Ungeachtet Versprechen der Gewaltlosigkeit, attackieren syrische Sicherheitskräfte wieder friedliche Demonstranten – Ein Test für Assads Glaubwürdigkeit
von Birgit Cerha
Die Demonstrationen, zu denen syrische Aktivisten für Freitag aufgerufen hatten, waren der erste Test für die Glaubwürdigkeit der Reformversprechen Präsident Assads. Und er bestand ihn nicht. In großer Sorge vor einer dramatischen Ausweitung der zunächst auf die südsyrische Stadt Deraa konzentrierten Unruhen auf das ganze Land ließ Assad Donnerstag abend durch seine Beraterin Butahaina Shaaban weitreichende Reformen verkünden. Dazu zählt vorrangig Gewaltlosigkeit. Kein einziger Schuss dürfe auf friedliche Demonstranten abgefeuert werden, beteuerte die Politikerin.
Ein Blutbad in Deraa, wo Zehntausende Menschen seit einer Woche für die Durchsetzung von Reformen demonstriertn, forderte möglicherweise mehr als hundert Tote. Unzählige Menschen sind noch vermisst. Nach Angaben des Dissidenten Ammar Abdulhamid hatte Assad Einheiten seiner für den Schutz des Regimes verantwortlichen Republikanischen Garden unter dem Kommando seines jüngeren Bruders Maher nach Deraa entsandt, um den Demonstrationen ein gewaltsames Ende zu setzen. Offiziell beteuert das Regime, Verbrechergruppen hätten in Deraa gemordet. Dies sollte sich nicht mehr wiederholen.
Freitag kam es in Deraa tatsächlich bei erneuten Protesten zu keinen Zwischenfällen. Anders jedoch in Damaskus. Laut Augenzeugen gingen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vor. Unzählige Personen wurden festgenommen, wiewohl Shaaban Donnerstag abend die Freilassung Dutzender in den vergangenen Tagen Verhafteter zugesagt hatte. In mehreren Landesteilen ließen sich die Menschen nicht mehr einschüchtern und demonstrierten, ungeachtet der Reformversprechen, gegen das Regime.
In den elf Jahren seiner Macht hatte Assad, der als Modernisierer und Reformer angetreten war, unzählige Male den Syrern mehr Freiheit verheißen, doch sie – abgesehen von einer kurzen Epoche des „Damaszener Frühlings“ 2000/2001 - nicht in die Tat gesetzt. Seine Modernisierung beschränkte sich auf ökonomische Reformen. Deshalb reagierten die Syrer auch nun skeptisch. Das Reformpaket klingt zwar eindrucksvoll und kommt den Forderungen der Opposition weitgehend entgegen. Soziale Nöte sollen durch eine 20- bis 30-prozentige Gehaltserhöhung für Staatsangestellten gelindert, neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Ein Komitee aus führenden Mitgliedern des Regimes soll Untersuchungen der Katastrophe von Deraa einleiten. Als Beweis, dass er es ernst meint, entließ Assad den unpopulären Gouverneur und schreckt auch vor Aktionen gegen seine eigene Familie nicht zurück. Der Kommandanten des militärischen Geheimdienstes von Deraa, Zuelhelma Shalish, ein Vetter des Präsidenten, muss seinen Posten in der Stadt räumen.
Doch dass er die anderen Versprechen tatsächlich in die Tat setzt, erscheint vielen Syrern unwahrscheinlich, würde dies doch ein Ende des Machtmonopols der Baath-Partei bedeuten: ein neues Gesetz zum Kampf gegen Korruption (das starke Kräfte im Regime empfindlich treffen würde und deshalb kaum durchzusetzen ist); die Zulassung politischer Parteien, Pressefreiheit und ein Ende willkürlicher Verhaftungen. Doch vom größten Anliegen der Opposition – der Freilassung Tausender politischer Gefangener – ist keine Rede und auch nicht von einer raschen Aufhebung des seit fast 40 Jahren herrschenden Notstandsgesetze, die willkürliche Verhaftung und gewaltsame Zerschlagungen von Protestkundgebungen ermöglichen.
Wenn sich Assad nicht vorbehaltlos für den Weg der Reformen entscheidet, diesen auch gegen die Hardliner im Regime durchzusetzen vermag, und zwar rasch, wird er die zunächst erst zaghaft begonnene Welle der Rebellion nicht stoppen können. Die politische Opposition ist führerlos, zersplittert, ohne Einfluss. Es sind die jungen Syrer, die wie in anderen arabischen Ländern Unfreiheit, Armut, politische Stagnation und Perspektivlosigkeit nicht länger hinnehmen wollen und die mehr und mehr Menschen mit sich reißen könnten. „Syrien gleicht einer Bombe, zur Explosion bereit“, meint denn auch der prominente Dissident Haitham al-Maleh.
Freitag, 25. März 2011
SYRIEN: „Eine Bombe, zur Explosion bereit“
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