Freitag, 6. Januar 2012

Hoffnungen und Ängste der Kopten Ägyptens


(Bild: Autobombe vor einer koptischen Kirche in Alexandria am 1.1.2011)

Die christliche Minderheit engagierte sich mit den Muslimen in der Revolution – Doch nun beginnen islamische Extremisten diese Bande zu zerreißen

von Birgit Cerha

„Frei von Angst“ feiern Ägyptens christliche Kopten nach den Worten ihres Oberhauptes, Papst Shenouda III., heute, Samstag, ihre Weihnachten. In seiner Botschaft zu diesem höchsten christlichen Fest, zu dem er u.a. Vertreter selbst der radikalsten islamistischen Salafisten eingeladen hatte, würdigte Shenouda die erfolgreichen Bemühungen des herrschenden Militärrates, für „Friede und Ruhe“ im Lande zu sorgen.Keineswegs alle Kopten teilen solche Gefühle dieses greisen Gottesmannes, der sich in seiner langen Karriere an der Spitze einer der ältesten christlichen Kirchen stets um Ausgleich und Verständigung mit den Herrschern am Nil und der muslimischen Mehrheit des Landes bemüht hatte. Koptische Aktivisten drängten in den vergangenen Tagen Shenuda – allerdings vergeblich -, keine Glückwunschbotschaften der staatlichen Führer entgegenzunehmen. Denn die Militärherrscher schützten nicht nur die Minderheit vor eskalierenden Attacken islamistischer Fanatiker, sondern bemühten sich auch nicht um deren Aufklärung oder Bestrafung von Tätern.

Auch wenn Shenuda von Frieden spricht, für viele Kopten bedeutet Weihnachten Angst und Hochspannung. Bischof Kyrillos von der oberägyptischen Nilstadt Nag Hammadi warnt in Erinnerung an das Blutbad vom 6. Januar 2010, als Islamisten nach der Christmette sechs Kopten töteten und 15 verwundeten, vor einem „neuen Massaker“. Der Geistliche hatte in den vergangenen Wochen zahlreiche Drohungen erhalten. Appelle an die staatlichen Sicherheitskräfte, die Kirchen insbesondere zu Weihnachten zu schützen, tragen wenig zur Beruhigung bei. Unvergessen bleibt die Katastrophe am Neujahrstag 2011, als die für die Sicherheit der „Kirche der zwei Heiligen“ in Alexandria verantwortlichen Einheiten sich zurückzogen und ein Blutbad mit 20 toten und 125 schwerverwundeten Kirchengängern zuließen. Viele Kopten sehen bis heute dahinter auch eine bewusste Strategie des Staates, die ägyptische Gesellschaft zu spalten, um sich damit die Macht zu sichern. Seit dem Sturz Präsident Mubaraks im Februar habe sich daran nichts geändert.
Es ist aber nicht nur der fehlende Schutz der bedrängten Minderheit durch den Staat, der die Kopten zutiefst verängstigt, sondern vor allem auch der wachsende Einfluss islamistischer Strömungen, insbesondere der Salafisten, die bei den ersten beiden Runden der gegenwärtig laufenden Parlamentswahlen mit etwa 20 Prozent den zweiten Platz hinter den gemäßigt-islamistischen Moslembrüdern gewannen. Salafisten, unter Mubarak brutal in Schach gehalten, erfreuen sich einer Freiheit, die andere – vor allem jugendliche Demokraten und Säkularisten – erkämpft hatten und einige der Radikalsten unter ihnen leben diese neue Freiheit gewaltsam gegen die christliche Minderheit aus. Attacken gegen Kirchen, gegen Besucher von Gottesdiensten, gegen christliche Häuser, gegen koptische Demokratie-Aktivisten haben seit dem Sturz Mubaraks ebenso zugenommen, wie die Entführungen von koptischen Kindern und Jugendlichen zur Erpressung von hohen Geldsummen in Oberägypten – eine Entwicklung, die viele Familien in die Verzweiflung treibt.

Diese Entwicklung steigert die Ängste der Kopten, die seit den 1970er Jahren immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, vor einer Zukunft, in der sie ihren historischen Anspruch als Ureinwohner Ägyptens an radikale Islamisten verlieren könnten. Nach – allerdings nicht verifizierten – Schätzungen haben seit dem Sturz Mubaraks mehr als 100.000 Kopten ihrer Heimat den Rücken gekehrt. Ihre Ängste werden durch Predigten von Geistlichen geschürt, die Christen als „kafir“ (Härethiker) brandmarken und sich für die Wiedereinführung der „Jizya“ einsetzen, einer historisch von muslimischen Eroberern von „Ungläubigen“ eingehobenen Abgabe. Beschwichtigungsversuche der Moslembrüder, wie auch der führenden salafistischen „Al Nur“-Partei, dass weder Christen, noch liberale Muslime irgendetwas von ihren Bewegungen zu befürchten hätten – „auch nur einem Kopten ein Haar zu krümmen, käme einer Verletzung unseres Programms gleich“, so ein Vertreter von Al-Nur – konnten bisher die Ängste vieler Kopten nicht mindern.

Viele Kopten ziehen sich – traditionell – zurück und treiben damit die Kluft in der ägyptischen Gesellschaft voran – eine Entwicklung, die Naguib Sawiris, koptischer Telekom-Tycoon und einer der reichsten Männer Ägyptens, heftig kritisiert. Manche, vor allem junge Kopten stimmen ihm zu, wenn er die ersten freien Parlamentswahlen als großen Schritt voran begrüßt und seine Glaubensbrüder, die immerhin zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung stellen, zur aktiven Teilnahme aufruft. Und er sieht als die Hauptursachen der Probleme der Kopten am Nil ihre „Passivität, mangelhafte Beteiligung an der Politik, fehlende Offenheit“ gegenüber den Muslimen. „Es ist unser Land“, betont Sawiris, für das wir kämpfen müssten. Und dass dies möglich ist, hat dieser Emporkömmling bewiesen. Reich, mächtig, anerkannt und – nach eigenen Worten „beliebt“ – beschäftigt er heute in seinem Imperium mehr als 90 Prozent Muslime, die ihn respektierten, weil er Religionszugehörigkeit nie Bedeutung beigemessen habe.

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