Gewalt gegen Christen gefährdet revolutionäre Errungenschaften in Ägypten – Salafisten im Aufwind – Schlagen Konterrevolutionäre zu?
von Birgit Cerha
Ägyptens Premierminister Essam Sharaf, zutiefst alarmiert über den Tod von zehn Menschen bei blutigen Zusammenstößen zwischen Muslimen und Christen in Kairo berief Sonntag eine Sondersitzung des Kabinetts ein und verschob deshalb eine Reise nach Bahrain und in die Vereinigten Arabischen Emirate, von der er sich wichtige finanzielle Hilfe für die durch die demokratische „Januar-Revolution“ angeschlagene Wirtschaft erhoffte. Während die Sicherheitskräfte 190 Menschen festnahmen, warnte die herrschende Armeeführung „vor schweren Gefahren für Ägypten“.
Die Zusammenstöße, bei denen auch 186 Personen verletzt wurden, hatten begonnen, nachdem sich mehrere hundert Anhänger der islamistischen Salafisten vor der koptischen Sankt Mena-Kirche im Kairoer Bezirk Imbaba die Freilassung einer koptischen Frau forderten, die einen Muslimen geheiratet hatte und zum Islam übertreten wollte. Sie sei – so die Behauptung der radikalen Demonstranten – gegen ihren Willen in der Kirche festgehalten worden. Daraufhin begannen rivalisierende Gruppen Steine und Feuerbomben gegeneinander zu schleudern. Auch Schüsse fielen. Zwei Kirchen und einige nahe gelegene Häuser wurden in Brand gesetzt
Der schwere Zwischenfall stellt das Militärregime vier Monate vor den ersten Parlamentswahlen vor eine schwere Herausforderung, bedroht er doch gefährlich die interne Stabilität und damit die Chance, Ägypten friedlich in eine demokratische Zukunft zu führen. Zugleich versetzt er die koptische Minderheit (rund zehn Prozent der 80-Millionen-Bevölkerung) in Panik, denn er folgt einer Serie von kleineren Gewalttaten gegen die Christen, die mit dem Sturz Mubaraks im Februar erneut begannen und stetig zunahmen. Voll Wehmut blicken Kopten zurück auf die Zeit der nationalen Einigkeit am Tahrir-Platz, wo sie an der Seite ihrer muslimischen Mitbürger friedlich für ein Ende der Diktatur Mubaraks demonstrierten und die Frage der Religionszugehörigkeit ein tabu gewesen war. Die Zeit der Belästigungen durch fanatische Muslime, der Kirchenbrände, die die diskriminierte Minderheit insbesondere im Vorjahr in Angst versetzt hatte, schien vorüber.
Doch mit dem Sturz des Diktators begannen die Schikanen erneut und verheißen den Kopten Unheil. So manche von ihnen befürchten nun, sie seien die „Verlierer der Revolution“ und sie machen dafür die labile Sicherheitssituation im Land, aber auch die Militärführung verantwortlich, die weit weniger hart zum Schutz der Minderheit durchgreife als dies Mubarak getan hatte. Denn es sind u.a. die vom alten Regime hart unterdrückten Salafisten, die von der aufkeimenden neuen Freiheit profitieren, die Kopten attackieren, weil sie Alkohol verkaufen oder ihrer Ansicht nach ihre Wohnung einer Prostituierten vermieten, sowie zuletzt vor der US-Botschaft in Kairo gegen den Tod von Al-Kaida Chef Osama bin Laden demonstrierten.
Die Salafisten, die vor der Revolution kaum in Erscheinung getreten waren, hängen – im Gegensatz zur gemäßigten Massenbewegung der Moslemburderschaft - einer fundamentalistisch-puritanischen Richtung des Islam an, inspiriert von den Wahabiten in Saudi-Arabien. Sie setzen sich für die Verschleierung der Frauen und deren totalen Rückzug aus dem öffentlichen Leben ein, sowie für die Errichtung eines islamischen Staates. Aufgrund massiver Unterdrückung der vergangenen Jahrzehnte haben sie sich vom politischen Leben ausgeschlossen und auch keine öffentlichen Ämter angestrebt. Doch nun halten sie die Beteiligung am öffentlichen und politischen Leben für entscheidend. „Sie krochen aus ihren Höhlen“, erläutert Hala Mustafa von Kairos „Democracy Review“ und verbreiten ihre Ideen über Fernsehkanäle, in der Hoffnung das politische Vakuum, das ihrer Ansicht nach heute in Ägypten herrscht, für ihre Ziele zu nutzen.
Über ihre Stärke im Land gibt es widersprüchliche Ansichten, manche halten sie für Randgruppen, die auch bei den Wahlen keine Chance besitzen werden, andere warnen vor beträchtlicher Anhängerschar insbesondere in ländlichen Regionen.
Manche Kreise, darunter auch koptische Augenzeugen der jüngsten Zwischenfälle, suchen allerdings die Hauptschuldigen der Attacken gegen die Minderheit unter Anhängern des gestürzten Regimes, die Chaos zu verbreiten suchen, um der Konterrevolution zum Sieg zu verhelfen.
Sonntag, 8. Mai 2011
ÄGYPTEN: Koptische Kirchen brennen
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