130 Staaten anerkennen syrisches Oppositionsbündnis – Welche
Optionen bleiben dem schwer bedrängten Diktator?
von Birgit Cerha
Während militante syrische Rebellen immer näher an das Herz
des Regimes heranrücken, verschärft die internationale Gemeinschaft den
diplomatischen Druck auf die Diktatur Bashar el Assads. Vertreter von 130
Staaten beschlossen bei dem Treffen der „Freunde Syriens“ im marokkanischen
Marrakesch , dem Beispiel Großbritanniens, Frankreichs, anderer EU-Länder und
zuletzt auch der USA zu folgen und das neugegründete Oppositionsbündnis der „Syrischen
Nationalen Koalition“ als legitime Vertretung des syrischen Volkes zu
akzeptieren. Zugleich fordern sie Assads Rücktritt und warnen eindringlich vor
dem Einsatz chemischer Waffen gegen die syrische Bevölkerung.
Die Eroberung eines strategisch wichtigen
Militärstützpunktes in Syriens größter Stadt Aleppo und Geländegewinne in
Damaskus versetzen die Rebellen, darunter die der Al-Kaida nahestehende,
inzwischen von den USA als „Terrororganisaton“ eingestufte „Nusra Front“, in
Siegesstimmung. Die Säulen des Regimes, wie der Präsidentenpalast und die
Zentren der Sicherheitskräfte und des Geheimdienstes seien „in erreichbare Nähe“
gerückt, frohlocken Rebellen , die südliche Außenbezirke von Damaskus bereits
voll kontrollieren und immer wieder Flüge vom nahegelegenen internationalen
Flughafen blockieren.
Doch während sich zweifellos die Schlinge um Assads Hals
immer enger zusammenzieht, sind sich Kenner der syrischen Verhältnisse einig,
dass das Ende des Regimes noch keineswegs gekommen ist. Im Zentrum von Damaskus
nimmt das Leben weitgehend seinen gewohnten Lauf. Die Kinder gehen hier zur
Schule, Staatsangestellte bekommen wie gewohnt ihren Lohn und die Geschäfte
stehen offen. Hier hofft wohl noch die Mehrheit der Bevölkerung –Sunniten, Alawiten und andere
Minderheiten -auf ein Überleben des Regimes und damit vermutlich die Rettung
ihrer Existenz.
Zwar hat Assad das Wirtschaftszentrum Aleppo im Norden und
den größten Teil Ost-Syriens an die Rebellen verloren, doch große Teile des
Landes stehen noch unter seiner Kontrolle.
Vor allem sind die Streitkräfte, trotz einiger Desertionen, nicht auseinandergebrochen. Sie verfügen über ein
starkes Waffenarsenal und immer noch eine Luftwaffe und sind damit den Gegnern
weiterhin überlegen. Die anhaltende Unterstützung Russlands, des Irans und der
libanesischen Hisbollah, die sich fest entschlossen für das Überleben des
Regimes engagieren, mildern zweifellos Assads bedrückendes Gefühl der internationalen
Isolation. Vor allem aber hat sich ein großer Teil der alawitischen Minderheit,
die insgesamt etwa 2,5 Millionen Menschen zählt, nicht auf die Seite der
Opposition geschlagen. Es sind die militärisch hochtrainierten alawitischen
Offiziere, die die Streitkräfte zusammenhalten. Der Kitt und die stärkste
Antriebskraft ist eine sich stetig steigernde Angst ums eigene Überleben,
geschürt durch Greuelberichte und jüngst verbreitete Videos, die Rebellen
zeigen, wie sie gefangene alawitische Offiziere abschlachten und deren Köpfe
wie Trophäen in die Höhe schwenken.
Über den gegenwärtigen Status des Regimes herrscht
allerdings Unklarheit. Nach manchen Berichten ist Assad „ein Gefangener des
Systems“ geworden, übt keine aktive Führungsrolle mehr aus. Diplomaten sprechen
von Hinweisen darauf, dass ein informeller „Sicherheitsrat“ aus 50 bis hundert
führenden Mitgliedern des politischen und militärischen Establishments – alles Alawiten
– die Konfrontation mit der bewaffneten Opposition dirigiert. Bisher hält auch der
Assad-Clan fest zusammen und der wegen seiner brutalen Skrupellosigkeit verhaßte
jüngere Bruder des Präsidenten, Maher, der bei einem Attentat sein Bein verlor,
soll weiterhin seine militärischen Kommandofunktionen ausüben.
Auch wenn der Zusammenbruch des Regimes nicht unmittelbar
bevorsteht, verlieren Syriens Herrscher im eingekreisten Damaskus doch stetig
an Boden. Nach Einschätzung von Beobachtern hat Assad drei Optionen: Ausharren im Präsidentenpalast bis zum bitteren
und ziemlich sicher blutigen Ende, wie er es im November angekündigt hatte;
Flucht und Asyl im Ausland, möglicherweise Venezuela. Die wahrscheinlichste
aber ist ein allmählicher, sich über Monate erstreckender Rückzug zunächst nach
Homs, das an der Hauptverbindungsstraße zwischen Damaskus und den
Mittelmeerstädten Tartous und Latakia sowie dem nahegelegenen alawitischen
Bergland liegt, wo sich Assad und seine Anhänger mit ihren Waffen, vielleicht
auch dem chemischen Arsenal, in relative Sicherheit zurückziehen und damit ihr
Leben retten könnten. Zumindest kurzfristig. Nach Aussagen europäischer
Diplomaten hat der Auszug von Regimeanhängern und deren Familien zur Mittelmeerküste
bereit begonnen und die Regierung – so Gerüchte – hat in Tartous ihre Zelte
aufgeschlagen.
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