Tod von Demonstranten in einer Moschee könnte die „Barriere der Angst“ durchstoßen – Auch Assad kämpft gegen eine anschwellenden Protestwelle
Birgit Cerha
Wochenlang schien es, als sei Syrien, eine der brutalsten Diktaturen des Orients, immun gegen die Stürme des „arabischen Frühlings“ der Freiheit. Der junge Präsident Assad, der seinem Volk seiner seiner Machtübernahme vor elf Jahren immer und immer wieder Reformen verspricht, ist weit populärer als andere Diktatoren der Region. Doch nun könnte er rasch die Reste von Vertrauensvorschuss verlieren, die ihm die Syrer zu schenken bereit waren. Denn in der Nacht auf Mittwoch folgten die Sicherheitskräfte jahrzehntelanger Tradition und richteten unter einer protestierenden Menge ein Blutbad an. Die Folgen könnten sich als dramatisch erweisen.
Hunderte von Menschen hatten sich in der Omari-Moschee in der normalerweise schläfrigen süd-syrischen Stadt Deraa versammelt, um eine Serie von Forderungen durchzusetzen, für die sie seit der Vorwoche in den Straßen der 300.000 Einwohner zählenden Stadt demonstriert hatten. Dabei waren bereits fünf Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche verhaftet worden. In der Nacht auf Mittwoch stürmten Sicherheitskräfte die Moschee und schossen mit scharfer Munition in die friedliche Menge. Mindestens sechs Personen starben. Dieses von der empörten Bevölkerung als „Massaker“ bezeichnete Blutbad könnte den Entwicklungen in Syrien eine entscheidende Wende geben, die freiheitshungrigen Menschen ermutigen, die durch jahrzehntelange massive Repression mit Hilfe eines mehr als 40-jährigen Kriegsrechts um das Regime errichtete, allerdings sehr hohe, Barriere der Furcht durchstoßen. „Keine Angst mehr“ lautet denn auch einer der Slogans der in Deraa Demonstrierenden.
Die Syrer quälen die selben Nöte und Frustrationen, die Menschen in anderen Teilen der arabischen Welt in die Revolution trieben und immer noch treiben: weitverbreitete Armut inmitten himmelschreiender Korruption, massive Repression, Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit der Jugend. Ausgelöst wurden die Proteste in Deraa nachdem mehr als ein Dutzend Teenager in der Vorwoche Plakate mit Assads Konterfei überkritzelten und Anti-Regime Slogans an Wände malten. Zunächst wurden zwei Frauen und spätere unzählige Menschen mehr, darunter auch Kinder und Jugendliche verhaftet. Als die Polizei in eine protestierende Menge schoß, schlossen sich an die 20.000 zornige Bürger den Begräbnisfeierlichkeiten der Opfer an.
Die Demonstranten fordern bisher nicht den Sturz Assads, sondern ein Ende der Korruption, demokratische Freiheiten, die Aufhebung des Kriegsrechts, die Freilassung aller politischen Gefangenen. Und sie betonen ihre Entschlossenheit, sich auf friedliche Weise für Veränderung zu engagieren. Doch Assad antwortete mit einer Mischung aus Härte und Entgegenkommen. Er erfüllte das Verlangen der Demonstranten nach Absetzung des Regionalgouverneurs, auch der lokale Polizeichef wurde offenbar abberufen und Gefangene, darunter auch Dutzende Teenager, wurden freigelassen. Doch die Menschen in Deraa ließen sich damit nicht beschwichtigen. Sie fordern grundlegende Veränderungen.
Eine Anwältin, die sich in Damaskus für politisch Verfolgte engagiert aber lieber ungenannt bleiben will, beschreibt die Lage als äußerst angespannt. „Niemand hier wagt es seine Stimme zu erheben“ und dennoch sei es in den vergangenen Wochen in mehreren Teilen des Lands wiederholt zu Protesten gekommen, die jedoch nach alter Tradition rasch von einem massiven Aufgebot der Sicherheitskräfte unterdrückt worden seien.
Deraa liegt in einer Region, in der die sunnitischen Stämme lange weitgehend für Ruhe sorgten und sich – im Gegensatz zu den kurdischen und sunnitisch-islamistischen Unruheregionen nördlich von Damaskus - mit dem alawitischen Minderheitenregime gut arrangierten. Assad versucht nun wohl wieder, die Stammesführer zu beschwichtigen und baut auf deren stabilisierenden Einfluss. Doch ob ihm dies nun gelingt, ist höchst fraglich.
Schon vor den blutigen Ereignissen in Deraa hatten westliche Diplomaten in Damaskus die Ansicht vertreten, dass Assad größeres Unheil für sein Regime nur dann abwenden könne, wenn er endlich rasch so lange wiederholte und nie erfüllte Reformversprechen in die Tat setzt. Dazu könnte es nach dem Blutbad in der Moschee zu spät sein. Zorn und Frustration der Menschen könnte sich auf andere Landesteile ausbreiten.
Mittwoch, 23. März 2011
Syriens Regime schlägt blutig zu
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