Montag, 12. Dezember 2011

Islamisten und die Zukunft Ägyptens

Am Nil beginnt ein Machtkampf zwischen den beiden stärksten Kräften des Landes: den Militärs und den Moslembrüdern

von Birgit Cerha

„Gott ist unser Ziel; der Koran ist unsere Verfassung, der Prophet ist unser Führer; Dschihad („heiliger Krieg“) ist unser Weg und Sterben für Gott ist unser höchstes Streben.“ Diesem Credo haben sich die Moslembrüder verschrieben, deren „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ (PFG) in der ersten Runde der ersten freien Parlamentswahlen seit dem Sturz von Diktator Mubarak 36 Prozent der Stimmen gewann. Noch sind die Ergebnisse dieser schicksalhaften Wahlen, denen bis Ende Januar noch zwei Runden folgen, offen. Doch fest steht schon jetzt, dass das erste demokratisch gewählte Parlament des Landes von Islamisten dominiert wird. Das gute Abschneiden der MB überrascht nicht. Diese jahrzehntelang verbotene, jedoch tolerierte Bewegung, ließ sich als einzige politische Gruppierung nicht, wie Lliberale und Linke, vom Regime kooptieren und verstand es dennoch, ein dichtes soziales und politisches Netzwerk im Land zu flechten, das ihr in einem bizarren, wirren und kurzen Wahlkampf enorme Vorteile gegenüber den zersplitterten und desorganisierten Gegnern verschuf.
Niemand allerdings erwartete, dass die in Worten und Taten weit extremere und offen gewalttätige salafistische Nour-Partei in der ersten Wahlrunde 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, während die Liberalen, Linken, die Repräsentanten der jungen führungslosen und desorganisierten „Rebellen von Tahrir“, die im Februar Mubarak zu Fall gebracht hatten, weit abgeschlagen wurden.
Diese ersten Resultate schockieren nicht nur die säkularen Verlierer, sondern offensichtlich auch Ägyptens Militär, seit Jahrzehnten, bis heute, die stärkste Institution des Staates, die sich traditionell als Schutzschild gegen die immer höher schlagenden islamischen Wellen versteht. Wie sehr die Offiziere die Panik erfasst hat, zeigen Kommentare hoher Militärs, insbesondere jene des stellvertretenden Verteidigungsministers General Mukhtar Mulla, der vor wenigen Tagen gegenüber westlichen, insbesondere amerikanischen Journalisten mit klarem Signal an Washington klarstellte: „Wir stecken in einem frühen Stadium der Demokratie. Das Parlament repräsentiert nicht alle Sektoren der Gesellschaft.“ Deshalb beschloss der regierende „Höchste Militärrat“ die Einberufung eines von ihm ernannten 30-köpfigen Beratungsgremiums, das Einfluß auf die Erarbeitung einer neuen Verfassung durch das neue Parlament nehmen solle. Sie stießen dabei auf helle Empörung der Moslembrüder, deren PFG den Boykott des Rates verkündete, da seine Einberufung einer gravierenden Verletzung des Volkswillens entspräche.
Im März hatten Millionen Ägypter in einem Referendum die Pläne des Militärrates zur Wahl eines Parlaments gebilligt, das als wichtigste, vielleicht einzige Aufgabe eine Verfassungsgebende Versammlung aus hundert Mitgliedern bestellen soll, die binnen sechs Monaten ein neues Grundgesetz zu erarbeiten hat. Militärs und Laizisten befürchten nun, die Islamisten würden die neue Verfassung nach ihren Vorstellungen gestalten. Kernpunkt ist die Rolle der Sharia (des islamischen Rechts), die in der alten Verfassung nur vage definiert war und lediglich als Bekenntnis zu Gerechtigkeit, aber auch Demokratie interpretiert werden konnte. Die Moslembrüder, durch ihren Wahlerfolg politische entscheidend gestärkt, könnten – ungeachtet ihres wiederholten Bekenntnisses zu Demokratie und Menschenrechten – dem islamischen Recht in der neuen Verfassung ein weit stärkere Bedeutung geben wollen. Dies vor allem versuchen die Offiziere zu verhindern und sie stoßen dabei durchaus auf Sympathie der säkularen Oppositiion. Die Moslembrüder hingegen zeigen sich entschlossen, jegliche Einmischung der Militärs in den verfassungsgebenden Prozeß zu verhindern und sie können zu diesem Zweck in kürzester Zeit mehr als eine Million Menschen auf die Straße bringen.
Ägyptische Analysten sprechen schon vom Beginn eines Machtkampfes zwischen der stärksten Institution Ägyptens und der größten politischen Bewegung, eine Konfrontation, die weit gefährlicher sein könnte als jene die das Land am Nil seit Februar lähmt. Wie sehr selbst die Militärs die Moslembrüder fürchten zeigten sie Sonntag, als einer ihrer Offiziere plötzlich beschwichtigend verkündete, das neue Beratungsgremium werde keinen Einfluss auf den verfassungsgebenden Prozess nehmen.
Ägyptens Revolution tritt in eine neue Phase.

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