Durch ihre zwiespältige Haltung zu den Protesten, riskieren islamische Führer eine schwere Krise mit dem Westen, dessen Hilfe sie dringend benötigen
von Birgit Cerha
Hintergründe und Ursachen der absurden und doch so tragischen Krawalle der vergangenen Tage fußen keineswegs nur in einem latenten, sich angeblich stetig steigernden Anti-Amerikanismus. Sie sind weit vielfältiger. Jüngste Statistiken lassen zwar erkennen, dass ungeachtet der Bemühungen US-Präsident Obamas um Verständigung und Aussöhnung mit der islamischen Welt nur 15 Prozent der Bevölkerung islamischer Staaten positiv zu den USA stehen. 2009 waren es noch 25 Prozent. Die Ursachen dafür sind die anhaltende Israel-Unterstützung Washingtons im Palästinenserkonflikt, die US-Kriege im Mittleren Osten und der jahrzehntelange Bund der USA mit Despoten der Region. Obamas politische Korrekturversuche gelten weithin als zu spät und zu wenig.
Anderseits ist aber etwa Ägyptens junge Generation weit weniger religiös als der Älteren, 35 Prozent der Ägypter setzen sich für ein Beibehalten der engen Beziehungen zu den USA ein, während sogar 20 Prozent eine Stärkung der Bande erstreben. In Libyen und Tunesien liegen die Sympathien für die Supermacht noch weit höher.
In vielen Ländern, wie etwa im Sudan, hat das schockierende Mohammed-Video diversen Randgruppen von radikalen Unzufriedenen die Chance geboten, ihren Frustrationen wegen Armut etwa, Unterdrückung oder anderen Interessen gewaltsam Luft zu lassen. In Libyen, Tunesien, im Jemen und vor allem auch in Ägypten spielt der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung, ein immer noch anhaltendes Sicherheitsvakuum als Folge des „arabischen Frühlings“ eine entscheidende Rolle. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Zwiespältigkeit der neuen Herrscher in Ägypten, wo Präsident Mubarak und seine Moslembruderschaft als Folge einer toxischen Mischung von Schwäche, Angst, Opportunismus und Komplizenschaft erst nach zwei Tagen die sonst so gar nicht repressionsscheuen Sicherheitskräfte zum Einschreiten gegen die Gewalt rief und diese spät und nur zaghaft kritisierte, wohl aus Angst, von radikaleren islamischen Gruppen, wie den Salafisten, politisch überflügelt zu werden. Der Mehrheit der sich nach Ruhe und Stabilität sehnenden Ägypter aber dürfte nicht entgangen sein, dass die salafistische Nour-Partei, ja sogar die der Gewalt abgeschworene einstige Terrororganisation „Gamaa al Islamiya“ weit energischer als der Präsident die Attacken auf westliche Botschaften als „illegal und gegen islamisches Recht“ kritisierten.
Mursi erweist sich damit als höchst zweifelhafter Bündnispartner der Supermacht. Obama stellte dies auch unverhohlen klar. Wiewohl ihm und anderen westlichen Führern in der Frage des Films nach den Grundprinzipien der Meinungsfreiheit die Hände gebunden sind, besitzen die USA und europäische Staaten starke Druckmittel, um Mursi zu staatsmännischem Verhalten zu zwingen. An erster Stelle stehen US-Militär- und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe, westliche Investitionen, die die dahinsiechende Wirtschaft ebenso wie den anhaltenden Touristenstrom so dringend benötigt. Vor allem aber geht es auch um den Bündnisstatus, gegenseitige Beistandshilfe zwischen den USA und Ägypten, den Obama nun drohend offen in Zweifel zieht. Mursi könnte damit mittelfristig seine Macht riskieren. Gelingt es ihm nicht, die Wirtschaft nach den Turbulenzen des „Arabischen Frühlings“ wieder anzukurbeln, die wachsende Not der armen Massen zu lindern – Voraussetzung dafür ist die Hilfe des Westens -, riskiert er offenen Konflikt mit den USA dann könnte sich rasch der Zorn vieler Ägypter gegen ihn selbst richten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen