Montag, 26. September 2011

Sensation oder Ablenkungsmanöver?

Mit seinem unerwarteten Versprechen, den saudischen Frauen das Wahlrecht zu erteilen, löst König Abdullah Freude aber auch tiefe Skepsis aus

Birgit Cerha

Saudische Frauenrechtlerinnen feiern einen unerwarteten Sieg, während Kommentatoren „weitreichende Folgen“ nicht nur für das Königsreich, sondern für die gesamte Region am Persischen Golf erwarten. Die überraschende Ankündigung König Abdullahs, dass Frauen künftig dasselbe Wahlrecht besitzen dürfen wie die Männer im Königreich und nicht nur für Positionen in lokalen Ämtern kandidieren dürfen, sondern auch in den Schura-Rat, ein vom König ernanntes Beratungsgremium , aufgenommen werden, löst in diesem ultrakonservativen Land eine Mischung aus Euphorie und tiefer Skepsis aus. „Wir hoffen, dass wir (Frauen) endlich Bürger mit vollen Rechten in diesem Staat werden“, bemerkt die Frauenrechtlerin und Universitätsprofessorin Hatun al Fassi. Und sie, wie viele andere, sehen den Schritt des Königs als Folge des „Arabischen Frühlings“, in dem in Ländern wie Tunesien, Ägypten und dem Jemen die Frauen eine treibende Kraft spielten und immer noch spielen.
Auch in Saudi-Arabien, wo die Frauen unterdrückt werden, wie nirgends sonstwo , riskieren mutige Bürgerinnen zunehmend Schikanen und Gefängnis, um mehr Rechte, insbesondere eine Aufhebung des Verbots selbst ein Auto zu steuern, durchzusetzen. Die Soziologin Fauziyah Abu Khalid wertet die Ankündigung des Königs als Hinweis darauf, dass selbst konservative Sektoren der Gesellschaft erkannt hätten, „dass auch andere Teile der Gesellschaft ein Recht besitzen, ihre Stimme zu erheben“. So manche Optimisten sprechen von „Sensation“, vom Bemühen des 87-jährigen Monarchen, als Reformer in die Geschichte einzugehen, auch wenn die Menschenrechte immer noch massiv mit Füßen getreten werden.
Abdullah hatte bei seinem Amtsantritt 2005 seinen Untertanen weitreichende Reformen versprochen. Doch er setzte bisher nur kleine Schritte – etwa die Gründung der ersten Universität für weibliche und männliche Studenten, sowie die Förderung der Bildung von Frauen durch die Vergabe Tausender Stipendien für Auslandsstudien. Jeder dieser Schritte stieß auf heftigen Widerstanden der erzkonservativen Ulemas (Religionsgelehrten) und deren einflussreiche Gesinnungsgenossen im Königshaus. Manche Kommentatoren werten die Tatsache, dass sich der Königs nun sogar so weit vorwagte, den Frauen politische Rechte zu gewähren, als Hinweis darauf, dass die Ulemas an Einfluß und Macht verlören. Dennoch ist mit heftigen Widerstand zu rechnen, ins besondere durch den Erzkonservativen Innenminister, Prinz Nayif ibn Abdulaziz, der wahrscheinlich Abdullahs Nachfolge antreten wird. Er gilt als energischer Verfechter der anhaltenden Geschlechtertrennung im Königreich, im Bunde mit den fundamentalistischen Wahabiten-Geistlichen.

Freilich, Abdullah trug diesen Kreisen Rechnung, indem er auf die Scharia (das islamische Recht) verwies, mit dem die künftige Rolle der Frauen im öffentlichen Leben in Einklang stehen müsse. Zudem gelten die neuen Regeln nicht für die nächsten Gemeinderatswahlen kommenden Donnerstag (die einzigen Wahlen im Königreich), sondern erst für die darauffolgende Runde im Jahr 2015.

Kritiker des Königshauses halten den Schritt Abdullahs für ein Ablenkungsmanöver eines verängstigten Königs, der zunächst mit Milliarden von Dollar versucht hatte, den Bazillus des „Arabischen Frühlings“ von den Grenzen seines Reiches fernzuhalten und dennoch die Frauen nicht von Rebellion abhalten konnte.

Denn, ob Abdullahs Ankündigung tatsächlich den erhofften Wandel einleitet, hängt davon ab, in welcher Weise die Scharia nun interpretiert wird. Zudem weisen Kritiker darauf hin, dass die Gewährung politischer Rechte nichts als Symbolik bleibt, wenn ihr nicht weitere Maßnahmen folgen, die der Degradierung der Frauen zu Bürgern zweiter Klasse endlich ein Ende setzen: etwa Reiseverbot ohne Genehmigung durch einen für sie verantwortlichen Mann; Auspeitschung für Ehebruch, Schikanen durch die Religionspolizei selbst wegen der kleinsten Übertretung der rigorosen Kleidervorschriften, Zwang zum Tragen des Gesichtsschleiers und insgesamt der Geschlechtertrennung in allen Lebensbereichen.

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