Dienstag, 13. November 2012

Syriens Opposition schließt sich zusammen


Neuer Dachverband hofft mehr Glaubwürdigkeit und internationale Anerkennung, die den Weg zu intensiver, auch militärischer, Unterstützung ebnet
von Birgit Cerha

(Bild: Moaz al-Khatib) 
 „Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Bildung einer breiten und repräsentativen Opposition, die die ganze Vielfalt der syrischen Bevölkerung spiegelt.“ Mit diesen Worten fasst der britische Außenminister William Haig die Hoffnung vieler seiner westlichen Amtskollegen zusammen, dass sich ein Ausweg aus dem 20-monatigen syrischen Dilemma finden könnte: eine seriöse und glaubwürdige Alternative zum Regime Assad, die eine breite internationale Unterstützung möglich macht.
Fast wäre das Unternehmen gescheitert. Eine Woche lang  hatten Vertreter der Gegner der Assad-Diktatur in Katar um eine Überwindung ihrer tiefen Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten gerungen. Zeitweise waren die Versuche als hoffnungslos erschienen. Doch schließlich führte der massive internationale Druck zum Erfolg, und wohl auch die die Angst, jede Chance auf internationale Unterstützung endgültig zu verspielen, wenn  sich die Opposition nicht endlich zusammenschließt. Ein neuer Dachverband – „Nationale Koalition revolutionärer Kräfte und der syrischen Opposition – wurde geboren, der den im August 2011 gegründeten „Syrischen Nationalrat“ (SNR) ersetzt.  Der SNR hatte sich in den vergangenen Monaten zu einem höchst ineffizienten Debattierclub von Exil-Syrern entwickelt, der die enge Verbindung zu den Rebellen im Land und die Kenntnis der Realitäten in der Heimat vollends verloren hatte und durch interne Rivalitäten gelähmt ist. Von der Moslembruderschaft dominiert hatte er es nicht geschafft, das Vertrauen der Minderheiten, auch der Alawiten, zu denen das Assad-Regime zählt, zu gewinnen. Zuletzt hatte US-Außenministerin Hillary Clinton klargestellt, dass Washington dieser Oppositionsvertretung nicht traut.
In offensichtlicher Absprache mit den USA präsentierte der säkulare Geschäftsmann und langjährige Dissident Riad Seif das Konzept einer neuen Dachorganisation, dem der SNR schließlich Sonntag zustimmte, weil ihm 22 der 60 Sitze in der neuen Koalition eingeräumt wurden. Etwa ein Viertel der Sitze sind für in Syrien lebende Oppositionelle reserviert, darunter je einen Vertreter der 14 Provinzen. Repräsentanten aller Minderheiten sollen ihrer Stärke entsprechend vertreten sein, heißt es aus Oppositionskreisen. Dem Sonntag einstimmig zum Präsidenten der neuen Koalition gewählten sunnitischen Geistlichen Moaz al-Khatib stehen Seif und Suhair Atassi, Tochter einer berühmten politischen Familie, die eine der letzten offenen politischen Diskussionsrunden in Damaskus gehalten hatte, zur Seite. Als dritter Stellvertreter werden die Kurden einen aus ihren Reihen wählen.
Der syrische Ex-Premier Riyad Hijab, der sich im August ins Ausland abgesetzt hatte, wertet die Gründung des neuen Dachverbandes als einen entscheidenden Schritt, denn „nichts fürchtet das Regime mehr als die Einigung der Opposition“.
In einem allerdings noch vage gehaltenen Zwölf-Punkte-Programm setzt sich die neue Organisation den „‘Sturz des Regimes und aller seiner Symbole und Säulen“ zum Ziel, schließt jeden Dialog mit den bisherigen Herrschern aus und sieht die Vereinigung der militanten Rebellen unter einem Hohen Militärrat vor, der militärische Unterstützung koordinieren und kontrollieren soll. Die Verteilung militärischer Hilfe – bisher überwiegend aus Katar und Saudi-Arabien – erwies sich als äußerst chaotisch, da es bisher keine Kommandozentrale gibt. So wurden mehr einzelne unabhängig von anderen operierende Gruppen von äußeren Kräfte direkt unterstützt. Das Fehlen jeglicher Kontrolle steigert die Gefahr, dass Waffen in die Hände radikaler Islamisten, aber auch krimineller Elemente geraten – ein Hauptargument für die Weigerung westlicher Staaten, allen voran der USA, die militante Opposition tatkräftig zu unterstützen. Dies – so hoffen Assads Gegner, werde sich nun ändern. Auch der türkische Außenminister Davutoglu meint, es gäbe nun „keine Ausreden mehr für die internationale Gemeinschaft, die syrische Opposition anzuerkennen“.
Der 52-jährige Al-Khatib, ehemaliger Imam der berühmten Omayaden-Moschee in Damaskus, genießt unter Syrern den Ruf als Gemäßigter und Integrationsfigur. Er hatte sich wiederholt offen gegen den Einsatz von Gewalt durch das Regime ausgesprochen und war deshalb mehrmals verhaftet worden, bis er schließlich im Juli ins Ausland flüchtete. In seiner ersten Rede nach der Wahl forderte er „Freiheit für jeden Sunniten, Alawiten, Ismaili, Christen, Drusen, Assyrer... und die Rechte“ aller Syrer. Er appellierte an die internationale Gemeinschaft um humanitäre Hilfe, an die Soldaten Assads, zu desertieren, rief aber nicht nach militärischer Unterstützung.  Er hatte in den vergangenen Monaten intensiv vor einer Eskalation der Gewalt gewarnt.
Die neue Gruppe hofft nun auf rasche internationale Anerkennung und will erst dann eine „provisorische Regierung“ aus mindestens zehn Personen bilden, die „die Revolution“ logistisch und militärisch „leiten“ soll . Ob sie allerdings die entscheidende Hürde nehmen kann,  Glaubwürdigkeit unter den in Syrien agierenden Oppositionellen  zu gewinnen und die Militanten unter ihre Kontrolle zu zwingen, ist fraglich. Eine Überwindung des tiefen gegenseitigen Misstrauens und der Rivalitäten und Eigeninteressen, die die Opposition in den vergangenen Monaten so fatal gelähmt hatten, ist dafür unabdingbar.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen