Donnerstag, 6. Dezember 2012

Ägypten droht ernste Gefahr

Mursis Anhänger attackieren die Opposition, während sich die Fronten in dem tief gespaltenen Land dramatisch verhärten
 
von Birgit Cerha
 
Panzer schützen Ägyptens ersten demokratisch gewählten Präsidenten nach der blutigsten Nacht, die Kairo seit der Revolution gegen Diktator Mubarak vor fast zwei Jahren erlebt hat. Die schwerste Staatskrise seit dem Sturz Mubaraks verheißt den Ägyptern eine turbulente – manche befürchten gar blutige – Zukunft. Das Volk ist in zwei Lager gespalten, die staatlichen Strukturen brechen  auseinander (die  Justiz ist ebenso gespalten, wie die staatlichen Medien) während ein sich stetig steigernder Hass gegeneinander die Chance auf Kompromiß und eine friedliche Lösung zusehends zunichte  macht. Die Gegner Mursis erzürnt die direkte Attacke der offenbar von ihrem Präsidenten aufgehetzten Moslembrüder gegen die in der Nacht zum Donnerstag vor dem Präsidentenpalast demonstrierenden Aktivisten. Die Methode erinnert an die Repressionen, mit denen Mubarak in den letzten Tagen seiner Macht seine Gegner einzuschüchtern versucht hatte. Wiederholt sich in solch tragischer Weise nach so kurzer Zeit die Geschichte am Nil?
Die ideologisch und politisch tief zerstrittene säkulare Opposition einigte sich angesichts dieser Gefahren unter dem Dach der neugegründeten „Nationalen Rettungsfront“, unter Führung des Friedensnobelpreisträgers Baradei fest entschlossen,  durch eine landesweite Kampagne zivilen Ungehorsams Mursi zur Annullierung seiner diktatorischen Verfassungsdekrete und anschließend zu einem Dialog zu zwingen. In ihren Augen hat der islamistische Präsident in den vergangenen Wochen sein wahres Gesicht entlarvt, blieb er doch seinen Wahlkampfversprechungen von Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit schon nach kurzer Zeit untreu und versucht mit plumpen Methoden dem nicht-islamistischen Bevölkerungsteil eine Verfassung aufzuzwingen, die den Weg zu einem islamischen „Gottesstaat“ ebnen kann.
Mursis politische Biographie freilich entlarvt diesen langjährigen Aktivisten der Moslembruderschaft als einen Hardliner, keineswegs als den Mann des Kompromisses, als den er sich im Wahlkampf vergangenen Juni gerne präsentierte.  Er hatte innerhalb der Bruderschaft eine entscheidende Rolle an einer Säuberungskampagne von liberaleren Kräften gespielt und an einer politischen Plattform mitgebastelt, die u.a. eine weit schärfere Durchsetzung des islamischen Rechts fordert, als es bisher der Fall war. Vor allem aber führte er während der Revolution eine Massen- Mobilisierung Hunderttausender Anhängern der Moslembruderschaft. Er besitzt auch intime Kenntnisse der Organisationsstrukturen dieser weitaus größten politisch-sozialen Bewegung Ägyptens. Dies verschafft ihm die Selbstsicherheit, dass er die Opposition seiner Gegner in den Wind zu schlagen vermag. Zudem hat er in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Verfassungsentwurf auch die Unterstützung seiner gefährlichsten Rivalen, der radikalen Salafisten, gewonnen. Der Kampf gegen Ägyptens Justiz besitzt für Mursi entscheidende Bedeutung, sieht er in den überwiegend von Mubarak eingesetzten Richtern doch die einzige Kraft, die ihm und seinen Moslembrüdern noch die Macht streitig machen könnte.
Umgekehrt sieht die säkulare Opposition, die einst die Revolution gegen Mubarak getragen hatte, in den Methoden des zivilen Ungehorsams und friedlicher Demonstrationen der einzige Weg der Gier nach absoluter Macht, die Mursi in den vergangenen Wochen so unverfroren zu erkennen gab, Einhalt zu gebieten, da sie weder bei dem Verfassungsreferenum, noch bei den darauffolgenden Parlamentswahlen auf Sieg hoffen können. So ist Ägypten heute mit der paradoxen Situation konfrontiert, wo ein Teil des Volkes im Namen der Demokratie Wahlen, wie sie die Islamisten planen, verhindern will, um nicht all das wofür sie so bitter gekämpft hatten, zu verlieren.
In Wahrheit geht es heute in Ägypten längst nicht mehr nur darum, wer über das Land herrscht, sondern welche Elite – die islamische oder die säkulare – in nächster Zukunft die Oberhand gewinnt. Auf welcher Seite Militär und Sicherheitskräfte stehen, wie es um die Loyalität dieser Institutionen zum Präsidenten bestellt ist, bleibt vorerst völlig unklar. Die höchste islamische Autorität, Al Azhar, deren führende Geistliche einst von Mubarak eingesetzt wurden, hat nun Mursi zur Versöhnung gerufen, zur Aufhebung seiner Verfassungsdekrete. Ein klares Signal was Ägypten vor dem Abgrund retten kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen