Montag, 30. Mai 2011

Der Jemen sinkt immer tiefer ins Chaos

Unruhe breitet sich in den Süden aus, wo Islamisten die drittgrößte Stadt kontrollieren – Präsident Saleh setzt auf brutale Härte

von Birgit Cerha

Montag im „Arabia felix“, wie einst die Römer den Jemen nannten: Explosionen in Sanaa, Luft- und Artillerieangriffe der Streitkräfte auf Al-Kaida Positionen bei Zinjibar im Süden, brutale Zerschlagung friedlicher Proteste in Taiz, Dutzende Tote, Hunderte Verletzte, Panik und Verzweiflung. Vier Monate nach Beginn friedlicher Demonstrationen für Demokratie sinkt der Jemen immer tiefer ins Chaos. Die Situation hat sich dramatisch verschärft, seit sich Präsident Saleh am 22. Mai im letzten Moment geweigert hatte, ein von den Golfstaaten vermitteltes Abkommen zu unterzeichnen, das ihm und seiner Familie Straffreiheit garantiert, wenn er binnen 30 Tagen nach Inkraftsetzung das Land verläßt. Nun haben die Vermittler aufgegeben und Saleh versucht mit Tricks und voller Brutalität sich die Macht zu erhalten. Dabei wächst die Zahl der zivilen Opfer dramatisch. Mehr als 300 Menschen mussten bereits ihr Leben lassen.
„Sie attackierten, sie schossen auf Menschen, verbrannten ihre Zelte. Sie holten Bulldozer und erledigten sie alle“, berichtete Demokratie-Aktivist Bushra al-Maqtari über den Versuch der Sicherheitskräfte, in der Nacht auf Montag einen viermonatigen Sitzstreik Tausender zu beenden. „Es war ein Massaker. Sie zerrten Verwundete von den Straßen und schleppten sie in Gefängnisse.“ Mindestens 20 Menschen starben und an die 150 wurden verletzt. Die Oppositions-Koalition „Gemeinsames Forum“ spricht von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, für die Saleh persönlich zur Verantwortung gezogen werden müsse. Und der mächtigste Gegenspieler des Präsidenten, Stammesführer Sadik al Ahmar, verurteilte „dieses neue Massaker“ aufs schärfste. Explosionen in Sanaa lassen befürchten, dass der Scheich, der Tausende schwer bewaffnete Männer kommandiert, einen am Wochenende vereinbarten Waffenstillstand nun nicht einhalten könnte. Mehr als hundert Menschen waren in den vergangenen Tagen in Sanaa bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Ahmars Männern ums Leben gekommen, die mehrere Regierungsgebäude besetzt hatten, um einen gefürchteten Angriffe auf die Stammeskrieger zu verhindern. Ahmar hatte unterdessen mit der Räumung der Gebäude als Teil eines Waffenstillstandsabkommens begonnen. Doch die Spannungen haben sich derart verschärft, dass die Kämpfe jederzeit wieder voll ausbrechen und Teile der Hauptstadt lahmlegen könnten.

Unterdessen breitet sich das gewaltsame Chaos auch in den Süden aus. Dort konnten Montag islamistische Kämpfer offenbar die Kontrolle über Zinjibar, die Hauptstadt der Provinz Abyan konsolidieren. An die 300 Islamisten waren vor einigen Tagen in die Stadt eingedrungen. Nach heftigen Kämpfen verließen die dort stationierten Sicherheitskräfte, die einer von den USA im Anti-Terrorkampf trainierten Einheit angehörten, plötzlich die Stadt. „Es erscheint absurd, dass diese Elite-Einheiten schlecht ausgerüstete Kämpfer der Al Kaida nicht zurückschlagen konnten“, spricht der jemenitische Analyst Abdual Ghani al-Iryani einen weit verbreiteten Verdacht aus, Saleh habe dieses Coup inszeniert, um Ängste seiner Nachbarn wie der USA zu schüren, dass „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) die Kontrolle über Teile des Landes gewinnen könnte, wenn er die Macht verlöre. Tatsächlich spielt der Präsident seit Jahren mit dieser Gefahr, um sich Unterstützung und Finanzhilfe seiner Verbündeten zu sichern.

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