Mittwoch, 14. November 2012

Irak findet keinen Frieden


Extremisten und frustrierte Bevölkerungsgruppen nützen die Schwäche eines zutiefst korrupten Regimes, um das Land für ihre Zwecke ins Chaos zu stürzen

von Birgit Cerha
  
Und wieder, wie fast jeden Monat, sucht eine großangelegte Serie von Attentaten den Irak heim. Das Terrormuster ist stets dasselbe: in Autos oder an Straßenrändern versteckte Sprengsätze, die fast gleichzeitig in mehreren Landesteilen explodieren. Zuletzt starben Mittwoch in Bagdad, Kirkuk, Hawija und Hilla mindestens 21 Menschen.  Ziel der Gewalt sind meist Angehörige der schiitischen Bevölkerungsmehrheit.
Auch diesmal war der Zeitpunkt bewusst gewählt: einen Tag vor Beginn des ersten Monats des islamischen Kalenders, Muharram, dessen erste zehn Tage für die Schiiten besondere Bedeutung besitzen, denn sie gedenken in dieser Zeit in besonderem Maße (etwa durch Umzüge und auch Selbstgeiselungen) des Märtyrertodes von Imam Hussein, des Enkels von Mohammed, 680 in Kerbala. Militante sunnitische Gruppen, darunter Al-Kaida im Irak, wählen seit Jahren regelmäßig religiöse schiitische Gedenktage für ihren blutigen Terror.
Wiewohl sich keine Gruppe zu den jüngsten Attentaten bekannte, steht  der „Islamische Staat des Iraks“ (ISI), wie sich dieser Al-Kaida-Ableger nennt, unter Hauptverdacht. Die Beteuerungen der Regierung Maliki, die Terrorwelle, die sich seit Jahresbeginn wieder wesentlich verstärkt hat, erreiche längst nicht mehr Ausmaß und Schrecken früherer Jahre, kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Iraks Sicherheitskräfte seit dem Abzug der US-Truppen vor fast einem Jahr nicht imstande sind, das Land zu Ruhe und Frieden zu führen.
Über die Motive der Terrorgruppen herrscht wenig Zweifel. ISI, aber auch andere arabisch-sunnitische Gruppierungen, die sich durch Malikis Politik diskriminiert fühlen, nützen die Schwäche des Regimes und seiner Sicherheitskräfte, um das Land ins Chaos zu stürzen, in der Hoffnung, damit die politische Dominanz der Schiiten zu beenden.  ISI, die - wie Al-Kaida-Führer Ayman al-Zawaheri gerade wieder betonte – das Konzept des Nationalstaates entschieden ablehnt, hat sich die Zerstörung des gesamten politischen Systems im Irak zum Ziel gesetzt. Die Extremisten finden fruchtbaren Boden in einer wachsenden politischen Krise, weitverbreiteter Unzufriedenheit und tiefer Frustration vor allem der  seit 2003 entrechteten arabischen Sunniten . Unklar bleibt hingegen, welche Kräfte im Irak diese Gewalttäter unterstützen und ob sie eine kohärente Strategie verfolgen oder einfach nur Chaos und Angst erzeugen wollen.
In einem seit Jahren anhaltenden Kampf irakischer Bevölkerungsgruppen, eine neue nationale Identität aufzubauen, die die tiefe Kluft zwischen Sunniten und Schiiten, Arabern und Arabern , sowie anderen Minderheiten überbrückt,  gelang es den politischen Führern bis heute nicht, nach jahrzehntelanger Diktatur, Kriegen und Sanktionen neue staatliche Strukturen, ja nicht einmal Gesetze zu schaffen, die die Verteilung der Öleinkünfte (90 Prozent der Devisenerträge) regelt oder die Sicherheit ausländischer Investitionen garantieren, wichtigste Voraussetzungen, um das Land aus wirtschaftlichem Chaos zu führen. Streitpunkte über die Verfassung, den föderativen Charakter des Staates, bleiben ungelöst. Maliki, der sich, machtbesessen, mehr und mehr zu einem neuen Diktator entpuppt, trägt dafür die Hauptverantwortung. Seit Beginn seiner zweiten Amtsperiode nach den Parlamentswahlen vom März 2010 versucht er intensiv, die Macht, vor allem auch über die Sicherheitskräfte, in seinen Händen zu konzentrieren, sei es durch Ausschaltung prominenter arabischer Sunniten, allen voran des unterdessen wegen angeblicher Mordkomplotte in absentia vier Mal zum Tode verurteilten Vizepräsidenten Tarek al-Hashemi , sei es durch seine direkte Kontrolle der für die Sicherheit des Landes wichtigsten Regierungsressorts. Unter seiner Führung ist der Irak laut „Transparency International“ nimmt der Irak auf der Liste der korrupten Staaten der Welt von 183 Ländern den achten Platz ein. Die Tatsache, dass sich die Korruption auch mehr und mehr in die zunehmend politisierten  Sicherheitskräfte einfrisst, öffnet Gewalt und Terror ungeahnte Möglichkeiten. Die ökonomische Misere der Massen – ungeachtet seiner enormen Ölschätze, liegt Iraks Pro-Kopf-Einkommen  weltweit auf Rang 162 – steigert die allgemeine Unzufriedenheit.
Diese interne politische und ökonomische Krise wird noch verschärft durch die regionale. Der Krieg in Syrien hat zweifellos Al-Kaida im Zweistromland bedrohlichen Auftrieb gegeben.

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