Syriens militante Opposition rückt immer näher an die Zentren der Macht – Doch ihr Sieg ist noch lange nicht gewiss
von Birgit Cerha
Seit Ausbruch der Kämpfe gilt es als unverrückbare Weisheit, dass das Regime erst verwundbar ist, wenn auch die beiden größten Städte des Landes – Damaskus und das bisher ruhige Aleppo –, wo die Profiteure jahrzehntelanger Stabilität unter der Diktatur der alewitischen Minderheit, die Elite des Regimes und die wohlhabenden Geschäftsleute, die weitgehend geschützten religiösen und auch viele der teilweise weniger geschützten ethnischen Minderheiten residieren, sich gegen die Diktatur erheben. Ob die bewaffneten Rebellen tatsächlich die Damaszener in großen Massen hinter sich zu scharen vermögen, bleibt vorerst ungewiss. Die Angst vor dem „Danach“ ist für viele all zu quälend.
Dennoch besitzt der nun auch in das Herz von Damaskus eingedrungene Krieg – zunächst - enorme symbolische und psychologische Bedeutung. Die Attacken der Opposition so nahe an den Machtzentren versetzen dem Regime ohne Zweifel einen beträchtlichen moralischen Schlag. Sie demonstrieren die Unfähigkeit der Regierungsstreitkräfte, die Gegner zu besiegen. Strategisch zwingen sie das Regime, Einheiten von anderen umkämpften Regionen abzuziehen und in der Hauptstadt zu konzentrieren. Zwar hat Assad bisher die Kontrolle über keine der Provinzen des Landes verloren, doch die Rebellen halten in allen wichtigen Regionen Widerstandsnester, die Assad nach und nach zu zerschlagen sucht. Während sich die Sicherheitskräfte auf die volle Verteidigung wichtiger Städte und Verkehrsadern konzentriert, fehlt es ihnen an Einsatzkräften, um auch strategisch weniger bedeutsame Regionen voll unter Kontrolle zu halten.
Militärexperten sind jedoch von der den Rebellen immer noch weit überlegenen Kampfkraft der Streitkräfte Assads überzeugt. Auch die Bedeutung der beginnenden Welle von Desertionen dürfte nach Einschätzung von intimen Kennern der syrischen Verhältnisse von Regimegegnern – wohl aus Propagandagründen – weit übertrieben werden. So ist zwar schon vor dem Botschafter in Bagdad, Nawaf Fares General Manaf Tlas, der Sohn des jahrzehntelangen Verteidigungsministers Mustafa Tlas, wichtiges Bindeglied zwischen einflußreichen Sunniten-Familien mit dem alawitischen Regime, abgesprungen. Andere Desertionen folgten unter Diplomaten und Offizieren, darunter – bedeutsam – auch jene Adnan Salos, des ehemaligen Chefs des chemischen Waffenprogramms, und der Leiter der politischen Sicherheitsabteilung in Damaskus. Zugleich nimmt auch die Flucht führender Geschäftsleute ins Ausland zu. Doch das Gros syrischer Offiziere bleibt dem Regime treu, die Armee bleibt weitgehend intakt.
Die herrschende Schichte hält weitgehend geschlossen zusammen. Erst wenn Persönlichkeiten, wie Jamal Hassan, Abdel Fata Qudsiyeh, Ali Mamlouk und Mohammed Dib Zaitun – die Chefs der vier wichtigsten Geheimdienste – sowie der Führer des nationalen Sicherheitsrates und wichtigster Berater Assads in Geheimdienstangelegenheiten, Hisham Bakhtiar, dem Präsidenten die Treue verweigern, ist Syriens Herrscher in ernster Gefahr.
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