Bin Laden hinterlässt eine zersplitterte Organisation, deren Ideologie stark an Anziehungskraft verlor – Doch noch ist die globale Terrorgefahr nicht gebannt
von Birgit Cerha
Fast zehn Jahre lang währte die intensive Suche nach dem meistgefürchteten Terrorchef. Doch nun, da eine US-Spezialeinheit Osama bin Ladens in Pakistan habhaft wurde, hätte der Tod des Al-Kaida Führers kaum zu einem besseren Zeitpunkt eintreten können. Denn seine radikale Ideologie hat in der islamischen Welt entscheidend an Anziehungskraft verloren. Die Gefahr, dass dieser für den Tod von Tausenden Menschen verantwortliche saudische Milliardärsohn in den Augen unzähliger junger Jihadis zur „Märtyrerfigur“ aufsteigt, die weltweit frustrierte junge Menschen zu brutalem Töten inspiriert, ist heute so gering wie schon lange nicht mehr. Dennoch: Bin Ladens Tod schockiert seine Sympathisanten, wie diese über ihre zahlreichen sozialen Netzwerke zu erkennen geben. Damit steigt zweifellos kurzfristig die Gefahr von brutalen Racheakten einzelner Fanatiker. Längerfristig aber ist der Mythos eines Mannes geschwunden, der ein Jahrzehnt lang der intensiven Verfolgung durch die schlagkräftigsten Militäreinheiten der Supermacht zu entfliehen vermochte.Der Tod Bin Ladens beschert dem seit dem 11. September 2001 geführten Anti-Terrorkrieg einen entscheidenden Etappensieg, doch er bedeutet noch keineswegs das Ende der Al-Kaida. Ein Nachfolger, der ägyptische Kinderarzt Ayman al Zawaheri, bisher Nummer zwei im Netzwerk, steht längst bereit, wiewohl nun auch rasch die Falle für ihn zuschnappen könnte, haben US-Geheimagenten vielleicht wichtige Hinweise auf Zawaheris Verbleib in Bin Ladens luxuriösem Versteck in Pakistan sichergestellt.
Praktische Auswirkungen auf potentielle Aktionen von Al-Kaida inspirierter Terrororganisationen aber dürfte Bin Ladens Ende kaum zeigen. Seit zehn Jahren stetig auf der Flucht vor US-Luftangriffen, konnten Bin Laden und sein Operationschef Zawaheri zunehmend weniger die Terrorfäden ziehen. Immer mehr entglitt dem Herz des Netzwerkes die Planung größerer Gewalttaten, während die Führung zugleich sich zunehmend in die Isolation manövrierte, aus Sicherheitsgründen weder telefonisch, noch per Internet oder andere elektronische Medien mit Anhängern kommunizierte und sich fast ausschließlich auf primär über „Al Jezira“ verbreitete Videobotschaften beschränkte, die einige Zeit freilich durchaus Propagandawirkung unter frustrierten jungen Muslimen erzielten.
Doch die Al-Kaida, der 2001 der spektakuläre Terrorakt in den USA gelang, ist längst nicht mehr dieselbe. Die lange im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet stationierte Zentrale ist dank konstanter US-Luftangriffe seit Jahren empfindlich geschwächt. Die Organisation mutierte zu einem Netzwerk voneinander völlig unabhängiger Zellen, die eigenständig agieren und sich höchstens ideologisch beeinflussen lassen. Wenn Bin Laden sich vor allem als Symbolfigur verstand, so hat er seine Aufgabe vollführt: Seine von erbitterten Haß auf den Westen inspirierte Ideologie und seine massenmörderische Strategie hat das Al-Kaidanetz weithin durchsetzt. Doch völlig unabhängig von ihrem inzwischen getöteten Chef agieren die „Tochtergruppen“: allen voran die „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ mit Sitz im Jemen, die laut US-Geheimdienst heute zur weitaus gefährlichsten Gruppe aufgestiegen ist, gefolgt von der „Al Kaida im islamischen Maghreb“, die die marokkanischen Behörden etwa nun verdächtigen, hinter dem Terrorakt in der Vorwoche in Marrakesch zu stehen, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen. Beide Gruppen, wie auch kleinere Zellen, kämpfen mit wachsenden Problemen, Anhänger und Aktivisten zu rekrutieren.
Denn schon vor Beginn des „arabischen Frühlings“, der gewaltlosen Rebellion gegen die Diktatoren der Region, stand fest, dass Bin Laden sich nicht zum Sprecher der perspektivlosen arabischen Jugend zu erheben vermochte. Insbesondere die ungeheuren Exzesse der Al-Kaida im Irak fügten dem Ansehen ihres Gründers auch unter der neuen arabischen Generation, geschweige denn den älteren, enormen Schaden zu. Die erstaunliche Massenbewegung friedlicher, freiheits- und demokratiehungriger Menschen, die in Ägypten und Tunesien in wenigen Wochen schafften, was Bin Laden mit Hilfe blutigen Terrors seit mehr als einem Jahrzehnt zu erreichen suchte – den Sturz der Autokraten – drängte die Al-Kaida Ideologie vollends an den Rand der politischen Szene in diesem Teil der Welt. Der friedliche Kampf um Demokratie, Mitbestimmung und Menschenrechte steht in krassem Widerspruch zu Bin Ladens Lehren und angepriesener Methodik. „Demokratie, dieses westliche Produkt, kann nur nicht-religiös sein“, warnte Zawaheri jüngst nach langem Schweigen der Al-Kaida Führer angesichts der Turbulenzen in der arabischen Welt – Worte, die die moderne Jugend nicht aufnimmt. Dies war der letzte Beweis, dass Bin Laden den Kampf um die arabische Seele verloren hat.
Dennoch können Al-Kaida-Netze kurzfristig in so manchen arabischen Ländern Boden gewinnen, wenn deren Herrscher, wie etwa vor allem in Libyen, Jemen oder Syrien, ihre Staaten in blutiges Chaos schlittern lassen. Doch gelingt es, wenigstens für einige der gravierenden Miseren der Region – politische und soziale – den Weg zu einer Lösung zu finden, dann wird Bin Ladens grausige Botschaft mehr und mehr ungehört verhallen.
Montag, 2. Mai 2011
Ein schwerer psychologischer Schlag für Al-Kaida
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