Der kleine Levantestaat wird erneut zur Geisel eines blutigen regionalpolitischen Konflikts – Droht ein neuer Bürgerkrieg? von Birgit Cerha
„Im Libanon hat eine Phase langanhaltender Instabilität begonnen“, warnt der Libanon-Analyst Ayham Kamel und er vermag keine Strategie zu erkennen, durch die die bedrohlichen Entwicklungen im Interesse der Libanesen voll unter Kontrolle gehalten werden könnten. Kamels alarmierende Analyse folgt einer Reihe von Gewaltakten, die von dem an Syrien grenzenden Nord-Libanon bis in die Hauptstadt Beirut übergriffen und stets latente Ängste der nach 15-jährigem grausigen Bürgerkrieg (1975 bis 1990) zutiefst zermürbten Libanesen vor einer Neuauflage hemmungslosen Blutvergießens verstärkte Nahrung geben. Die Tötung des prominenten sunnitischen Geistlichen Ahmed Abdul Wahid und eines Mitarbeiters bei einem Straßenkontrollpunkt im Nord-Libanon durch einen libanesischen Soldaten, löste blutige Kämpfe zwischen Sunniten und Alawiten, Angehörigen der in Syrien herrschenden Glaubensgemeinschaft aus. Scheich Wahid hatte sich intensiv um einen Teil der insgesamt 24.000 syrischen Flüchtlinge – überwiegend Gegner des Assad-Regimes – im Libanon angenommen. Zuvor hatte schon die Festnahme des sunnitischen Islamisten Shadi Mawlawi unter dem Vorwand, er erhielte finanzielle Unterstützung eines reichen Bürgers von Katar und gehöre der Al-Kaida an, blutige Kämpfe provoziert. Zuletzt sorgte die Entführung schiitischer libanesischer Pilger, die aus dem Iran auf der Heimreise in Syrien Station gemacht hatten, für gewaltsame Protestaktionen libanesischer Schiiten. Die von dem sunnitischen Premier aus dem nord-libanesischen Tripoli geführte Regierung in Beirut versucht unterdessen, ebenso wie deren mächtiger Koalitionspartner Hisbollah, die Wogen zu glätten, damit der Libanon nicht erneut von einer Flutwelle der Gewalt überschwemmt werde. Die Armee entschuldigte sich für den Tod Wahids, Mawlawi wurde gegen Bezahlung einer Strafe von 333 Dollar freigelassen und auch die entführten Pilger dürften bald wieder heimkehren. Die Hochspannung aber bleibt. Denn je länger der blutige Konflikt zwischen Opposition und Regime im großen syrischen Nachbarn andauert, desto mehr sinkt die Chance des Libanons, sich aus diesem Konflikt heraus zu halten. Obwohl die syrische Armee 2005 nach 29 Jahren ihre Truppen aus dem Libanon abgezogen hatte, blieb der Einfluss des damaszener Regimes auf Politik und Sicherheitskräfte de facto bis heute ungebrochen. Doch das Land ist seit 2005 gespalten in einen starken das syrische Assad-Regime unterstützenden Block, angeführt von den Schiitengruppen Hisbollah und Amal, eine drusischen Splittergruppe und etwa der Hälfte der politische organisierten Christen des Landes. Sie vertreten, wie Assad, die Überzeugung, dass es bei dem Syrienkrieg in Wahrheit um eine gewaltsame Veränderung der regionalen Ordnung zum Nachteil des expandierenden Irans mit stillschweigender Unterstützung des Westens durch arabische Golfstaaten gehe. Auf der anderen Seite stehen die Sunniten, die andere Hälfte der Christen, die meisten Drusen, die die Revolte in Syrien als Teil des „arabischen Frühlings“ erachten. Die Syrienkrise hat die Kluft zwischen den beiden Blöcken entscheidend, ja vielleicht unüberbrückbar vertieft. Zentrum der aktuellen Krise im Libanon ist der an Syrien grenzende Norden mit der zweitgrößten Stadt des Landes, Tripoli mit seiner sunnitischen Bevölkerungsmehrheit, die sich seit langem von der von Schiiten dominierten Beiruter Regierung bitter vernachlässigt fühlt. In den vergangenen Monaten wurde Tripoli und der nahe der Grenze liegende Bezirk Akkar zu einer wichtigen Basis für die Unterstützung der sunnitischen Rebellen gegen Assad. Von Akkar aus beschießen Kämpfer häufig syrische Armee-Positionen, vor allem mit dem Ziel, eine stets an Bedeutung zunehmende Schmuggelroute für Waffen und andere materielle Unterstützung der Rebellen aus dem Libanon abzusichern. Zugleich entwickelte sich Tripoli zur Brutstätte radikaler sunnitischer Salafisten, die weitgehend ungehindert und zunehmend von Saudi-Arabien und Katar unterstützt ihren syrischen Gesinnungsgenossen Hilfe leisten. Auch amerikanische Waffen sollen auf diesem Wege zu den syrischen Rebellen gelangen. Das syrische Regime, so erläutert Hilal Khashan, Politologieprofessor an der Amerikanischen Universität in Beirut, könne nicht zulassen, dass seine Opposition im Nordlibanon eine starke Basis aufbaut. Beiruter Analysten sind davon überzeugt, dass die jüngsten blutigen Zwischenfälle von Syrien über seine libanesischen Verbündeten angezettelt worden waren, als deutliche Warnung nicht nur an den Libanon, sondern die gesamte Region, dass Damaskus immer noch die Macht besitzt , den kleinen Levantestaat in blutige Turbulenzen mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region zu stürzen. Wieder droht der Libanon zur Bühne zu werden für einen Stellvertreterkrieg, in dem die unschuldigen Bürger des Landes, nicht zuletzt auch durch die Machenschaften ihrer korrupten Führer, einen hohen Preis bezahlen müssen. Noch bleibt eine kleine Hoffnung, dass die Aufrufe libanesischer Politiker zur Besonnenheit und die enorme Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung das Schlimmste verhindern.Freitag, 25. Mai 2012
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