König Abdullah versucht, sich von der Revolution freizukaufen, doch viele Saudis wollen kein Geld, sondern Würde und echte politische Mitbestimmung
von Birgit Cerha
Die Wellen der Rebellion, die Nordafrika bis zum Persischen Golf erfasst haben, beginnen auch an die Tore des Hauses Saud zu schlagen. Das politische Erwachen der Araber wirft schwere Schatten auf das größte Ölreich der Welt und rückt mit einem Schlag die schlimmsten Alpträume des Königshauses in den Bereich der Realität. Gleich jenseits zweier Grenzen, im Osten (Bahrain) und im Süden (Jemen) erschallen immer lauter die Rufe nach dem Sturz der Herrscher. Wird Saudi-Arabien folgen?
Tief ins Mark getroffen, öffnete König Abdullah nach seiner Heimkehr von dreimonatigem Spitalsaufenthalt und Rekonvaleszenz die großen Schatullen seines Reichs und verspricht Hilfe an die Jugend, die Arbeitslosen, Unterstützung für Wohnungen und im Kampf gegen die Inflation in Höhe von 35 Mrd. Dollar. Doch nun, da saudische Demokratie-Aktivisten dennoch über Facebook und Handy für kommenden Freitag zu einem „Tag der Revolution“ aufgerufen haben und nach eigenen Aussagen an die 17.000 Zustimmungen erhielten, rückt das Herrscherhaus seine Sicherheitskräfte aus. An die 10.000 Mann wurden in die ölreichen Schiiten-Provinzen im Nord-Osten geschickt, wo es in den vergangenen Tagen, insbesondere nach der vorübergehenden Verhaftung eines prominenten Geistlichen, zu kleinen Demonstrationen gekommen war. Soldaten säumen die Einfahrtsstraßen nach Dammam und anderen Städten. Dass der Funke der nach politischen Rechten schreienden Schiiten in Bahrain auch auf die diskriminierten Glaubensbrüder in Saudi-Arabien überspringen könnte, ist eine der größten Ängste, die das Königshaus quälen.
Deshalb ermahnte auch nun der „Rat der höchsten Geistlichen“, der eine zentrale Rolle im politischen Leben des Landes spielt, die Bevölkerung drohend, das Verbot jeglicher Demonstrationen striktest zu befolgen, so wie es der Koran vorsehe. Dass das Königshaus diese Vorschrift auch mit Gewalt durchzusetzen vermag, hat es schon längst bewiesen. Unvergessen sind die blutigen Ereignisse von 1979, als Regierungstruppen vom Boden und aus der Luft in eine in der Ostprovinz friedlich demonstrierende Menge von Schiiten schoss, Dutzende Menschen tötete und Hunderte verwundete. Und saudische Akademiker können ein Lied singen. Wann immer sie es in der Vergangenheit gewagt hatten, nur ihre Stimme zu erheben, um Reformen zu fordern, folgten Schikanen des Geheimdienstes oder Verhaftungen. Im Jänner wurden im Jeddah an die 50 Personen verhaftet, als sie sich zu einer friedlichen Demonstration für politische Reformen versammelt hatten.
Ob kommenden Freitag wirklich – wie die Facebook-Aktivisten erwarten – an die 20.000 Menschen dem Protestverbot trotzen werden, lässt sich nicht abschätzen. Die Organisatoren jedenfalls planen, Aktivistinnen an die Spitze ihres Protestmarsches zu stellen, in der Hoffnung, die Sicherheitskräfte würden es nicht wagen, auf unbewaffnete Frauen zu schießen.
Das autokratische Herrscherhaus sieht sich einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, die in einen Volksaufruhr explodieren könnten, wenn sie nicht mit Geschick gehandhabt werden. Die Unzufriedenheit über soziale Ungleichheit und ausbleibende politische Reformen halt längst konfessionelle Grenzen überschritten, die schiitische Minderheit mit den Sunniten im Protest geeint. Auch Saudi-Arabien leidet unter einer enormen Generationen-Kluft, ein Phänomen, das die Rebellion in anderen arabischen Staaten angeheizt hat. 47 Prozent der 18-Millionen-Bevölkerung ist jünger als 18, fast 40 Prozent der 20 bis 24-Jährigen finden keine Arbeit. Zugleich wächst das Königshaus mit seinen mehr als 4000 Prinzen, deren Frauen allmonatlich 30 bis 40 Kinder in die Welt setzen, rasant. Jeder Prinz erhält nach einem Gesetz der Königsfamilie eine Apanage von 500.000 Dollar im Jahr, plus zahlreiche andere Vergünstigungen.
Und dennoch zweifelt nur eine kleine radikale Minderheit vom Schlage der Al-Kaida die Legitimität des Hauses Saud an. Die Königsfamilie ist nicht zuletzt wegen ihrer Rolle als Hüter der Heiligsten Stätten des Islams im Volk verankert. Und der 86-jährige König Abdullah genießt Popularität und den Ruf eines – wiewohl zaghaften – Reformers. So hat er die Restriktionen für die Frauen ein wenig gelockert, der willkürlich und oft brutal zuschlagenden Religionspolizei Grenzen gesetzt und die Integration der Frauen in der Arbeitswelt gefördert.
Selbst Prinz Talal bin Abdul Aziz al Saud, inoffizieller Berater des Königs, gesteht offen ein, dass das Land dringend politischer Reformen bedürfe. Die Behörden beachteten die Forderungen der Menschen nicht. In diesem Land könne alles geschehen, warnte der als progressiv geltende Talal jüngst. Im Königreich gibt es kein gewähltes Parlament, keine politischen Parteien und Dissens wird nicht toleriert. Als Anfang Februar zehn Universitätsprofessoren, politische Aktivisten und Geschäftsleute die „Islamische Umma Partei“, die erste politische Partei des Landes, ins Leben riefen, wurden prompt die Gründerväter verhaftet. Sie sitzen immer noch im Gefängnis, weil sie sich geweigert haben, ihre Forderungen nach politischer Reform, einen Dialog mit dem Königshaus und einer Verbesserung des Status der Frauen zurückzuziehen.
Der Versuch des Königs, durch großzügige finanzielle Gaben den Frieden im Land zu erkaufen, stößt unter weiten Kreisen der gebildeten Mittelschicht, insbesondere unter Intellektuellen auf Ablehnung und Empörung. „Wir wollen Rechte, keine milden Gaben“ lautet eine über Twitter verbreitete typische Reaktion. Das Haus Saud begreife nicht, was sein Volk tatsächlich wolle, klagt die saudische Anthropologien und politische Analystin Mai Yamani, nämlich „Würde und eine echte Stimme in der Regierung“, in einer konstitutionellen Monarchie. „Die Al-Sauds glauben immer noch sie nehmen einen Sonderstatus in der arabischen Welt ein. Keine Revolte käme an sie heran Und sollte es jemand auch nur versuchen, werden sie den Worten des Innenministers, Prinz Naif, folgen: ‚ „Was wir (die al-Sauds und Gründer Saudi-Arabiens) mit dem Schwert genommen haben, werden wir auch mit dem Schwert halten.’“
Montag, 7. März 2011
Ist Saudi-Arabien der nächste „Domino“?
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