Ägyptens Präsident beschneidet die Macht der Justiz und
ebnet den Weg zu absoluter Herrschaft – Moslembrüder rüsten sich für die
Konfrontation
von Birgit Cerha
Die Führung der Moslembruderschaft, die Mohammed Mursi den Weg zum Präsidenten Ägyptens geebnet hatte, appelliert an ihre aktivsten Mitglieder, keine Auslandsreisen anzutreten und sich für die Konfrontation mit säkularen Gegnern zu rüsten. Kein Zweifel, Ägypten rückt 21 Monate nach dem Sturz Mubaraks neuen Turbulenzen immer näher und entfernt sich zugleich dramatisch dem von vielen der jungen Revolutionäre so heiß ersehnten Ziel der Freiheit, Würde und Demokratie.
Die Führung der Moslembruderschaft, die Mohammed Mursi den Weg zum Präsidenten Ägyptens geebnet hatte, appelliert an ihre aktivsten Mitglieder, keine Auslandsreisen anzutreten und sich für die Konfrontation mit säkularen Gegnern zu rüsten. Kein Zweifel, Ägypten rückt 21 Monate nach dem Sturz Mubaraks neuen Turbulenzen immer näher und entfernt sich zugleich dramatisch dem von vielen der jungen Revolutionäre so heiß ersehnten Ziel der Freiheit, Würde und Demokratie.
Mursi agiere wie ein „neuer Pharao“, indem er sich de facto
über das Gesetz stelle, empört sich der Friedensnobelpreisträger Mohammed
Baradei. „Er hat der Revolution einen schweren Schlag versetzt, der gravierende
Folgen haben könnte.“ Mursis Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen im
Juni, Amr Moussa, fürchtet erneute Rebellionen. Andere Kritiker, wie Hossam
Essa, Professor für Rechtswissenschaften, sprechen gar von „absolutem
Faschismus“.
Es sind Dekrete, mit denen der Ägyptens erster freigewählter
Präsident Donnerstag seine Macht drastisch ausweitete, die diese Empörung
auslöste. Mursis Beteuerung, es ginge ihm nur darum, die Errungenschaften der
Revolution zu schützen, überzeugen in diesen Kreisen kaum jemanden.
Mursi nützte seinen ersten außenpolitischen Erfolg –
Vermittlung eines Waffenstillstandes zwischen den Palästinensern in Gaza und
Israel -, um die Macht der Justiz drastisch zu beschneiden. Alle
Verfassungszusätze, Entscheidungen und Gesetze, die er seit seiner
Machtübernahme im Juni erlassen hatte, seien endgültig. Keine Rechtsmittel
könnten mehr gegen sie eingelegt werden.
Damit werden alle von der Justiz für ungültig erklärten Dekrete Mursis
wieder wirksam. Vor allem ging es dem Präsidenten darum, das in eine schwere
Krise geratene Verfassungskomitee vor einer von seinen Gegnern betriebenen
Auflösung zu schützen. Kein Justizorgan hat nunmehr das Recht, dieses Komitee
oder den Schura-Rat, die zweite Kammer des Parlaments, aufzulösen.
Die hundert Mitglieder zählende Verfassungsgebende
Versammlung sollte bis Dezember ein neues Grundgesetz erarbeiten. Nach dessen
Billigung durch das Volk in einem Referendum sollen die Ägypter ein neues
Parlament wählen. Doch der Prozess geriet in die Sackgasse, weil die
islamistische Mehrheit im Komitee Verfassungsartikel durchzuboxen versuchte,
die den Weg Ägyptens zu einer islamischen Republik zu ebnen drohten, die
Gleichberechtigung der Frauen und der religiösen Minderheiten nicht garantiere.
Ein Drittel der Ratsmitglieder – alle
Vertreter der liberalen und säkularen Strömung im Land, sowie der acht
Millionen Kopten und anderen christlichen Minderheiten – verließen aus Protest
die Versammlung und verloren nach ihren Aussagen die Hoffnung, ein Grundgesetz
zu schreiben, das auf Konsens beruht und allen Bevölkerungsgruppen im Land
gerecht wird. Sie hofften, mit Hilfe der Justiz, die Wahl eines neuen Komitees
durchzusetzen, in dem die Islamisten nicht mehr dominieren würden. Diese
Möglichkeit ist nun verbaut. Mursi verlängerte hingegen die Frist bis zur
Fertigstellung des Verfassungsentwurfes um zwei Monate.
Vor allem irritiert Rechtsexperten Mursis Entscheidung, dass
alle seine Entscheidungen „endgültig sind und nicht angefochten werden können“.
Er beginne so, mehr Macht in seinen Händen zu konzentrieren, als der
autokratische Herrscher, gegen den sich die Ägypter im Januar und Februar 2011
erhoben hatten. Und vor allem: „Der Präsident hat sich das Recht gegeben, das
vom Verfassungsgericht im Juni wegen Wahlfehlern aufgelöste – von Islamisten
dominierte – Parlament wieder einzusetzen. Bei Neuwahlen wäre jetzt ein derart
überwältigender Sieg dieser Strömung unwahrscheinlich.
Durch die nun verfügte Absetzung des von Mubarak
eingesetzten und unter den revolutionären Aktivisten verhassten
Generalstaatsanwaltes Abdel Meguid Mahmud, dessen Demission im Oktober am Widerstand der Justiz gescheitert war,
hofft Mursi offenbar seine säkularen Gegner zu beschwichtigen. Dem selben Ziel
soll der Entschluss dienen, die Prozesse wieder aufzurollen, in denen
mutmaßliche Verantwortliche für die Tötung von Demonstranten bei den Protesten
gegen Mubarak 2011 entweder freigesprochen oder nur milde bestraft worden
waren. Auch der Prozess gegen den zu lebenslanger Haft verurteilten Ex-Diktator
könnte damit von neuem beginnen.
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