Neuer Dachverband hofft mehr Glaubwürdigkeit und internationale Anerkennung, die den Weg zu intensiver, auch militärischer, Unterstützung ebnet
von Birgit Cerha
(Bild: Moaz al-Khatib)
(Bild: Moaz al-Khatib)
„Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Bildung
einer breiten und repräsentativen Opposition, die die ganze Vielfalt der
syrischen Bevölkerung spiegelt.“ Mit diesen Worten fasst der britische Außenminister
William Haig die Hoffnung vieler seiner westlichen Amtskollegen zusammen, dass
sich ein Ausweg aus dem 20-monatigen syrischen Dilemma finden könnte: eine
seriöse und glaubwürdige Alternative zum Regime Assad, die eine breite
internationale Unterstützung möglich macht.
Fast wäre das Unternehmen gescheitert. Eine Woche lang hatten Vertreter der Gegner der Assad-Diktatur
in Katar um eine Überwindung ihrer tiefen Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten
gerungen. Zeitweise waren die Versuche als hoffnungslos erschienen. Doch
schließlich führte der massive internationale Druck zum Erfolg, und wohl auch
die die Angst, jede Chance auf internationale Unterstützung endgültig zu
verspielen, wenn sich die Opposition
nicht endlich zusammenschließt. Ein neuer Dachverband – „Nationale Koalition
revolutionärer Kräfte und der syrischen Opposition – wurde geboren, der den im
August 2011 gegründeten „Syrischen Nationalrat“ (SNR) ersetzt. Der SNR hatte sich in den vergangenen Monaten
zu einem höchst ineffizienten Debattierclub von Exil-Syrern entwickelt, der die
enge Verbindung zu den Rebellen im Land und die Kenntnis der Realitäten in der
Heimat vollends verloren hatte und durch interne Rivalitäten gelähmt ist. Von der
Moslembruderschaft dominiert hatte er es nicht geschafft, das Vertrauen der
Minderheiten, auch der Alawiten, zu denen das Assad-Regime zählt, zu gewinnen.
Zuletzt hatte US-Außenministerin Hillary Clinton klargestellt, dass Washington
dieser Oppositionsvertretung nicht traut.
In offensichtlicher Absprache mit den USA präsentierte der
säkulare Geschäftsmann und langjährige Dissident Riad Seif das Konzept einer
neuen Dachorganisation, dem der SNR schließlich Sonntag zustimmte, weil ihm 22
der 60 Sitze in der neuen Koalition eingeräumt wurden. Etwa ein Viertel der
Sitze sind für in Syrien lebende Oppositionelle reserviert, darunter je einen
Vertreter der 14 Provinzen. Repräsentanten aller Minderheiten sollen ihrer
Stärke entsprechend vertreten sein, heißt es aus Oppositionskreisen. Dem
Sonntag einstimmig zum Präsidenten der neuen Koalition gewählten sunnitischen
Geistlichen Moaz al-Khatib stehen Seif und Suhair Atassi, Tochter einer
berühmten politischen Familie, die eine der letzten offenen politischen
Diskussionsrunden in Damaskus gehalten hatte, zur Seite. Als dritter
Stellvertreter werden die Kurden einen aus ihren Reihen wählen.
Der syrische Ex-Premier Riyad Hijab, der sich im August ins
Ausland abgesetzt hatte, wertet die Gründung des neuen Dachverbandes als einen
entscheidenden Schritt, denn „nichts fürchtet das Regime mehr als die Einigung
der Opposition“.
In einem allerdings noch vage gehaltenen Zwölf-Punkte-Programm
setzt sich die neue Organisation den „‘Sturz des Regimes und aller seiner
Symbole und Säulen“ zum Ziel, schließt jeden Dialog mit den bisherigen
Herrschern aus und sieht die Vereinigung der militanten Rebellen unter einem
Hohen Militärrat vor, der militärische Unterstützung koordinieren und kontrollieren
soll. Die Verteilung militärischer Hilfe – bisher überwiegend aus Katar und
Saudi-Arabien – erwies sich als äußerst chaotisch, da es bisher keine Kommandozentrale
gibt. So wurden mehr einzelne unabhängig von anderen operierende Gruppen von
äußeren Kräfte direkt unterstützt. Das Fehlen jeglicher Kontrolle steigert die
Gefahr, dass Waffen in die Hände radikaler Islamisten, aber auch krimineller
Elemente geraten – ein Hauptargument für die Weigerung westlicher Staaten, allen
voran der USA, die militante Opposition tatkräftig zu unterstützen. Dies – so hoffen
Assads Gegner, werde sich nun ändern. Auch der türkische Außenminister
Davutoglu meint, es gäbe nun „keine Ausreden mehr für die internationale
Gemeinschaft, die syrische Opposition anzuerkennen“.
Der 52-jährige Al-Khatib, ehemaliger Imam der berühmten
Omayaden-Moschee in Damaskus, genießt unter Syrern den Ruf als Gemäßigter und
Integrationsfigur. Er hatte sich wiederholt offen gegen den Einsatz von Gewalt
durch das Regime ausgesprochen und war deshalb mehrmals verhaftet worden, bis
er schließlich im Juli ins Ausland flüchtete. In seiner ersten Rede nach der
Wahl forderte er „Freiheit für jeden Sunniten, Alawiten, Ismaili, Christen,
Drusen, Assyrer... und die Rechte“ aller Syrer. Er appellierte an die
internationale Gemeinschaft um humanitäre Hilfe, an die Soldaten Assads, zu
desertieren, rief aber nicht nach militärischer Unterstützung. Er hatte in den vergangenen Monaten intensiv vor
einer Eskalation der Gewalt gewarnt.
Die neue Gruppe hofft nun auf rasche internationale
Anerkennung und will erst dann eine „provisorische Regierung“ aus mindestens
zehn Personen bilden, die „die Revolution“ logistisch und militärisch „leiten“
soll . Ob sie allerdings die entscheidende Hürde nehmen kann, Glaubwürdigkeit unter den in Syrien agierenden
Oppositionellen zu gewinnen und die
Militanten unter ihre Kontrolle zu zwingen, ist fraglich. Eine Überwindung des
tiefen gegenseitigen Misstrauens und der Rivalitäten und Eigeninteressen, die
die Opposition in den vergangenen Monaten so fatal gelähmt hatten, ist dafür
unabdingbar.
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