Der überzeugte Säkularist Amr Moussa könnte ein wirkungsvolles Gegengewicht zur islamistischen Strömung bilden von Birgit Cerha
Gegner und Kritiker vor allem unter den jugendlichen Demokratie-Aktivisten, die Präsident Hosni Mubarak zu Fall gebracht hatten, reihen ihn ein in die verhasste Gruppe der „Feluls“ (der „Überreste“ des alten Regimes). Dennoch liegt Amr Moussa in allen Meinungsumfragen an der Spitze aller Kandidaten für die Präsidentschaft im neuen Ägypten. Die energische Wahlkampagne, die den 75-Jährigen seit Monaten in alle Städte und viele Dörfer des Landes führt, verschafft ihm ein beträchtliches Maß an Bewunderung. Er war der erste, der nach dem Abtritt Mubaraks im Februar 2011 seine Bereitschaft zur Nachfolge in einem neuen demokratischen System angemeldet hatte. Dabei hatte Moussa dem autokratischen System Mubaraks und dessen Vorgänger Sadat als hochbegabter Diplomat und schließlich zehn Jahre lang, bis 2001, als Außenminister gedient. In dieser Zeit, das werfen ihm heute seine Kritiker vor, habe er niemals offen diktatorische Mißbräuche des Regimes angeprangert. Wiewohl wortgewaltig ist Amr Moussa ein geübter Diplomat, der sich auch hohes internationales Ansehen erwarb. Und er besitzt große politische Überlebenskraft. Sein weit größerer Bekanntheitsgrad unter der Bevölkerung als jener aller anderen Mitbewerber könnte ihm tatsächlich den Weg an die Spitze des Staates ebnen. Als Außenminister und während seiner zehnjährigen Amtszeit als Chef der Arabischen Liga gewann er unter den Ägyptern durch seine scharfe Kritik an israelischen Repressionen gegen die Palästinenser, am Krieg gegen Gaza und der anschließenden Blockade derartige Sympathien, dass der berühmte Popstar Shaaban Abdul Rahim ihn sogar in einem Lied verewigte: „Ich hasse Israel, aber ich liebe Amr Moussa“. Er verlor auch nicht an Popularität als Mubarak ihn 2001 an die Spitze der Arabischen Liga abschob, vermutlich weil er seine wachsende Beliebtheit als Gefahr für seine eigene Position zu fürchten begonnen hatte – eine Entscheidung, die Moussa heute u.a. als Beweis für die Missstimmungen zwischen ihm und dem Präsidenten anführt. Die zehn Jahre als Außenminister seien“ die schwierigsten seines Lebens“ gewesen, gestand er jüngst. Am 3. Oktober 1936 in Kairo geboren, schloß er 1957 sein Studium der Rechtswissenschaften an der Kairo Universität ab und trat in den diplomatischen Dienst ein. Er wurde an zahlreiche Botschaften entsandt und vertrat Ägypten auch in der UNO, bis er 1991 das Amt des Außenministers übernahm. In dieser Funktion, wie auch später als Chef der Arabischen Liga, hob er sich durch offene und mitunter auch sehr scharfe Kritik an Israel und westlicher Politik gegenüber der arabischen Welt von der Haltung des Präsidenten ab. 2003 etwa wetterte er im BBC gegen den von den USA angeführten Irak-Krieg: „Glauben Sie das B-52-Bomber dem Irak Demokratie bringen werden?“ Er kritisierte auch scharf westliche Länder, dass sie 2006 den Sieg der islamistischen Hamas bei palästinensischen Wahlen nicht anerkannten. Hingegen setzte er seinen vollen Einfluß ein, um die Unterstützung der Arabischen Liga für die Bombardierungskampagne der NATO in Libyen 2011 zu gewinnen. Später gestand er allerdings ein, dass er wegen der wachsenden Zahl ziviler Opfer Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung hege. Seine Versuche, seine größte Schwäche – die lange Karriere in einem weithin verhaßten Regime – in Stärke umzuwandeln, zeigt teilweise Erfolg. Zwar vermag er bei Wahlveranstaltungen zweifellos Bürger mit seinen Versprechen von politischen, vor allem aber auch ökonomischen Reformen auf seine Seite zu ziehen. Viele – wie viele werden allerdings erst die Wahlen zeigen – glauben an ihn als den erfahrenen Insider, der die Spielregeln der teilweise immer noch herrschenden politischen Kräfte kennt wie kein anderer der Kandidaten und damit als einziger die Voraussetzung, aber auch die Kraft besitzt, das Land aus dieser turbulenten Übergangsphase zur überlebenswichtigen Stabilität zu führen. „Er kennt Präsidenten und Könige. Sein Programm wird uns retten“, meinen Anhänger. Im Militär, aber auch in der Elite des Landes bringt man Moussa ein beträchtliches Maß an Vertrauen entgegen. Wiewohl überzeugter Säkularist, gibt er sich als kluger Demokrat, der sich nun offen bereit erklärt, mit der islamistischen Parlamentsmehrheit zusammen zu arbeiten. Unabhängige Analysten glauben, Moussa könnte tatsächlich als Präsident ein wirkungsvolles Gegengewicht zur islamischen Strömung bilden. Er versteht es, sich als einschüchternder Staatsmann zu präsentieren, nur um sich gleich darauf volksnah in den Straßen unter die Menschen zu mischen. Doch viele der jungen Revolutionäre halten ihn wegen seiner langjährigen Nähe zu Mubarak für unwählbar. Sie werfen ihm vor, dass er erst zu Beginn der Revolution vorsichtig begonnen habe, sich vom Präsidenten zu distanzieren und noch 2010 offiziell seine Bereitschaft bekundet hatte, Mubarak im Fall einer erneuten Kandidatur wieder zu wählen. Nie habe er die massive Korruption angeprangert, ja sich vielmehr wohlwollend über den vom Präsidenten für die Nachfolge vorbereiteten Sohn Gamal, der seine Position zu gigantischer Bereicherung genutzt hatte, geäußert. Doch viele Revolutionäre halten ihn wegen seiner langen Nähe zu Mubarak für unwählbar. Sie werfen ihm vor, dass er sich erst zu Beginn der Revolution vorsichtig vom Präsidenten zu distanzieren begonnen habe und noch 2010 offiziell seine Bereitschaft bekundet hatte, Mubarak wieder zu wählen. Wie immer er zur Revolution stand, die er auch heute im Wahlkampf, im Gegensatz zu seinen Rivalen, nicht glorifiziert, Moussa besitzt das Charisma und die Entschlossenheit, sich voll auf Ägyptens Probleme – in erster Linie die gravierende Armut – zu konzentrieren und zugleich keine neuen Gräben – weder gegenüber den Islamisten, noch gegenüber den mächtigen Militärs, aufzureißen. Stabilität, Reform und Fortschritt setzte er sich zu seinen primären Zielen, die er in einer Amtszeit, in vier Jahren, erreichen will. Denn nochmals ist der heute 75-Jährige entschlossen nicht zu kandidieren.Samstag, 19. Mai 2012
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