Donnerstag, 2. Februar 2012

Ägypten: Gefangen in der Spirale der Gewalt

Der Fußball-Katastrophe von Port Said illustriert dramatisch die Unfähigkeit des Militärs, das Land zu regieren

von Birgit Cerha

Ägypten steht im Schock. Fast ein Jahr nach dem Sturz von Diktator Mubarak hat die anarchische Gewalt Mittwoch mit 75 Toten im Fußballstadion von Port Said einen Höhepunkt erreicht. Die blutigen Zusammenstöße zwischen Fans der rivalisierenden Teams „Al-Masry“ und „Al –Ahly“ gehen weit über brutales Rowdytum hinaus, dem Anhänger dieses Sports weltweit immer wieder zum Opfer fallen. Es ist nicht nur die schockierend hohe Zahl der Toten, es sind die Umstände und Hintergründe dieses Blutbades, die Beobachter zu alarmierenden Kommentaren drängen, wie jene: es sei „ein Werk des Teufels“ (gemeint sind Anhänger Mubaraks) gewesen oder Ägyptens Revolution sei in ernsthafter „Gefahr“. Fest steht, die Tragödie von Port Said verschärft die politischen Spannungen am Nil in einer besonders kritischen Phase des Übergangs zur Demokratie dramatisch. Der regierende Militärrat muss sich auf mehr Gewalt (durch Ahly-Anhänger, genannt „Ultras“) und noch mehr Proteste gegen seine Herrschaft einstellen.Die genauen Umstände des Gemetzels werden wohl nie bekannt werden, wiewohl der Militärrat rasche Aufklärung ankündigte. Unklar ist, warum Anhänger der siegreichen Mannschaft, „Al Masry“ mit dem Schlusspfiff des Schiedsrichters aufs Feld stürmten und „Al-Ahly“-Spieler attackierten. Fest steht, dass die – viel zu wenigen – Polizisten, die für die Sicherheit von Teams verantwortlich waren, die sich in der Vergangenheit wiederholt gewaltsame Schlachten geliefert hatten, lange den brutalen Attacken der „Al-Masry“-Anhänger tatenlos zugesehen hatten.

Diese Umstände nähren Verschwörungstheorien. So halten viele Ägypter, darunter auch die nach den ersten freien Parlamentswahlen nun das Abgeordnetenhaus dominierenden Moslembrüder, das herrschende Militär für die Hauptschuldigen. Es riskiere ein derartiges Gemetzel, damit es seine Macht nicht – wie versprochen – bis Ende Juni an Zivilisten abgeben muss und die nun - unter dem Druck der Straße – teilweise aufgehobenen Notstandsgesetze wieder voll inkraft setzen könne.

Doch die Hintergründe des Geschehens sind komplex und verworren. „Al-Ahly“ ist nicht einfach nur eine Fußballmannschaft. Seine Anhänger, bekannt als „Ultras“, setzen sich aus Universitätsstudenten, Arbeitern und Demokratie-Aktivisten zusammen, die seit Januar 2011 besonders aktiv an den Demonstrationen gegen Mubarak teilgenommen und u.a. auch im September die israelische Botschaft in Kairo attackiert hatten. Sie spielten eine wichtige Rolle bei der Abwehr der „Schlacht der Kamele“, als Männer auf Kamelen in voller Geschwindigkeit Demonstranten auf dem Kairoer Tahrir-Platz attackierten . Es war eine der brutalsten Episoden der Revolution, die sich Donnerstag jährte. Die „Ultras“ lieferten der ägyptischen Polizei besonders heftigen Widerstand, bis sie Mubarak noch vor seinem Sturz von den Straßen zurückpfiff. Diese blutigen Konfrontationen zwischen Polizei und Ultra geben nun auch Anlaß zu der Vermutung, dass die bis heute nicht neu formierte Polizei Mittwoch in Port Said Rache an ihren Erzfeinden üben wollte – eine Vermutung, die sich allerdings kaum beweisen läßt.

Fest steht jedoch, dass das Blutbad von Port Said in einer Reihe anderer jüngster Gewaltakte steht, die ein enormes Sicherheitsmanko im Land dokumentieren, für das nicht nur das Innenministerium, sondern auch der herrschende Militärrat die Verantwortung trägt. Sollten die blutigen Ereignisse von Port Said tatsächlich einer Strategie der Offiziere folgen, dann schneiden sich diese damit ins eigene Fleisch. Denn sie stärken damit jene Kräfte in ihren Reihen, die sich für die Beibehaltung der repressiven Notstandsgesetze engagieren und vom Übergang zu echter Demokratie nichts wissen wollen. Zugleich aber beweisen sie durch den Tod so vieler Menschen dramatisch ihre eigene Unfähigkeit, das Land in eine stabile Zukunft zu führen.

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