Abgesprungene Minister, ehemalige Mitstreiter und freiheitshungrige Idealisten überwiegend aus Ost-Libyen versuchen sich als Alternative zum despotischen Regime aufzubauen
Als eines der größten Probleme beim Militäreinsatz gegen das ums Überleben kämpfende libysche Regime stellte sich westlichen Regierungen die völlige Ungewissheit, wer denn die um ihre Freiheit kämpfenden Menschen überhaupt repräsentiert. Eine wachsende Zahl von Personen tritt nun in den Vordergrund. Sie konzentrieren sich um den am 6. März in der ostlibyschen Stadt Benghazi ins Leben gerufenen Nationalen Übergangsrat (NÜR), der bisher offiziell von Frankreich, Portugal und der Arabischen Liga anerkannt wurde. Nach einigem Zögern entschloss sich der Rat, eine Übergangsregierung zu bilden. Nach Aussagen des Vorsitzenden Mustafa Abdul Jalil bleiben die Namen einiger der unabhängig ihrer politischen Überzeugung bestellten 31 Mitglieder des NÜR aus Sicherheitsgründen geheim. Viele verbergen sich denn auch in den Höhen der „Grünen Berge“, östlich von Benghasi. Diktator Gadafi versuchte zunächst, die Aufständischen als „schmierige Ratten“ und Drogenjunkies abzuqualifizieren, behauptet nun aber, der Rat sei von Al-Kaida-Terroristen unterwandert.
Tatsächlich jedoch bekräftigen die Führer der Opposition ihre Absicht, Libyen so rasch wie möglich zu einer säkularen Demokratie zu führen und diese von der Hauptstadt Tripolis aus zu regieren. Gadafis Gegner legen größten Wert darauf, sich als Repräsentanten aller Libyer zu präsentieren. Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit. Die wichtigsten bisher bekannten Köpfe des Rates, wie der Übergangsregierung gehören der im Nordosten beheimateten Harabi-Stammeskonföderation an, die schon aus der Zeit vor dem von Gadafi geführten Putsch 1969 enge Beziehungen mit Benghazi unterhalten. Auch die beiden abgesprungenen Minister sind Mitglieder dieses Stammesverbandes.
Mustafa Mohammed Abdul Jalil ist Vorsitzender des NÜR und wohl das populärste langjährige Mitglied der Regierung Gadafis. Empört über die Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten schloss sich der 59-jährige Justizminister bereits am 21. Februar den Aufständischen an. 1052 in der ostlibyschen Stadt Bayda geboren, studierte Jalil Arabisch und Islamwissenschaft, arbeitete anschließend als Anwalt im Büro des Staatsanwaltes von Bayda, wurde 1978 Richter und 2002 Präsident des Berufungsgerichts. 2007 wurde er von Gadafi zum Justizminister bestellt. Für Libyer kam sein rascher Abfall vom Diktator keineswegs überraschend, denn dieser zierliche, stille Mann hatte sich im Laufe seiner Karriere insbesondere als Minister nicht vor offener Kritik am Herrscher gescheut. Er bemängelte politisch motivierte Behinderungen der Justiz, klärte hunderte Fälle von unkorrekt durchgeführten staatlichen Landenteignungen auf und vertrat Angehörige von 1.200 politischen Gefangenen, die das Regime 1996 an einem Tag ermordet und deren Leichen einbetoniert hatte. Er setzte Entschädigungen für die Angehörigen durch. Gadafi hat auf diesen „Spion“ ein Kopfgeld von 400.000 Dollar ausgesetzt. Jalil ist kein Revolutionär, er genießt Unterstützung traditioneller Honoratioren und Geistlicher im Osten des Landes. Seine Erfahrung im Regierungsamt und sein Einsatz gegen Ungerechtigkeit verleihen ihm eine gewisse Vertrauenswürdigkeit auch im Westen. Manche sehen in ihm den „Retter Libyens.“
General Abdel Fattah Younis , der zweite Minister, der sich der Opposition anschloß, genießt weit weniger Vertrauen unter den Libyern. Der ehemalige Innenminister gilt als alter „Gadafi-Mann“, lange Zeit die „rechte Hand“ des Diktators und zögert nicht, zu den selben Mitteln zu greifen, die sein Kampfgefährte einzusetzen liebt. So verjagte er auch ausländische Journalisten in seinem Benghazi-Umfeld oder ließ Hotels schließen, um neugierige Ausländer los zu werden. Wegen seiner zwiespältigen Persönlichkeit wurde er auch nicht in den politischen NÜR aufgenommen, sondern, sondern mit dem Kommando über die militärische Einheit des Rates betraut. Seine Aufgabe ist wohl die schwierigste. Er muss aus den Tausenden militärisch untrainierten jungen Männern eine Kampftruppe aufstellen, die eine Invasion West-Libyens durchführen kann. In dieser Funktion steht er auch in ständigem Kontakt mit den Briten.
