Sonntag, 22. Juli 2012

Assads barbarische Rache

Syriens Präsident treibt sein Volk in die Flucht , doch ein Ende des Grauens ist noch nicht abzusehen

von Birgit Cerha

Wie ein verwundetes wildes Tier schlägt das syrische Regime nach dem tödlichen Anschlag auf vier zentrale Figuren im Sicherheitssystem der Herrschaft Baschar el Assads vom vergangenen Mittwoch um sich. Panzer und schwere Artillerie bombardieren Wohnviertel in der Hauptstadt Damaskus, während sich am Wochenende erstmals seit Beginn der Rebellion vor 16 Monaten auch die dem Diktator treueste aller Städte, das Handelszentrum Aleppo, erhob. Das Regime wankt und scheut in seinem dramatischen Überlebenskampf, in der Entschlossenheit, verlorenes Terrain, wie etwa Vorstädte von Damaskus, zurück zu gewinnen, keine Brutalität. Der Diktator werde „das Land niederbrennen. Er kann nicht fallen, ohne ein Blutbad anzurichten“, warnt der abgesprungene General Mustafa Sheikh. Die Angst, Assad werde, wie einst sein exekutierter Amtskollege im Nachbarland Irak, Saddam Hussein, im Kampf gegen die rebellischen kurdischen Untertanen, seine Herrschaft durch den Einsatz von Giftgas zu retten versuchen, versetzt die Syrer in Panik. Zehntausende flüchteten in den vergangenen Tagen aus Damaskus, aus Aleppo und anderen Regionen in den Libanon, nach Jordanien, in die Türkei und den Irak. Nach Schätzungen der UNO haben Assads Schergen bisher mindestens eine Million Menschen aus ihren Heimen verjagt.
Syrien besitzt nach Einschätzung von Militärexperten eines der größten Chemiewaffen-Arsenale der Welt, die an mehreren Orten im Land, meist in Bunkern, gelagert sind. Wiederholte Meldungen der vergangenen Tage über ungewöhnliche Bewegungen dieses Waffenarsenals, gibt den Gerüchten über einen bevorstehenden Einsatz dieser barbarischen Waffe gegen Rebellen und damit auch wahllos gegen Zivilisten dramatische Nahrung.

Das Attentat vom Mittwoch hat die 16-monatige Rebellion gegen eines der brutalsten Regime des Orients in eine neue Phase getrieben. Es hat dem wirren Haufen der Rebellen enormen Auftrieb gegeben. Seit sie die, wie sie es nennen, „Entscheidungsschlacht“ in Damaskus vor einer Woche begannen und damit Truppenverlegungen aus seit langem umkämpften Regionen in die Hauptstadt erzwangen, eroberten sie wichtige Grenzübergänge in die Türkei und in den Irak. Im ganzen Land gewinnt der Aufruhr an Stärke. Immer größere Gebiete im Westen und Nordwesten sind bereits für Regierungssoldaten unzugänglich. Die Eskalation des Krieges der vergangenen Tage hat der internationalen Diplomatie, die letzte Chance, sollte sie tatsächlich je eine gehabt haben, geraubt. Die 30-tägige Verlängerung des Mandats der – ohnedies machtlosen - UNO-Beobachter, hat kaum symbolischen, geschweige denn praktischen Wert.

Dennoch: Ein Ende des Grauens läßt sich nicht absehen. Zwar besitzen die Rebellen unter der einigermaßen unsicheren Führung der „Freien syrischen Armee“ (FSA), deren Corps von abgesprungenen Offizieren bereits auf etwa hundert angewachsen ist, durchaus eine Chance, Aleppo zu befreien. Die Loyalität der während der 40-jährigen Diktatur reich gewordenen, überwiegend sunnitischen Geschäftswelt, ist durch die grausigen Repressionenschwer erschüttert. Die Entscheidung zur offenen Rebellion brachten aber die mächtigen lokalen Scheichs der Region, die sich als Folge des Attentats den Rebellen anschlossen. Wichtige Regionen außerhalb Aleppos sind bereits unter Kontrolle der FSA. Doch Assads militante Gegner sind gespalten, schlecht organisiert und militärisch der Armee weit unterlegen. Sie können, wie sich anderswo, zuletzt auch in Damaszener Vororten zeigte, eroberte Gebiete, die die Regierungstruppen wieder unter ihre Kontrolle bringen wollen, nur schwer halten. Aleppo droht eine gigantische humanitäre Katastrophe, denn die Stadt ist nach manchen Schätzungen durch einen Flüchtlingsstrom aus der umkämpften Umwelt auf bis zu neun Millionen Menschen angeschwollen.

Das Regime hat über das Wochenende bewiesen, dass es trotz der schweren Verluste seine Schlagkraft nicht eingebüßt hat. Dennoch: Im nördlichen, überwiegend von Sunniten bewohnten Damaskus kommandiert Maher Assad, der jüngere Bruder und nun wichtigste Stütze des Präsidenten, der während der Rebellion seine hemmungslose Grausamkeit immer wieder bewiesen hat, die Kämpfe. Wie lange die überwiegend sunnitischen, durch 16-monatigen Einsatz wohl völlig erschöpften Soldaten noch mittun, ist eine für das Überleben des Regimes entscheidende Frage.
Assad hat kaum noch eine Option. Wird er Rußlands Angebot doch noch annehmen und in eine Dacha ziehen? Hält das Morden an, schließt sich auch dieser letzte Fluchtweg und Syrien schlittert noch tiefer in die Katastrophe.

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