zur Theokratie
treibt die Gegner zu neuen Protesten, die möglicherweise in einen Generalstreik
münden und noch größeren Turbulenzen.
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