Freitag, 6. Juli 2012

Libyens erster Test der Demokratie

Kein Zweifel: Die ersten freien Wahlen nach vier Jahrzehnten Gadafi-Diktatur versetzen viele Libyer in euphorische Gefühle. Fast 80 Prozent der 2,9 Millionen Wahlberechtigten haben sich registriert. Mit einer hohen Beteiligung ist deshalb heute, Samstag, zu rechnen. Unter etwa 4.000 Kandidaten - die meisten Unabhängige, während rund 400 politische Parteien repräsentieren – werden die Libyer einen „Allgemeinen Nationalen Kongreß“ wählen, der den seit dem Sturz Gadafis im Vorjahr reigerungen „Nationalen Übergangsrat“ ablösen wird.Die Wahlen hätten schon am 19 Juni stattfinden sollen, wurden jedoch wegen „technischer Probleme“ und Protesten durch disqualifizierte Kandidaten verschoben. Seit der Revolution erneut aufgebrochene Konflikte und Rivalitäten zwischen den verschiedenen Regionen des Landes haben im Vorfeld der Wahlen Unruhen ausgelöst. Insbesondere in der ostlibyschen Region um Benghasi kam es zu Attacken auf Wahllokale. Die in ölreichem Territorium lebenden Ostlibyer fürchten traditionell die Übermacht der west-libyschen Bevölkerungsmehrheit und beklagen nun auch, dass sie in dem neu zu wählenden Kongress unterrepräsentiert sein werden. Etwa die Hälfte der 200 Sitze sind für West-Libyen, einschließlich der Hauptstadt, reserviert, rund 60 für den Osten und 40 für den dünnbesiedelten Süden. Während die Struktur des neuen Libyen noch völlig ungewiß ist, erschallt im Osten immer lauter der Ruf nach Autonomie.

Der Übergangsrat hatte Ende des Vorjahres ein straffes Übergangsprogramm verabschiedet. Danach sooo der neugewählte Kongreß in seiner ersten Sitzung einen Vorsitzenden bestellen und binnen 30 Tagen einen Premierminister. Vor allem wird der Kongreaa aber eine hundertköpfige Verfassungsgebende Versammlung wählen, in der – als Zugeständnis vor allem an das unruhige Benghasi – alle drei libyschen Regionen zu gleichen Teilen vertreten sein sollen. Diese Versammlung muss das fast Unmögliche schaffen: eine neue Verfassung in nur zwei Monaten. Diese wird dann der Bevölkerung zur Billigung in einem Referendum präsentiert. Bis zum Mai 2013 muss dann ein neues Parlament gewählt werden.

Das Wahlergebnis vom Samstag läßt sich kaum erahnen, da es auch keine Meinungsumfragen gibt. Manches deutet aber auf eine starke Präsenz islamistischer Kräfte, die drei Parteien unter prominenter Führung stellen, und eine schwache Vertretung liberaler und säkularer Gruppierungen hin. Ehemalige Anhänger des Gadafi-Regimes wagen sich – derzeit? – nicht in den politischen Prozeß.
ende

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