Wer das historische Handels- und Industriezentrum Aleppo und auch Damaskus kontrolliert, beherrscht das Land
von Birgit Cerha
Regierungssoldaten gelang es durch massiven Einsatz in den vergangenen Tagen den jüngst auch in Damaskus ausgebrochenen gewaltsamen Widerstand zu brechen. Doch in Aleppo begannen heftige Kämpfe zu toben, nachdem Rebellen in die Stadt eingedrungen waren und offenbar unter der durch verschärfte internationale Wirtschaftssanktionen in Verzweiflung getriebenen lokalen Bevölkerung zunehmend Sympathisanten gefunden hatten. Ein Verlust Aleppos hätte für das Regime katastrophale Auswirkungen.
Die Stadt ist neben Damaskus nicht nur von entscheidender politischer Bedeutung für die Herrschaft Assads. Die Altstadt ist ein Juwel, das die UNESCO 1986 zum „Weltkulturerbe“ erklärt hatte. Sie ist neben Damaskus eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Welt, gelegen an einigen der ältesten ab dem 2. Jahrtausend vor Christus frequentierten Handelsrouten. Die Hettiter, Assyrer, Akkadier, Griechen, Römer Umayyaden, Ayyubiden, Mameluken und Osmanen hatten die Stadt beherrscht und ihr ihre bis heute erkennbaren Stempel aufgedrückt. Die monumentale Zitadelle erhebt sich über die alten Suks, Moscheen und Madrassen (Koranschulen), eingeschlossen durch eine Stadtmauer – ein Zeugnis arabischer Militärmacht des 12. Bis 14. Jahrhhunderts. Unzählige Reisende und Kaufleute, die in Aleppo während ihrer Reise auf der Seidenstraße Station machten, beschreiben die einzigartige Schönheit dieser Stadt.
Aleppo, 350 km nördlich von Damaskus und nur 60 km von der türkischen Grenze gelegen, hat stets einen besonderen Status in Syrien eingenommen. Die Stadt ist ein Schmelztiegel, der im wesentlichen die Bevölkerungsstruktur Syriens reflektiert: mehrheitlich arabische Sunniten, viele Kurden und die größte Konzentration an Christen in Syrien, sowie Angehörige der herrschenden alawitischen Minderheit und Drusen. Ähnlich wie Damaskus ist es die von Sunniten dominierte Geschäftswelt Aleppos, die bis jetzt unerschütterlich treu zum Assad-Regime gestanden war. Es ist jene Elite, die – Ironie der Geschichte – unter der Revolution, die 1963 die bis heute herrschende Baath-Partei an die Macht gespült hatte, am meisten gelitten hatte. Doch die Stabilität, die der Vater des jetzigen Präsidenten, Hafez el-Assad, seit seiner Machtübernahme 1971 vor allem auch durch einen Bund mit der sunnitischen Kaufmanns-Elite garantierte, machten Aleppo und in geringerem Maße auch Damaskus zur entscheidenden Stütze des Regimes.
Seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches vor mehr als hundert Jahren haben sich diese einflußreichen Geschäftsleute von Damaskus und Aleppo kaum je an Aktionen beteiligt, die die Stabilität ihrer Städte und vor allem ihre kommerziellen Interessen gefährdet hätten. 1925 hatte sich zwar Damaskus der zweijährigen „Großen syrischen Revolte“ gegen die französische Mandatsherrschaft angeschlossen, doches mußte dafür einen größeren Preis bezahlen als alle anderen Regionen zusammen. Aleppo hatte sich nicht beteiligt, auch nicht an der sog. „Aleppo-Revolte“ gegen Frankreich von 1919, über die Geschichtsbücher berichten, die jedoch nur Vororte der Stadt erfaßt hatte. Auch später, bis zuletzt, weigerte sich die Geschäftswelt der Stadt fast immer, sich an Streiks oder anderen Protestaktionen zu beteiligen.
Diese Haltung schützte aber im vergangenen Jahr Aleppos Händler, Industrielle und Landwirte nicht vor einem dramatischen Niedergang ihrer Geschäfte. Sanktionen, radikaler Mangel an Treibstoff, der in zunehmendem Maße für das kämpfende Militär abgezweigt wurde, zwang viele Fabriken ihre Arbeit einzustellen. Die Landwirtschaft im „syrischen Brotkorb“ der Provinz Aleppo liegt darnieder, die dramatische Eskalation der Kämpfe, begleitet von ungeheuerlichen Brutalitäten dürfte zunehmend auch Aleppos Geschäftselite zum Umdenken zwingen. Der Verlust Aleppos aber würde Assad nicht nur eines wichtigen politischen Rückhalts berauben, sondern auch der ökonomischen Lebensader seines Regimes.
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