Viele Iraker begrüßen den Abzug der US-Truppen – Doch die Amerikaner überlassen ein traumatisiertes Land einer höchst ungewissen Zukunft.
von Birgit Cerha
2006 gebar Awfa Abdullah in der einstigen irakischen Rebellenhochburg Falludschah einen Sohn mit schweren Gehirnschäden.Der Bubr überlebte sein fünftes Lebensjahr nicht. 2007 brachte Awfa ein Mädchen zur Welt. Das Kind leidet unter quälenden Hautausschlägen und einem kürzeren Bein. Trotz ihrer Sehnsucht nach einer großen Familie haben die Eltern resigniert. „Mehr Kinder bedeuten noch mehr Krankheiten und noch mehr Leid“, erläutert Vater Amir Hussein gegenüber Journalisten die Entscheidung, keinen Nachwuchs mehr in die Welt zu setzen. Denn seine Heimatstadt liegt nicht nur immer noch weitgehend in Trümmern, sie ist seit einer massiven Attacke der US-Armee gegen dieses Zentrum des arabisch-sunnitischen Widerstandes 2004 katastrophal verseucht. US-Militärs verhehlen nicht ihren Einsatz von weißem Phosphor bei einer Schlacht um die Stadt, die 1.300 Bewohnern, darunter vielen Kindern das Leben kostete und Tausende schwer verwundete. Weißer Phosphor gilt international nicht als chemische Waffe und ist, wiewohl er unmittelbar schwerste Verbrennungen verursacht, auch nicht verboten. Die Nachwirkungen sind katastrophal. Kinderäzte im zentralen Spital von Falludschah klagen über einen gravierenden Anstieg von teilweise schwersten Behinderungen bei Neugeborenen seit 2005.
Wenn die letzten Militärfahrzeuge der US-Armee über die Wüstengrenze nach Kuwait rollen, dann wächst unter den Bewohnern von Falludschah die Hoffnung, dass sie endlich ein grausiges Todeskapitel in ihrem Leben schließen können. Nur wenige Iraker weinen nach fast neunjähriger Besatzung den Amerikanern nach, deren Präsident George Bush dem Land 2003 nicht nur die Freiheit von einem der brutalsten Despoten des vorigen Jahrhunderts versprochen hatte, sondern für die Region vorbildhafte Demokratie und Wideraufbauhilfe, wie sie die Welt seit dem Marshallplan für Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr gesehen hatte. Fast nichts von diesen Versprechen wurde erfüllt. Die Infrastruktur liegt immer noch darnieder, Stromausfälle gehören weiterhin zum Alltag und bremsen die wirtschaftliche Entwicklung. Mehr als sieben Millionen Iraker leben in einem der potentiell reichsten Länder der Welt unter der Armutsgrenze, von den zwei Millionen seit dem Krieg gegen Diktator Saddam Hussein ins Ausland Geflüchteten sagten erst 100.000 die Heimkehr.
Viele Iraker schieben der Supermacht einen großen Teil der Schuld am Ausbruch eines katastrophalen Bürgerkrieges vor allem zwischen arabischen Sunniten und der schiitischen Mehrheit (2005-07) zu. „Sie haben unser Land zerstört, sie haben so viele Konflikte zwischen Irakern geschürt“, klagt Firsa Fertusi, ein ehemaliger Kämpfer der anti-amerikanischen Schiitenmiliz „Mehdi-Armee“.
Ihr Einsatz im Irak kostete die Amerikaner nach vorsichtigen Schätzungen eine Billion Dollar, manche Experten meinen, es könnte in Wahrheit das Dreifache sein. Rund 4.500 US-Soldaten zahlten mit ihrem Leben. Die Folgen für den Irak aber sind dramatisch: Mehr als 100.000 Tote, wirtschaftlicher Zusammenbruch trotz des Ölreichtums, gravierende Instabilität und tiefes Mißtrauen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Wiewohl sich selbst unter Amerikas größten Freunden im Land, den Kurden, die Stimmen jener mehren, die den Abzug der US-Truppen begrüßen, da trotz der amerikanischen Militärpräsenz so viele Grundprobleme (Föderation, ein bis heute nicht verabschiedetes nationales Ölgesetz etc) ungelöst blieben, befürchten so manche die Rückkehr maskierter Bewaffneter, verstärkten Terror und erneute Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen wenn die Iraker nun sich selbst überlassen bleiben. Nur einige hundert US-Militärs werden weiterhin als Trainer den irakischen Sicherheitskräften zur Seite stehen. Die Botschaft in Bagdad allerdings ist mit einem Angestelltenstab von stattlichen 16.000 Personen bestückt, mit privaten Sicherheitsleuten. Welche Rolle die Supermacht ab 2012 zur Stabilisierung des Landes und zur Verfolgung ihrer geostrategischen Interessen (insbesondere gegen den an Einfluss im Irak gewinnenden Iran) spielen soll, ist bisher ungeklärt.
Die Mißstände im Land sind gravierend: eine kleine Elite, die weitgehend Monopol über die Ressourcen des Landes hält; ein untereinander zerstrittenes politisches Establishment, ein Premierminister – Nouri al-Maliki – der mehr und mehr seinen diktatorischen Instinkten nachgibt, Menschenrechte mit Füßen tritt und eben Hunderte ehemalige Mitglieder der gestürzten Baath-Partei einsperren ließ, um damit seine Position für die post-amerikanische Zeit zu stärken, in Wahrheit damit aber Iraks sunnitische Minderheit mehr und mehr in die Frustration und damit in den Widerstand treibt. Vom Iran gelenkte schiitische und anti-iranische sunnitische Milizen rü´sten sich bereits für die nächste Runde im Kampf um die Macht im Zweistromland.
Mittwoch, 14. Dezember 2011
„Sie haben unser Land zerstört“
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