Montag, 9. Juli 2012

Mursi wagt den Machtkampf mit Ägyptens Junta

Rechtsstreit über Auflösung des Parlaments durch den“ Höchsten Militärrat“ spaltet das Land – Was aber steckt tatsächlich dahinter?


von Birgit Cerha

Auf den ersten Blick mag es erscheinen, Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi hat in seiner ersten Herausforderung des mächtigen Militärs in nur zehn Tagen seit seinem Machtantritt eine schwere Schlappe erlitten. Das Höchste Verfassungsgericht bekräftigte Montag nach einer Dringlichkeitssitzung, seine Entscheidung von Mitte Juni sei „endgültig“, eine Berufung dagegen sei nicht möglich. Die Höchsten Richter hatten Teile der ersten freien Parlamentswahlen vom Vorjahr für verfassungswidrig erklärt. Der seit dem Sturz Präsident Mubaraks herrschende „Höchste Militärrat“ hatte diesen Entscheid zum Anlass genommen, um das Parlament aufzulösen, selbst die legislative Macht zu übernehmen, sich ein Vetorecht über eine neue Verfassung zu sichern und andere wichtige Funktionen, um so de facto den neuen Präsidenten zu einer Gallionsfigur zu reduzieren. Auf den ersten Blick mag es erscheinen, Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi hat in seiner ersten Herausforderung des mächtigen Militärs in nur zehn Tagen seit seinem Machtantritt eine schwere Schlappe erlitten.



Das Höchste Verfassungsgericht bekräftigte Montag nach einer Dringlichkeitssitzung, seine Entscheidung von Mitte Juni sei „endgültig“, eine Berufung dagegen sei nicht möglich. Die Höchsten Richter hatten Teile der ersten freien Parlamentswahlen vom Vorjahr für verfassungswidrig erklärt. Der seit dem Sturz Präsident Mubaraks herrschende „Höchste Militärrat“ hatte diesen Entscheid zum Anlass genommen, um das Parlament aufzulösen, selbst die legislative Macht zu übernehmen, sich ein Vetorecht über eine neue Verfassung zu sichern und andere wichtige Funktionen, um so de facto den neuen Präsidenten zu einer Gallionsfigur zu reduzieren. Keineswegs nur Mursis große Anhängerschar, auch Kreise revolutionären Aktivisten und Liberale sprachen von einem „De-facto Putsch“ der Militärs unmittelbar vor den ersten freien Präsidentschaftswahlen, nachdem sich ein Sieg Mursis abgezeichnet hatte und damit jener islamistischen Bewegung, die jahrzehntelang von ägyptischen Regimen, vom Militär und politischen Establishment bitter und brutal bekämpft worden war.




Dass der Militärrat nach verwirrend langen Tagen der „Stimmenauszählung“ tatsächlich Mursis Sieg über seinen Wunschkandidaten Shafik akzeptierte, ließ viele politische Analysten am Nil vermuten, die betont pragmatischen Moslembrüder hätten hinter den Kulissen einen „Deal“ mit den Militärs geschlossen. Dieser Verdacht ist nun aber keineswegs zerstreut. Zwar löste Mursi Sonntag einen Schock aus, als er scheinbar die erste große Konfrontation mit den Offizieren wagte und das aufgelöste Parlament, in dem die Partei der Moslembrüder fast die Mehrheit der Sitze hält, einberief. In Kreisen des politischen Establishments, aber auch unter Liberalen löste dieser Schritt Empörung und Ängste aus, dass die Islamisten unter Mursis Führung unter krasser Missachtung der Rechtsstaatlichkeit die politische Landschaft vollends zu monopolisieren suchten und ein „autoritäres Klima“ schaffen wollten. Der Verfassungsexperte Ibrahim Darwish sprach gar von der „schlimmsten Attacke (gegen die Justiz) in der Geschichte Ägyptens“.




In Wahrheit aber ist die Lage weit komplexer. Tatsächlich hat Mursi, wie seine Berater auch bekräftigen, nicht die höchsten Richter herausgefordert, sondern direkt das Militär, das- zumindest vorerst – alle Macht in seinen Händen zu konzentrieren sucht. Denn es war nicht das Gericht, sondern der Militärrat, der die Auflösung des Parlaments dekretiert hatte. Diesen Schritt rückgängig zu machen, war eines der zentralen Wahlversprechen Mursis gewesen. Es ging um seine Glaubwürdigkeit.
Was sich heute am Nil ereignet, stürzt selbst die klügsten politischen Analysten in Verwirrung. Der Präsident trotzt offen den Offizieren einen Teil der Macht ab, zeigt sich wenige Stunden später in friedlicher Eintracht neben Junta-Chef Feldmarschall Tantawi bei einer Feier in einer Militärakademie. Kurz zuvor hatten Sicherheitskräfte, die seit Mitte Juni das Parlamentsgebäude hermetisch abriegeln, Abgeordnete in das Haus eingelassen und alle Anzeichen sprechen dafür, dass das Parlament heute, Dienstag, wie vom Präsidenten gewünscht, ohne militärischen Widerstand zusammentreten wird.



Doch ein Deal hinter verschlossenen Türen? Beide Seiten könnten davon gewinnen: Mursi hält sein Wahlversprechen ein und sammelt Punkte unter seinen Anhängern. Zugleich riskieren die Offiziere keinen tatsächlichen Machtverlust, da Gesetze, die die Abgeordneten beschließen könnten, wohl für verfassungswidrig deklariert würden. Zugleich versprach Mursi, ganz dem Willen des Militärs entsprechend, 60 Tage nach Billigung der nun zu erarbeitenden Verfassung durch ein Referendum Neuwahlen. Und die für Ägyptens Zukunft viel wichtigere Frage, wer nun wirklich die Verfassung erarbeitet und ob die Offiziere tatsächlich ihr Vetorecht beibehalten und damit enorme Privilegien durchsetzen können, bleibt unberührt.

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