Mursis Anhänger attackieren die Opposition, während sich die
Fronten in dem tief gespaltenen Land dramatisch verhärten
von Birgit Cerha
Panzer schützen Ägyptens ersten demokratisch gewählten
Präsidenten nach der blutigsten Nacht, die Kairo seit der Revolution gegen
Diktator Mubarak vor fast zwei Jahren erlebt hat. Die schwerste Staatskrise
seit dem Sturz Mubaraks verheißt den Ägyptern eine turbulente – manche befürchten
gar blutige – Zukunft. Das Volk ist in zwei Lager gespalten, die staatlichen
Strukturen brechen auseinander (die Justiz ist ebenso gespalten, wie die
staatlichen Medien) während ein sich stetig steigernder Hass gegeneinander die
Chance auf Kompromiß und eine friedliche Lösung zusehends zunichte macht. Die Gegner Mursis erzürnt die direkte
Attacke der offenbar von ihrem Präsidenten aufgehetzten Moslembrüder gegen die
in der Nacht zum Donnerstag vor dem Präsidentenpalast demonstrierenden
Aktivisten. Die Methode erinnert an die Repressionen, mit denen Mubarak in den
letzten Tagen seiner Macht seine Gegner einzuschüchtern versucht hatte.
Wiederholt sich in solch tragischer Weise nach so kurzer Zeit die Geschichte am
Nil?
Die ideologisch und politisch tief zerstrittene säkulare
Opposition einigte sich angesichts dieser Gefahren unter dem Dach der neugegründeten
„Nationalen Rettungsfront“, unter Führung des Friedensnobelpreisträgers Baradei
fest entschlossen, durch eine
landesweite Kampagne zivilen Ungehorsams Mursi zur Annullierung seiner diktatorischen
Verfassungsdekrete und anschließend zu einem Dialog zu zwingen. In ihren Augen
hat der islamistische Präsident in den vergangenen Wochen sein wahres Gesicht
entlarvt, blieb er doch seinen Wahlkampfversprechungen von Demokratie,
Meinungs- und Religionsfreiheit schon nach kurzer Zeit untreu und versucht mit
plumpen Methoden dem nicht-islamistischen Bevölkerungsteil eine Verfassung
aufzuzwingen, die den Weg zu einem islamischen „Gottesstaat“ ebnen kann.
Mursis politische Biographie freilich entlarvt diesen
langjährigen Aktivisten der Moslembruderschaft als einen Hardliner, keineswegs
als den Mann des Kompromisses, als den er sich im Wahlkampf vergangenen Juni
gerne präsentierte. Er hatte innerhalb
der Bruderschaft eine entscheidende Rolle an einer Säuberungskampagne von
liberaleren Kräften gespielt und an einer politischen Plattform mitgebastelt,
die u.a. eine weit schärfere Durchsetzung des islamischen Rechts fordert, als
es bisher der Fall war. Vor allem aber führte er während der Revolution eine
Massen- Mobilisierung Hunderttausender Anhängern der Moslembruderschaft. Er
besitzt auch intime Kenntnisse der Organisationsstrukturen dieser weitaus
größten politisch-sozialen Bewegung Ägyptens. Dies verschafft ihm die Selbstsicherheit,
dass er die Opposition seiner Gegner in den Wind zu schlagen vermag. Zudem hat
er in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den Verfassungsentwurf auch die
Unterstützung seiner gefährlichsten Rivalen, der radikalen Salafisten,
gewonnen. Der Kampf gegen Ägyptens Justiz besitzt für Mursi entscheidende
Bedeutung, sieht er in den überwiegend von Mubarak eingesetzten Richtern doch
die einzige Kraft, die ihm und seinen Moslembrüdern noch die Macht streitig
machen könnte.
Umgekehrt sieht die säkulare Opposition, die einst die
Revolution gegen Mubarak getragen hatte, in den Methoden des zivilen
Ungehorsams und friedlicher Demonstrationen der einzige Weg der Gier nach
absoluter Macht, die Mursi in den vergangenen Wochen so unverfroren zu erkennen
gab, Einhalt zu gebieten, da sie weder bei dem Verfassungsreferenum, noch bei
den darauffolgenden Parlamentswahlen auf Sieg hoffen können. So ist Ägypten
heute mit der paradoxen Situation konfrontiert, wo ein Teil des Volkes im Namen
der Demokratie Wahlen, wie sie die Islamisten planen, verhindern will, um nicht
all das wofür sie so bitter gekämpft hatten, zu verlieren.
In Wahrheit geht es heute in Ägypten längst nicht mehr nur
darum, wer über das Land herrscht, sondern welche Elite – die islamische oder
die säkulare – in nächster Zukunft die Oberhand gewinnt. Auf welcher Seite
Militär und Sicherheitskräfte stehen, wie es um die Loyalität dieser
Institutionen zum Präsidenten bestellt ist, bleibt vorerst völlig unklar. Die
höchste islamische Autorität, Al Azhar, deren führende Geistliche einst von
Mubarak eingesetzt wurden, hat nun Mursi zur Versöhnung gerufen, zur Aufhebung
seiner Verfassungsdekrete. Ein klares Signal was Ägypten vor dem Abgrund retten
kann.
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