Mahmoud Jibril wurde vom NÜR zum Premierminister der Übergangsregierung bestellt. Der 59-jährige, der in Kairo und Pittsburgh Ökonomie und Politologie studiert hatte, zählt zu den führenden Intellektuellen der Opposition. Lange Zeit engagierte er sich für das Projekt „Libysche Vision“, das die Grundlage für die Bildung eines demokratischen Staates schaffen sollte. Er unterrichtete an der Universität von Pittsburg einige Zeit strategische Planung, schrieb mehrere Bücher und organisierte Trainingsprogram,e auch über Entscheidungsprozesse in verschiedenen arabischen Landern. 2009 wurde er zum Vorsitzenden der Nationallen Wirtschaftsentwicklungsbehörde ernannt, die direkt dem Premierminister unterstellt ist. Er spielte eine entscheidende Rolle jüngst bei einem gemeinsamen Treffen mit einem anderen NÜR-Mitglied, dem ehemaligen Botschafter in Indien Ali Issawi, Frankreichs Präsidenten Sarkosi zur Anerkennung des NÜR zu überreden.
Ali Tarhouni ist ein prominenter Exil-Libyer, der nun zum Finanzminister der Übergangsregierung ernannt wurde. 35 Jahre lang studierte und lebte er in den USA, wo er bis vor einem Monat an der Universität von Washington Ökonomie unterrichtete. Er resignierte von seiner Professur und schloß sich der Opposition in Benghazi an, um diese in ökonomischen Fragen zu beraten. Er wird unter Gadafis Gegnern besonders geschätzt, weil er nach deren Ansicht wie kein anderer die westliche Mentalität versteht. So sprach er auch als bisher einziger unbequeme Wahrheiten über die Revolutionäre aus, denen es zwar nicht an Geld mangle, doch deren Aktionen er als „chaotisch“ bezeichnet und die sich lediglich auf tausend trainierte und ausgebildete Männer stützen könnten.
Omar Hariri ist als Art Verteidigungsminister im NÜR Younis überstellt. Der heute 67-jährige zählte zu den jungen Offizieren, die gemeinsam mit Gadafi 1969 König Idris stürzten. In einem Interview mit „Globe and Mail“ erinnerte er jüngst an die gemeinsame Jugend in den Streitkräften, als er Gadafi das Autofahren beibrachte. Die autoritären Methoden des jungen Herrschers bewogen ihn jedoch 1975, von Gadafi zum Generalsekretär des Revolutionskabinetts ernannt, mit Offizierskollegen einen Putsch zu organisieren. Der Plan wurde vorzeitig aufgedeckt und von 300 Verhafteten wurden 21, darunter Hariri, zum Tode verurteilt.Es folgten 15 Jahre Gefängnis in Erwartung der Exekution, viereinhalb davon in Einzelhaft. 1990 Hariri in Tobruk unerwartet unter Hausarrest gestellt. Viele Libyer verehren ihn als Helden. Er setzt sich energisch dafür ein libysches Blut zu schonen, das Regime werde schließlich zusammenbrechen, doch Gadafi, so betont er, werde nicht stillschweigend ausscheiden.
Abdul Hafez Ghoga ist Jurist, der sich auf die Verteidigung politischer Gefangener spezialisiert hat. Ehemaliger Präsident des libyschen Anwaltsvereins, wurde er am 19 Februar kurz nach Beginn der Massenproteste verhaftet, einige Tage später jedoch wieder freigelassen. Er zählte zu einer Gruppe von Intellektuellen, die Gadafi nach dem Sturz Ben Alis in Tunesien und Hosni Mubaraks in Ägypten in sein Zelt nach Tripolis rief, um ihnen in einer 90-minutigen Audienz seine Position darzulegen: Die beiden langjährigen Herrscher hätten den Sturz verdient, doch in Libyen stünde das Volk voll hinter seinem Führer und hege keinerlei Wunsch nach derartigen Freiheiten wie sie die Libyer oder Tunesier forderten. Ghoga trat gleich nach Gründung des NÜR als deren Sprecher hervor. Seine Kollegen schätzen ihn als ehrlichen Mann mit persönlichem Charisma, der sich um Umgang mit dem Regime nie kompromittiert hätte.
Ahmed al Senussi zuständig für politische Gefangene, ist er im NÜR eine Art Innenminister. Er hatte sich 1970 an einem Putschversuch gegen Gadafi beteiligt und verbrachte 31 Jahre im Gefängnis, viele davon in Einzelhaft. 2001 wurde er aus Anlaß des 32. Jahrestages der Revolution freigelassen. Kein politischer Dissident musste derart lang in Haft ausharren.
Donnerstag, 24. März 2011
Die Motoren der libyschen Revolution
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Wow, nach langer Recherche die *einzige* Seite, die irgendwas zur "libyschen Opposition" darstellen kann.
AntwortenLöschenUnglaublich, da wird eine militärische Operation gestartet, um eine "Opposition" zu unterstützen, und die Völker, in deren Namen die Bomben abgeworfen werden, wissen einen Scheiß, für oder gegen wen da gebombt wird. Und *wollen* es anscheinend auch gar nicht wissen.
Na, vielen Dank für diese kleine Zusammenstellung, werde das Blog mal bookmarken.
Tip: vielleicht nochmal Korrekturlesen, jetzt rein der Form wegen.
Oh, ich seh grad, die Verfasserin, ist/war auch im professionellen Journalismus tätig, das wirkt dann insgesamt doch so glaubwürdig, daß ein paar Typos nicht weiter ins Gewicht fallen. Also kann man den Hinweis aufs Korrekturlesen getrost als Klugscheißerei überlesen ;)
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