Donnerstag, 22. Dezember 2011

Bombenwelle sucht erneut Iraker heim

Blutiger Terror vor dem Hintergrund einer schweren Regierungskrise stürzt das Land in seine gefährlichste Zerreißprobe

Die Hoffnung, der Abzug der US-Besatzungstruppen aus dem Irak würde Aufständische ihrer wichtigsten Terror-Motivation berauben und das gequälte Land endlich auf den Weg der Stabilität führen, ist zerstoben. Nur vier Tage nachdem der letzte US-Soldat dem Zweistromland den Rücken gekehrt hatte, suchte Donnerstag eine Welle koordinierter Attacken Bagdad heim. Mindestens 63 Menschen starben und etwa 185 wurden bei Attacken in Bagdad verwundet.Zwar drängt sich vielen schiitischen Irakern der Verdacht auf, zutiefst erzürnte arabisch-sunnitische Führer versuchten sich nun durch Gewaltakte gegen politische Marginalisierung durch den schiitischen Premier Nuri al Maliki zu wehren. Doch Experten halten es für wahrscheinlicher, dass die Anschläge von längerer Hand geplant und nicht abrupte Reaktionen auf den eben in voller Härte ausgebrochenen politischen Konflikt zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen seien.
Der koordinierte Charakter der Explosionen trägt wohl die Handschrift der sunnitischen Terrorgruppe Al-Kaida im Irak, die 2006 bis 2007 in einem Kampf gegen die US-Besatzung das Land an den Rand des Bürgerkrieges getrieben hatte. In den vergangenen Jahren gelang den irakischen Sicherheitskräften mit US-Hilfe, die Gruppe empfindlich zu schwächen, doch sie besitzt nach Ansicht von Experten immer noch die Fähigkeit zu derartigen Bombenwellen. Weitere Destabilisierung des Landes könnte das Hauptmotiv sein. Und der Zeitpunkt könnte nicht wirkungsvoller gewählt sein.
Kaum von den Fesseln der US-Besatzungsmacht befreit, hatte Maliki gegen alte Rivalen losgeschlagen, deren er sich auf politischem Weg nicht entledigen kann: die beiden mächtigsten Sunnitenführer, Vizepräsident Hashemi und den stellvertretenden Premier Mutlak. Hashemi suchte im autonomen Kurdistan Zuflucht, nachdem die von Maliki massiv beeinflusste Justiz einen Haftbefehlt gegen ihn erlassen hatte. Drei angebliche Leibwächter des Vizepräsidenten hatten im offiziellen Fernsehen ihren Chef der Anstiftung zum Mord an Maliki bezichtigt. Die Identität der Männer konnte von unabhängigen Quellen allerdings nicht bestätigt werden und Hashemi weist energisch jeden Vorwurf zurück, er bezahle Todesschwadrone und hätte einen jüngsten Terroranschlag in der „grünen“ Regierungszone von Bagdad inszeniert. Während die Kurden dem Sunnitenführer Schutz gewähren, erklärt sich Hashemi bereit, sich in Kurdistan – fern von politischen Manipulationen Bagdads – einem Gericht zu stellen. Davon aber will Maliki nichts wissen, während Kurdenpräsident Barzani nun hinter den Kulissen emsig zu vermitteln versucht.
Auf dem Spiel steht die nach mühseligen neunmonatigen Verhandlungen endlich dank Vermittlung der USA und Barzanis am 21. Dezember 2010 auf die Beine gestellte nationale Einheitsregierung, die erste, in der auch die seit dem Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 von der Macht vertriebenen arabischen Sunniten voll integriert sind. Sie bot die größte Hoffnung auf nationale Versöhnung und Stabilisierung des Iraks. Doch in Wahrheit wurde der Regierungspakt bis heute nicht erfüllt. Vor allem blieben die wichtigsten Ministerien – Innen- und Verteidigung – bis führungslos, Maliki riss die Kontrolle an sich, während er eine intensive Verhaftungswelle politischer Gegner – mehrheitlich Sunniten – verfügte, mit dem offensichtlichen Ziel, seine Macht zu konsolidieren. Unter Sunniten wächst der Zorn über ihre politische Marginalisierung. In den vergangenen Wochen leiteten drei überwiegend von Sunniten bewohnte Provinzen einen in der Verfassung vorgesehenen Prozeß zur Selbstverwaltung ein. Bisher waren die Sunniten die Hauptgegner einer vor allem von den Kurden betriebenen Föderation gewesen. Das Konzept des Zentralstaates scheint gescheitert zu sein.
Als Mutlak jüngst offen Maliki diktatorischer Züge bezichtigte und ihm gar vorwarf, er sei „schlimmer als Saddam Hussein“, leitete der Premier ein Vertrauensvotum ein, über das das Parlament am 3. Januar entscheiden soll. Der Konflikt ist deshalb so dramatisch, weil die säkulare politische Bewegung „Irakiya“, der rund 80 Prozent der sunnitischen Wähler ihre Stimme gegeben hatten und die mit zwei Mandaten Mehrheit gegenüber der Partei Malikis die stärkste Fraktion im Parlament bildet, sowie neun Ministerposten hält, nun das Abgeordnetenhaus, wie die Regierung aus Protest gegen Malikis autoritäre Politik boykottiert. Schon gibt der Premier zu verstehen, dass er neue Minister ernennen und auf die weitere Kooperation mit den Sunniten verzichten wolle.
Der Verdacht drängt sich auf, dass auch der Iran, „Schutzpatron“ der Schiiten, Maliki gedrängt hatte, sich der beiden schärfsten Iran-Kritiker in Bagdads Führung zu entledigen: Mutlak wehrt sich energisch gegen die von Teheran geforderte Auflösung der Trainingslager der islamisch-marxistischen iranischen Opposition „Mudjaheddin e Khalk“ im Irak, während Hashemi entschieden die syrische Opposition in deren Kampf gegen Teherans engsten Verbündeten Bashar el Assad unterstützt.

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