Freitag, 3. Februar 2012

Ankaras außenpolitischer Seiltanz

Für die Türkei steht in Syrien nicht nur ihre geostrategische Rolle, sondern auch die eigene Sicherheit auf dem Spiel – Intervention bleibt nicht ausgeschlossen

von Birgit Cerha


Die Türkei erwäge, der Familie des syrischen Diktators Bashar el Assad Asyl zu gewähren, erläutert Präsident Gül und illustriert damit krass den heiklen Balanceakt Ankaras gegenüber seinem einstigen Freund. Während die Türken angesichts des anhaltenden Blutvergießens im Nachbarstaat, offen den Rücktritt des Diktators fordern, setzen sie zugleich voll auf diplomatischen Druck. Ankara hofft, dass die UNO einen Mechanismus finde, der das Blutvergießen endlich stoppen würde. Exil für die Herrscherfamilie ist eine nun diskutierte Option.Für die Türkei steht in Syrien nicht nur ihre jüngst errungene geostrategische Position auf dem Spiel. Es geht um ihre eigene Sicherheit und dafür ist Ankara im schlimmsten Fall auch zu einem direkten militärischen Einsatz bereit. „Jedes Szenario“ sei möglich, stellt das Außenministerium klar, sollte die Assads Repression derart eskalieren, dass Syrer in Massen in die Türkei flüchten. Die Errichtung einer „Pufferzone“ oder „sicherer Häfen“ im syrischen Grenzgebiet wird geplant.
Eine Intervention der Türkei zur Beendigung des Gemetzels mag westlichen Strategen attraktiv erscheinen, da nach dem Libyen-Desaster eine erneute internationale Militäraktion außer Frage steht, zumal vor allem auch Russland Assad nicht fallen zu lassen gedenkt. Einen Alleingang aber schließen türkische Führer vorerst aus, würden sie damit doch nationalistische Gefühle in der heiß umworbenen arabischen Welt schüren, Erinnerungen an die verhasste osmanische Herrschaft wachrufen und die Stabilität in der Region noch mehr gefährden. Besondere Sorge gilt des syrischen Partners Iran, in der gegenwärtigen Krise. Die Türken sind ängstlich bestrebt, die Beziehungen zu Teheran zumindest nicht zu verschlechtern.

Historische Feindseligkeiten Territorial- und Wasserkonflikte, Streitereien wegen Syriens Unterstützung der kurdischen Guerillaorganisation PKK in den 80er und 90er Jahren und Ankaras Hilfe für die oppositionellen syrischen Moslembrüder lasteten jahrzehntelang auf dem Verhältnis zwischen beiden Staaten. Erst im Schatten des von den USA geführten Krieges zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 ergriffen Ankara und Damaskus die Chance, durch Kooperation das regionale Machtgleichgewicht zu ihren Gunsten zu verschieben. Die Türken halfen den Syrern aus der internationalen Isolation auszubrechen, knüpften engste ökonomische Bande, während Assad der Türkei das Tor zur arabischen Welt öffnete. Mit dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak Ende 2011 wuchs aber in der Türkei, wie anderswo in der Region die Angst vor iranischer Expansion. Der vor einem Jahr ausgebrochene „Arabische Frühling“ bot in dieser veränderten regionalpolitischen Situation den Türken eine einzigartige Chance, sich führend an der Neugestaltung der Zukunft im Mittleren Osten zu beteiligen und als Großmacht zu etablieren. Ankara präsentiert sich seither demonstrativ als politisches Modell, das – im Gegensatz zum iranischen Rivalen - Islam und Demokratie, Modernität und Tradition erfolgreich vereine.

Eine anhaltende Unterstützung des brutal seine eigenen freiheitshungrigen Bürger mordenden Diktators Assad wurde mit diesem Ziel unvereinbar. Als 10.000 Syrer im Juni vor den brutal zuschlagenden Regierungssoldaten in die Türkei flüchteten, wechselte Ankara radikal die Fronten, bot Deserteuren der syrischen Armee Asyl und unterstützt die von abgesprungenen Offizieren geleitete „Freie syrische Armee“ für Militäreinsatze gegen das Regime. Die Türkei hob einen Dachverband der syrischen Opposition, den „Syrischen Nationalrat“, von ihren Schützlingen, den Moslembrüdern, dominiert, aus der Taufe, kann aber bis heute die tiefe Kluft unter den Assad-Gegnern nicht kitten und nicht eine neue syrische Elite unter ihrem Einfluss formieren.

Die Zeit für eine Lösung drängt. Je länger das Morden im Nachbarstaat anhält, desto größer wird die Gefahr, dass Syrien im Abgrund des Bürgerkrieges versinkt, und die Gewalt über die Grenze in die Türkei schwappt. Vor allem fürchtet Ankara aber, Assad werde, wie einst sein Vater, die „kurdische Karte“ einsetzen. Schon kursieren Berichte, der Syrer habe sich die Unterstützung der PKK gesichert, sie mit Waffen ausgestattet – eine Entwicklung, die die Türkei in tiefe Nervosität versetzt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen