Der Umsturz alter Ordnungen reißt die arabische Welt in schwere Turbulenzen, deren Ausgang sich noch nicht absehen lässt
von Birgit Cerha
„In seltenen Momenten erleben Menschen einen radikalen Wandel der Geschichte zum Besseren. Dies geschieht heute in der arabischen Welt“, schrieb dieser Tage der libanesische Kommentator Rami Khouri im „Daily Star“. Und er nennt Tunesien, Ägypten, ja auch Jordanien, wo die Bürger plötzlich „das hässliche Erbe des Polizei- und Sicherheitsstaates abschütteln und die Chance auf ein Leben in Freiheit und Gleichberechtigung ergreifen“. Neue politische Regeln, schwelgt Khouri, würden in einigen arabischen Ländern entworfen, „und was besonders ermutigt, ist die Tatsache, dass diese Regeln zunehmend von den Bürgern selbst beeinflusst und verfaßt werden.“
Seit Tunesiens Diktator Ben Ali am 14. Januar 2011, nur 28 Tage nach einzigartigen Massenprotesten gegen den gravierenden Machtmissbrauch eines arabischen Despoten, vom Thron stürzte, haben die Menschen in Ägypten, im Jemen, in Libyen in Bahrain und schließlich auch in Syrien die Barriere der Furcht durchstoßen, um endlich die so lange mit Füßen getretene Würde wieder zu erlangen. Vollzog sich der Wandel in Tunesien rasant und mit nur kurz währender Gewalt durch das bedrängte Regime, so sammelten die Autokraten in anderen Ländern all ihre Kräfte, um ihre alten, teils menschenverachtenden Systeme zu retten. Während in Ägypten die Armee zum Schutz ihrer eigenen Interessen und Privilegien den aus ihren Reihen stammenden Diktator Mubarak nach drei Jahrzehnten in die Wüste schickte, der von jungen Menschen getriebenen Protestbewegung Freiheit, Demokratie und ein Ende der himmelschreienden Korruption verspricht und auch die ersten freien Parlamentswahlen einleitete, versucht sie in Wahrheit mit allen Tricks auch in Zukunft das politische Leben am Nil zu dominieren.
Auch in anderen Ländern ist das hoffnungsvolle Klima des „Arabischen Frühlings“ Enttäuschung, neuen Ängsten bis zu ungeheuerlicher Gewalt (in Libyen und nun vor allem in Syrien) gewichen. In Libyen prägte die Persönlichkeit Muammar Gadafis den Lauf der Revolution. International, selbst in der arabischen Welt, gehasst, wie keiner der bedrängten Diktatoren, fand sich rasch ein Konsens für einen NATO-Einsatz, ohne den Gadafi wahrscheinlich bis heute dem bewaffneten Widerstand hätte trotzen können. Das Engagement der Allianz, von dem sich Deutschland zur Empörung anderer Partner zunächst entschieden distanziert hatte, wirft heikle moralische und strategische Fragen auf. Im Laufe der Operationen, die sich offiziell auf Luftangriffe gegen die Streitkräfte Gadafis zum Schutz der Zivilisten beschränkten, wurden nach US-Qellen 8.000 Libyer getötet, der heute schlecht und recht regierende „Nationale Übergangsrat“ spricht von 25.000 Toten, darunter sind die Opfer von Majer, einer Stadt 160 km östlich von Tripoli, in der NATO-Bomber eines ihrer größten Massaker an Zivilisten, darunter zahlreichen Kindern verübten. Was genau in dieser Stadt geschah, bleibt ebenso im Dunkeln wie die vielen irrtümlichen Angriffe von NATO-Flugzeugen auf Zivilisten in Afghanistan, denn bisher verweigert die Allianz unabhängige Untersuchungen.
Während die Führer Frankreichs, Großbritanniens und der USA über den Erfolg der Operationen in Libyen triumphieren, herrscht unter NATO-Verbündeten tiefes Unbehagen über einen Einsatz zum Schutz der Zivilbevölkerung, der so vielen Zivilisten das Leben kostete. Aber auch das grausige Ende Gadafis, sein qualvoller Tod und die auch jeder islamischen Tradition widersprechendem von den neuen Führern aber geduldete Schändung der Leiche hängen wie ein böses Omen über dem Wüstenstaat.
In dem ökonomisch zusammenbrechenden Jemen hat sich Diktator Ali Abdullah Saleh nach neunmonatigen Massenprotesten endlich zum Abtritt durchgerungen, nicht ohne dem Versprechen der Straffreiheit für die Verbrechen seiner 33-jährigen Herrschaft. Doch seine zutiefst korrupte Familie zieht weiter die Fähden der Macht, ungeachtet der anhaltenden Proteste der durch den Friedensnobelpreis ausgezeichneten Demokratie-Bewegung. Das Land schlittert immer tiefer in den Abgrund.
In Bahrain, Hauptquartier der amerikanischen Fünften Flotte, schlossen Amerikaner und Europäer die Augen, als saudische Streitkräfte dem durch die diskriminierte schiitische Bevölkerungsmehrheit schwer bedrängten sunnitischen Königshaus zu Hilfe eilten und Aufstände gewaltsam niederschlugen. Immerhin geht es in den Augen Washingtons um Abwehr iranischen Expansionismus, wiewohl Beweise für Teherans Unterstützung seiner Glaubensbrüder auf der Insel fehlen. Im Königreich selbst schlugen die Al-Sauds sporadische Proteste der schiitischen Minderheit mit voller Härte nieder und beschwichtigten den Rest der Bevölkerung – zunächst – durch großzügigste finanzielle Gaben. Bisher erwiesen sich die arabischen Königshäuser – von Bahrain abgesehen – als weitgehend resistent gegenüber den Wellen des „arabischen Frühlings“.
„Unser Traum ist unsere Waffen“, riefen demonstrierende Ägypter auf dem Tahrir-Platz, wo sie weiterhin gewaltlos für ihre Ideale von Freiheit und Demokratie in einer zweiten Phase der Revolution – diesmal gegen das Militär – kämpfen. In Syrien hat dieser gewaltlose Protest gegen das Assad-Regime bereits mehr als 5.000 Menschen das Leben gekostet. Diese ungeheuer blutige Revolte riß die Arabische Liga aus ihrer traditionellen Lethargie und zwang sie erstmals zu gravierenden Sanktionen gegen einen ihrer Mitgliedsstaaten. Schafft sie es, diese Aktion zu institutionalisieren und auch gegenüber anderen Staaten einzusetzen, kann sie sich in einer historischen Phase dieser Region zu einem wichtigen Machtfaktor aufbauen, der die Interessen der Bevölkerung – und nicht länger jene der Despoten - verteidigt.
Assads Tage sind wohl gezählt, doch Syrien droht blutige Vergeltung, vielleicht sogar ein Bürgerkrieg.
Waren die Slogans der Demonstranten zu Beginn des „Arabischen Frühlings“ vor einem Jahr dieselben, unterscheiden sie sich doch krass von den Entwicklungen, die sich Anfang 2012 abzeichnen. Wahlen in Tunesien und Ägypten, die deklarierten Positionen des Nationalen Übergangsrates in Libyen zeigen deutlich, dass Würde und Freiheit von vielen Arabern im islamischen Kontext definiert werden. Die Sehnsucht nach einer freien Gesellschaftsordnung bedeutet nicht die Übernahme westlicher Vorstellungen von Fairness oder Menschenrechten – eine der größten Sorgen der Minderheiten, insbesondere der Christen in der arabischen Welt. 300.000 Kopten verließen seit dem Sturz Mubaraks im Februar das Land. Die aus den ersten Wahlen in Tunesien und in Ägypten siegreich hervorgegangenen Islamistenparteien – die Ennahda und die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ - sowie die „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ in Ägypten präsentieren sich als reformierte, liberalisierte Bewegungen, demokratischem Pluralismus verpflichtet. Die Zeit der Glaubwürdigkeitstests ist nun gekommen.
Montag, 19. Dezember 2011
„Arabischer Frühling“ : Bruch mit der hässlichen Vergangenheit
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