Sonntag, 15. Mai 2011

„Syrien ist anders“

Die Familie Assad hält eng zusammen, nach dem Motto: Wenn einer stürzt, stürzen alle -Die Proteste haben nicht die kritische Masse erreicht

von Birgit Cerha

In Damaskus, dieser seit 6000 Jahren bewohnten ältesten Stadt der Welt, schlägt seit Jahrzehnten das Herz des Arabismus lauter als anderswo in der Region. „Syrien ist anders“ als etwa Tunesien, der Jemen, Libyen oder gar Ägypten, wo Massenrebellionen der unterdrückten Untertanen ihre Herrscher zum Wanken brachten. Die geostrategische Bedeutung Syriens und jahrzehntelanges, geschicktes außenpolitisches Machtspiel nähren Präsident Assads erstaunliches Selbstbewusstsein, die Überzeugung, dass die Nachbarn, die Europäer und die Amerikaner nicht zulassen werden, dass dieses kleine, so wichtige Land durch einen Sturz seines Regimes ins Chaos versinkt und damit die gesamte Region – inklusive Israel – in schier endlose Turbulenzen stürzt.
Das Potential für Chaos, ja gar einen grausigen Bürgerkrieg nach irakischem Vorbild, ist durchaus gegeben und wird bewusst vom Regime hochgespielt. Immerhin gleicht Syrien, ähnlich wie der Irak, einem Mosaik unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Die große Mehrheit, etwa 74 Prozent bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams, darunter auch die 1,7 Millionen Angehörige der ethnischen Minderheit der Kurden. Zehn Prozent der etwa 22 Millionen Syrer sind Christen und drei Prozent Anhänger der drusischen Geheimreligion. Zudem beherbergt Syrien auch 500.000 palästinensische und seit 2003 mehr als eine Million irakische Flüchtlinge – eine beträchtliche Belastung für die Sozialstruktur des Landes.

Nach jahrelangen blutigen Machtkämpfen und Umstürzen leitete Hafez el Assad durch einen Putsch 1970 eine Ära politischer Stabilität ein, die weitgehend bis zu Beginn der friedlichen, jedoch blutig niedergeschlagenen Kundgebungen für Freiheit und Demokratie vor zwei Monaten anhielt. Assad stärkte das Machtmonopol der bis heute herrschenden panarabischen Baath-Partei und konzentrierte sein Herrschaftssystem auf Angehörige seiner alawitischen Minderheit.in der Baath-Partei, wie in den Streitkräften. Er baute ein Netz von sich gegenseitig bespitzelnden Geheimdiensten auf und sicherte sich deren Loyalität durch enorme ökonomische Vergünstigungen. Sein Sohn Bashar, der 2000 die Nachfolge antrat, baute, ungeachtet verbaler Kampfansagen gegen Korruption die Vettern- und Günstlingswirtschaft noch weiter aus. Politische Gegner wurden – und werden bis heute – brutal verfolgt, manche verschwanden vor Jahrzehnten ohne Gerichtsverfahren in den Gefängnissen. Das Hama-Gespenst hängt drohend über dem Land. Die Wunden des Massakers, durch das das Regime 1982 in der Stadt Hama einen Aufstand der sunnitischen Moslembrüder niederschlug, sind nicht verheilt. An die 20.000 Menschen dürften damals ums Leben gekommen sein und die Angst vor blutiger Rache der Sunniten sitzt tief unter der alawitischen Herrscherelite und stärkt deren Entschlossenheit, sich mit aller Kraft an die Macht zu klammern.

Heute ist die Macht vollends in den Händen der Familie, sowie einiger Getreuer konzentriert. Als zweitstärkster Mann im Staat gilt der jüngere Bruder Maher, den die EU und die USA nun auf die Liste der syrischen Führer gesetzt hat, die Sanktionen direkt treffen sollen. Denn Maher wird hauptverantwortlich für den Tod von mehr als 800 friedlichen Demonstranten gemacht, die die Kugeln der Sicherheitskräfte trafen. Da es in Syrien keine freien Medien gibt, sind Informationen über Entwicklungen im System spärlich. Doch nach verlässlichen Quellen hält die Familie, ungeachtet möglicher grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Repression und Reformen (für die sich Bashar einsetzt) in der Erkenntnis zusammen, „wenn einer stürzt, stürzen wir alle“. Und dabei wissen sie Geheimdienste und die von alawitischen Offizieren dominierten Sicherheitskräfte hinter sich.

Dennoch kann sich das Regime auch auf Angehörige der sunnitischen Mittelschicht, insbesondere der Geschäftswelt stützen, die durch die Politik der Assads profitierte, während es eine alawitische Unterschichte gibt, die zur schärfsten Opposition des Landes zählt. Denn Syrien ist eines der armen Länder der arabischen Welt und die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefte sich in den vergangenen Jahren dramatisch. So sind es auch die sozialen Nöte, nicht nur die Sehnsucht nach Freiheit und Mitbestimmung, die die Menschen in die Straßen treiben. Laut UNO leben 2,2 Millionen Syrer (11,4 Prozent der Bevölkerung) in extremer Armut, 40 Prozent in illegal gebauten Häusern und 20 Prozent finden keine Arbeit. Die Situation wird sich nun noch verschlimmern, denn nach ersten Schätzungen wird die Wirtschaft aufgrund der Turbulenzen in diesem Jahr um drei Prozent schrumpfen.

Die syrischen Geheimdienste zählen zu den brutalsten in der Region. Politischer Aktivismus erwies sich deshalb in Syrien seit langem als weit gefährlicher als etwa in Tunesien oder Ägypten. Die Baathpartei besitzt Monopol, die einst stärkste Opposition, die Moslembruderschaft, ist durch Repression massiv geschwächt, die Zivilgesellschaft konnte sich bisher kaum entwickeln. Doch auch junge Syrer fanden, wie die Scharen von Gleichgesinnten in anderen Teilen der Region, heißersehnte Ausdrucksmöglichkeit in den sozialen Netzwerken, die etwa wie das inzwischen 170.000 Mitglieder zählende Facebook „Syrian Revolution 2011“ vom Ausland, in diesem Fall von Schweden, aus administriert werden. Unterdessen tauscht eine informelle Armee von Cyber-Aktivisten Informationen aus,. „Syrian Revolution 2011“ und andere rufen die Bevölkerung zu Protesten auf, während Aktivisten vor Ort Aktionen organisieren. Teilnehmer an den Protesten sind Menschen aller Schichten und Altersgruppen. Doch ihre Zahlen schrumpfen mit zunehmender Brutalität des Regimes. Sie haben keine Führer und immer mehr Aktivisten verschwinden im Untergrund, um Massenverhaftungen zu entgehen. Führende Mitglieder des Dissidenten-Netzes sind überwiegend säkulare, liberale Intellektuelle.

Noch haben die Proteste nicht die für das Regime kritische Masse erreicht, die etwa Mubarak in Ägypten die Macht kostete. Denn die Mauer der Furcht, die jahrzehntelang das Regime schützte, ist nicht vollends eingebrochen und Assad tut alles, um sie wieder zu stärken. „Die herrschende Elite wird bis zum Ende kämpfen, in einer Schlacht, die den gesamten Mittleren Osten in Turbulenzen, ja gar einen Krieg stürzen könnte, warnt Rami Makhlouf, enger Vertrauter und Vetter des Präsidenten.

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