Rapide eskalierende Gewalt droht Arabiens Armenhaus in Anarchie und einen Bürgerkrieg mit katastrophalen Auswirkungen für die gesamte Region zu reißen
von Birgit Cerha
„Es ist Krieg, es ist Krieg“, ruft verzweifelt ein junger Demonstrant auf dem inzwischen heißumkämpften „Platz der Veränderung“ im Herzen der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Dort, wo Tausende junge Jemeniten seit neun Monaten betont friedlich Demokratie und ein Ende der 33-jährigen Diktatur Ali Abdullah Salehs verlangen, sind die unbewaffneten Demonstranten blutig zwischen die Fronten in einem dramatisch eskalierenden Konflikt geraten. Binnen drei Tagen starben mehr als 60 Menschen auch in anderen Teilen der Stadt und des Landes. Mindestens 25 Kinder sind laut Siyaj, einer Organisation zur Verteidigung der Rechte der Kinder, darunter, fast ausschließlich von Schüssen durch Salehs Soldaten getroffen. Sanaa glich Mittwoch einer toten Stadt. Wer nicht mit Tausenden Menschen im Morgengrauen flüchtete, sucht in den Häusern Schutz, während Regierungstruppen das von Einheiten des im März abgesprungenen Generals Ali Mohsen geschützte Protestlager im Stadtzentrum bombardieren.
Parallel zur Gewalt hat sich auch die Wirtschaftslage dramatisch zugespitzt. Seit Aktivisten vor neun Monaten ihre friedlichen Proteste gegen das Regime begannen, ist der Jemen politisch gelähmt und die Wirtschaft am Rande des Zusammenbruchs. Laut einer Studie der britischen „Oxfam“ haben heute bereits ein Drittel der 7,5 Millionen-Bevölkerung nicht mehr genug zum Essen.
All dies verstärkt die Frustrationen der Aktivisten und mit ihnen eines großen Teils der Bevölkerung. Ermutigt durch den Sturz Muammar Gadafis in Libyen, hatte die jemenitische Protestbewegung Sonntag versucht, das monatelange Patt zu brechen und ihren Aktionsraum innerhalb von Sanaa auszuweiten. Salehs Sicherheitskräfte antworteten mit brutaler Gewalt und offene Kämpfe brachen aus, als General Mohsen sein im März gegebenes Versprechen wahrmachte, die friedlichen Demonstranten wenn nötig mit Gewalt zu verteidigen. Die Angst vor einem Bürgerkrieg steigt.
Seit 1994, als er einen Krieg gegen den mit dem Norden 1990 vereinten Süd-Jemen gewonnen hatte, versuchte sich Saleh durch Manipulation der Stämme und die Methode des Teile und Herrsche an der Macht zu halten. Doch Jahre der Dürre, sinkender Öleinkünfte und wachsender Armut hatten seinen Manövrierraum wesentlich eingeengt. Durch verbale Zugeständnisse, deren mangelnde Ernsthaftigkeit rasch zutage trat, sowie gewaltsame Attacken auf Demonstranten hatte der Diktator versucht den Herausforderungen einer friedlichen Zivilgesellschaft zu trotzen, bis er sich vor vier Monaten nach einem Raketenanschlag auf ihn und zahlreiche führende Politiker nach Saudi-Arabien in Spitalsbehandlung begeben musste. Dort kündigte er dreimal an, einen unter Führung Riads von den Golfstaaten erarbeiteten Plan zur Machtübergabe zu unterzeichnen, zog die Versprechen jedoch jeweils rasch wieder zurück. Ankündigungen, er werde bald heimkehren – eine Absicht, die die Saudis bisher blockierten, heizten im Land die Spannung auf. Dort haben sich die Fronten verhärtet. Salehs Familie, sein Sohn und seine Neffen, halten vor allem durch die Kontrolle der Sicherheits- und Geheimdienstkräfte die Fäden der Macht in Händen. Neben der Kraftprobe mit der im Parlament vertretenen Opposition und der Protestbewegung ist aber eine zweite ist jedoch ein Machtkampf an anderer Front blutig ausgebrochen. Hier geht es um alte Rivalitäten innerhalb der privilegierten Elite im Herzen des Regimes, zwischen der Saleh-Familie und dem mächtigen Ahmar-Clan, sowie General Mohsen.
Für Vermittler der UNO und der Golfstaaten, die nun rasch in Sanaa das Schlimmste verhüten wollen, könnte es zu spät sein. Die Protestbewegung, aufgrund der vielen leeren Versprechen zutiefst mißtrauisch gegenüber dem Diktator, beharrt auf Salehs sofortigem Rücktritt. Sie will vom Plan der Golfstaaten, der Straffreiheit für Saleh und dessen Familie vorsieht, angesichts der ungeheuerlichen Brutalitäten nichts wissen. Saleh hingegen versucht, wie in den vergangenen neun Monaten, auch weiterhin auf Zeit zu spielen, in dem Glauben, dass diese doch noch für ihn arbeite. In dieser Situation befürchten viele mit Ali Abdul Jabar, dem Direktor eines jemenitischen Forschungszentrums, das Schlimmste: „Wenn die internationale Gemeinschaft nicht rasch (diplomatisch) interveniert“, sei die Katastrophe unvermeidlich. „Schon jetzt toben Kämpfe in jeder Straße“ Sanaas und diese würden sich rasch über das ganze Land ausbreiten.
Mittwoch, 21. September 2011
Jemen „auf des Messers Schneide“
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