Montag, 9. Mai 2011

SYRIEN: Die Situation ist höchst alarmierend

Syriens Regime jagt die Opposition – Die Zahl der Toten und Verhafteten steigt rapide, während Assad auf volle Härte setzt

von Birgit Cerha

Der Donner von schwerem Geschütz und dichter schwarzer Rauch stiegen Montag von Muadhamiya auf, einem westlichen Vorort von Damaskus, den die Armee mit Panzern umringt. Strom und Telefonverbindungen wurden unterbrochen, während die Sicherheitskräfte von Haus zu Haus zogen und unzählige Menschen festnahmen, die sie der Organisation von und der Beteiligung an Anti-Regime Demonstrationen verdächtigen.
Das selbe geschah in einer dramatischen Eskalation der Niederschlagung der Reformen fordernden Protestbewegung in den vergangenen Tagen in der südlichen Stadt Deraa, wo die Demonstrationen Mitte März begonnen hatten, in Homs, in Zentralsyrien, und schließlich am Wochenende in Banias. Diese mediterrane Küstenstadt, mit dem wichtigsten Exporthafen für syrisches Öl, glich Montag nach Aussagen lokaler Menschenrechtsaktivisten einer Geisterstadt, völlig isoliert vom Rest Syriens, ohne Wasser, Strom und Kommunikation. Beobachter berichteten von schweren Schießereien. Abdel Rahman von der „Syrischen Beobachtungsstation für Menschenrechte“ warnt vor einer „humanitären Katastrophe“

Laut syrischen Menschenrechtsaktivisten wurden seit Beginn dieser brutalen Repression mindestens 8000 Menschen festgenommen, darunter mindestens ein zehnjähriges Kind. Die Situation sei höchst alarmierend, warnt der Menschenrechtsaktivist Radwan Ziadeh. „Die Zahl der Toten steigt stetig.“ In den Gefängnissen ist kein Platz mehr. Festgenommene werden in Schulen und andere öffentliche Gebäuden gesperrt. Aktivisten gehen in den Untergrund, während das Regime als Akt der Einschüchterung den krebskranken führenden Oppositionellen Riad Seif verhaftete und wegen der Organisierung von Protesten ohne Genehmigung anklagte.

Nach Schätzungen kamen seit Beginn der friedlichen Proteste vor sieben Wochen an die 800 Menschen ums Leben. Das Regime leugnet dies, begründet die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen friedliche Bürger mit einem Kampf gegen „bewaffnete Banden, der – so betonte Assad am Wochenende in der Zeitung „Al-Watan“ - bald gewonnen sei und dann „werden wir die administrativen und politischen Reformen vorantreiben“.

Zum erstenmal richteten am Wochenende Demokratie-Aktivisten direkte Forderungen an Assad. In einem über Facebook verbreiteten Appell forderte die „Syrische Revolution 2011“ freie Wahlen. „Du (Bashar) wirst der Stolz des heutigen Syrien sein, wenn du das Land von einer Diktatur in eine Demokratie verwandeln kannst. Die Syrer werden dir dankbar sein, und es ist möglich, dies zu tun. Die Lösung ist einfach: Stopp den Beschuss von Demonstranten, gestatte friedliche Demonstrationen, entferne alle deine Bilder, sowie die deines Vaters, lasse alle politischen Gefangenen frei, gestatte politischen Pluralismus und freie Wahlen binnen sechs Monaten.“

Doch Assad – das zeigen die dramatischen Ereignisse der vergangenen Tage nur all zu deutlich – hat sich entschlossen, dem Vorbild und Rat seines engen strategischen Verbündeten Iran zu folgen, der 2009/10 eine das Regime zutiefst erschütternde Massenbewegung für Demokratie und freie Wahlen mit ungeheuerlicher Brutalität schließlich – zunächst? – erfolgreich niedergeschlagen hat. Die kollektive Bestrafung ganzer Städte, Massenverhaftungen, begleitet von aktiv eingesetzten Scharfschützen kann es tatsächlich auch in Syrien, wie im Iran, schaffen, die Barriere der Furcht wieder zu stärken. „Wenn das Regime einen Menschen verhaftet und foltert, jagt es mindestens zehn seiner Freunde panische Angst ein“, erläutert der Dissident Rami Nakhleh. Das ist eine der wichtigen Methoden, angewandt im Iran, auf die sich Assad nun seit zwei Wochen konzentriert und es lassen sich bereits erste Anzeichen neuer Zuversicht in den Kreisen der herrschenden Schichte erkennen.

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