Die Parlamentswahlen im Iran gleichen einer Schlacht zwischen Konservativen und werden deren Machtgleichgewicht in der Islamischen Republik definieren
von Birgit Cerha
Eindringlich wie nie zuvor appellieren Irans „Geistlicher Führer“ Khamenei und sein Team an die Iraner, am 2. März ihre Stimme für ein neues Parlament abzugeben. „Episch“ solle die Wahlbeteiligung ausfallen, um die Einheit des Landes gegen äußere Bedrohung zu demonstrieren. Es soll die „enthusiastischste aller Wahlen“ werden, sie sollten „die Größe der iranischen Nation“ dokumentieren, gemahnt ein Wahlplakat in Teheran das Volk und Khamenei stellte gar in einer Fetwa (islamisches Rechtsgutachten) klar, dass „alle, die für die Wahl qualifiziert sind und wählen können, wählen müssen“.
Die Nervosität ist hoch unter Irans Führern, denn alle Anzeichen sprechen dafür, dass sich viel zu wenige der 48 Millionen Wahlberechtigten aus ihrer Lethargie reißen lassen, um unter den 3.444 vom „Wächterrat“ zugelassenen Kandidaten das 290-köpfige neunte Parlament der "Islamischen Republik“ zu wählen. Für Khamenei steht seine seit den monatelangen Massenprotesten gegen die von ihm und seinem erzkonservativen Establishment manipulierten Präsidentschaftswahlen 2009 schwer angeschlagene Legitimität auf dem Spiel. Nur durch eine hohe Wahlbeteiligung kann er den Iranern und dem feindlichen Ausland demonstrieren, dass er und sein System immer noch das Volk in der Überzeugung zu motivieren vermögen, dass seine Stimme tatsächlich zählt. Zugleich würde eine hohe Wahlbeteiligung die totale Bedeutungslosigkeit der oppositionellen „Grünen Bewegung“ und anderer Reformer dokumentieren, die zum Boykott aufgerufen haben. Zutiefst beunruhigt, er könnte dieses Ziel verfehlen, sandte Khamenei sogar seinen zunehmend einflussreichen zweiten Sohn Mojtaba zu dem seit einem Jahr in striktem Hausarrest von seinen Anhängern total isolierten Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi, in der Hoffnung er werde seine Wahlposition ändern.
Boykottaufrufe sind nichts Ungewöhnliches in der Geschichte der „Islamischen Republik“, doch noch nie zuvor hatten fast alle oppositionellen Fraktionen das Volk aufgefordert, am Wahltag daheim zu bleiben. Der „Koordinationsrat des grünen Wegs der Hoffnung“, der sich nach der Festnahme Mussawis und Karrubis im Vorjahr gebildet hatte, begründet seine Position mit den Worten: „Wir dachten, Berichte über die Ermordung von Menschen, die ihre demokratischen Rechte eingefordert hatten, fänden sich nur in Geschichtsbüchern. Doch wir wurden selbst Teil dieser Geschichte. Wie können wir uns wieder an Wahlen beteiligen, wenn unsere Jugend nach den Wahlen 2009 nur deshalb getötet wurden, weil sie nach ihrer Stimme fragten?“
Immer noch schmachten seit vielen Monaten zahlreiche Intellektuelle, Anwälte, Studenten, darunter mehr als 40 Journalisten und Blogger u.a. wegen Protesten gegen die Wahlen von 2009 in Irans Gefängnissen. Allein im Vorjahr wurden 60 Journalisten ins Exil gezwungen. 40 Publikationen wurden seit 2009 geschlossen. In panischer Angst vor erneuten Protesten haben die Behörden im Vorfeld der Wahlen die Repressionen massiv verstärkt, Dutzende Menschen festgenommen und die sozialen Netzwerke weitgehend blockiert, während 8.500 paramilitärische Bassidsch bereit stehen, um Proteste am Wahltag zu verhindern.
De facto sind diese Wahlen nur die Fortsetzung des Machtkampfes zwischen den untereinander tief zerstrittenen, nur von einer kleinen Bevölkerungsschicht unterstützten Konservativen. „Sie sind eine Farce“, drückt der iranische Intellektuelle Muhammed Sahimi eine weitverbreitete Stimmung aus, „doch eine wichtige“.
Die Hauptfronten sind klar gezogen: Ahmadinedschad auf der einen, Khamenei, der seinem einstigen Schützling 2009 ungeachtet des Widerstandes von Millionen Iranern seine zweite Amtsperiode sicherte, auf der anderen Seite. Der Präsident war im Vorjahr in spektakulärer Weise bei vielen Hardlinern in Ungnade gefallen, als er bei der Wahl seiner Regierungsmitglieder offen Khameneis Autorität herausforderte und sich zunehmend unter dem Einfluß seines heftig umstrittenen Kabinettschefs Esfandiar Rahim Mashaie für eine Eindämmung der Macht des Führers, wie der Geistlichen insgesamt und einen stärkeren nationalen auf Kosten des islamischen Kurses der „islamischen Republik“ einsetzte. Mashaei und seine Anhänger werden seither von dem Khamenei-treuen Lager als „Irregleitete“ verdammt, deren Einzug ins Parlament es unter allen Umständen zu verhindern gelte. So hat auch der „Wächterrat“ die Kandidatur vieler Anhänger Ahmadinedschads blockiert.
Dennoch ist eine empfindliche Niederlage des Präsident keineswegs sicher. Ahmadinedschad stützt sich auf eine Hausmacht unter den sozial niedrigen Schichten und vor allem der Landbevölkerung, die die verwirrenden Machtkämpfe in Teheran kaum mitverfolgen können und wollen und sich sehr empfänglich für großzügige Wahlgeschenke des Präsidenten zeigen. Zudem sind auch Ahmadinedschads Gegner untereinander zerstritten.
Ein Erfolg Ahmadinedschads bei dieser Wahl würde ihn in der Hoffnung bestärken, bei den – weit wichtigeren – Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 (bei denen er laut Verfassung nicht wieder kandidieren darf) nach Vorbild des Russen Putin einen engen Verbündeten zur Macht zu verhelfen, um sich weiterhin seinen Einfluß und vielleicht sogar 2017 eine erneute Wahl zum Präsidenten zu sichern. Eine Niederlage Ahmadinedschads würde Khamenei die Möglichkeit eröffnen, seine autokratische Kontrolle über das Land wesentlich zu stärken.
Viele Iraner sind angesichts der enormen Gefahren eines israelischen oder amerikanischen Militärschlags und der zunehmend schmerzlichen Sanktionen konsterniert über dieses Machtgerangel ihrer Führer.
Mittwoch, 29. Februar 2012
IRAN: „Eine Farce, aber eine wichtige“
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