Sonntag, 13. März 2011

Die treibende Kraft des arabischen Aufbruchs

Frauen stehen an der vordersten Front der Revolten – Werden sie wieder, wie so oft in der Geschichte, um die Früchte ihres Kampfes betrogen?

von Birgit Cerha

In T-Shirts und engen Jeans oder in langen, schwarzen Roben ändern Zehntausende arabische Frauen von Tunis bis Kairo, von Manama bis Sanaa den Lauf der Geschichte. „Frauen spielten und spielen weiterhin eine wesentliche Rolle bei den Revolten (gegen autokratische Herrscher) in der Region. Von größter Bedeutung ist die Tatsache, dass sie in den Straßen in großer Zahl physisch präsent sind. Das ist ein Signal der Hoffnung“, analysiert Nadim Houry von Human Rights Watch die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Wochen im arabischen Raum.


In Tunesien gehörte die erste Stimme der „Jasmin-Revolution“, und eine der kräftigsten zudem, der Schwester von Mohammed Bonazizi, der durch seinen Selbstmord die Revolte gegen Diktator Ben Ali entfacht hatte. Im erzkonservativen Jemen und in Libyen durchbrachen die Frauen soziale Tabus und marschierten mit ihren männlichen Mitbürgern gegen die Diktatoren. „Gemeinsam mit den Männern haben wir geweint und uns über den Sieg gefreut“, sagt die Anwältin Hanaa al-Gallal, die mit zwei anderen Frauen dem im befreiten Benghazi gegründeten oppositionellen Revolutionsrat angehört.

Im Jemen trägt die friedliche Revolte gegen Präsident Saleh das Gesicht der Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman, die sich schon lange gegen Unterdrückung und für Meinungsfreiheit in diesem arabischen Armenhaus engagiert. Seit 2007 setzte sich die dreifache Mutter jeden Dienstag mit Gleichgesinnten vor das Regierungsgebäude auf dem Platz der Freiheit in Sanaa, um das Regime daran zu gemahnen, dass die Zeit des Wandels gekommen ist. Per SMS verbreitete sie Berichte über Menschenrechtsverletzungen an Hunderte Jemeniten, versuchte durch Proteste die Freilassung von Gefangenen zu erwirken und wurde wiederholt selbst inhaftiert. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Organisierung regelmäßiger Protestkundgebungen gegen das Regime über Twitter und Facebook. Im erzkonservativen, unterentwickelten Jemen, wo die Analphabetenrate der Frauen bei 67 Prozent liegt, dominieren die Männer die Demonstrationen. Doch eine staatliche Gruppe von Menschenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, Frauen politischer Gefangener spielen eine wichtige und inspirierende Rolle in diesem Saleh und sein Regime immer mehr in die Enge treibenden Aufbruch.

Auch in Bahrain haben sich Tausende Frauen aller Altersgruppen in schwarzen Roben den Reformrufen angeschlossen und enormen Mut gegenüber den brutal zuschlagenden Sicherheitskräften bewiesen. In Ägypten, wo der Kampf um die Rechte der Frauen in der arabischen Welt schon in den frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Anfang nahm, haben sich zahlreiche junge Aktivistinnen bei der Organisation der Proteste über Facebook und Handy, bei der Hilfe für Verwundete, bei dem unermüdlichen Ruf nach Achtung der Würde ägyptischer Bürger, nach Gerechtigkeit, Freiheit und sozialen Chancen eindrucksvoll hervorgetan.

All diese eindrucksvollen arabischen Persönlichkeiten, diese Aktivistinnen des Aufbruchs widerlegen die von manchen westlichen Medien propagierten Klischees der unterwürfigen, politisch apathischen und stimmlosen arabischen Frau. „Mit der Realität hat eine solches Bild nichts zu tun“, empört sich etwa die ägyptische Politologin Rabab el-Mahdi. Ägyptens Frauen setzten nur fort, was sie von Langem begonnen hätten. „Wir befinden uns mitten in einem Prozeß des Wandels“, einem Modernisierungsprozeß, der allerdings mit kleinen Schritten voran geht. Wissenschafter sprechen seit längerem von einer Trendwende, die sich nicht zuletzt in steigenden Zahlen, wie Alphabetisierung, Dauer der Schulbildung, Frauenerwerbsquote und sinkenden Geburtenraten abzeichnet. 1975 etwa gebar eine Frau in der arabischen Welt im Durchschnitt 7,5 Kinder, 2005 nur noch 3,5. In Ägypten sind mehr als die Hälfte der Universitätsstudenten Frauen. Es sind vor allem jene gut ausgebildeten Frauen, die eine aktivere Rolle in ihren Gesellschaften einnehmen wollen und vor Kritik an autokratischen Herrschern nicht mehr zurückschrecken. Kein Zweifel der arabische Aufbruch wäre ohne die Frauen nicht möglich. Doch ist der Sturz des Autokraten – wie in Tunesien und Ägypten – erreicht, dann beginnt für die Frauen erst der eigentliche Kampf, dann müssen sie hartnäckig einfordern, was sie zunächst nicht tun: ihr Recht auf Partizipation in einem neuen, modernen, demokratischen System. Und dabei gilt es gigantische Hindernisse zu überwinden. Ein Blick in die Geschichte zeigt dies nur all zu deutlich.

In Ägypten hatten die Frauen schon 1919 und dann 1952 entscheidend an Revolutionen mitgewirkt, nur um bei der anschließenden Aufteilung der Macht auf die Seite geschoben zu werden. Ein anderes krasses Beispiel bietet Algerien, wo sich die Frauen in Krieg gegen die französische Kolonialmacht (1954 bis 1962) als Kämpferinnen, Spioninnen, Krankenschwestern, Kommunkationsoffiziere intensiv engagiert hatten. Nach der Befreiung drängten die „revolutionären“ Männer sie wieder zurück in die Heime. Die Iranerinnen, die sich 1978/79 in großen Zahl Khomeinis Revolution gegen den Schah angeschlossen hatten, erlitten ein ähnliches Schicksal. Sie allerdings erkämpften anschließend mit ungeheurem Mut und großer Zähigkeit so manche Freiräume.

Wird sich die Geschichte wiederholen? Werden die Patriarchen des Orients die soziale Revolution, die der politischen unweigerlich folgen müßte, blockieren? In Ägypten lassen sich Alarmsignale erkennen.

(Bild: Nawal al Saadawi)

Noch ist die 80-jährige Nawaal el Sadawi, die ein Leben lang für die Rechte der Frauen in ihrer Heimat gekämpft, nun am Kairoer Tahrir-Platz die Stellung gehalten und die jungen Frauen mit ungebrochener Energie angeleitet hatte, euphorisch. Während der Demonstrationen gegen Mubarak habe sie „zum erstenmal“ in Ägypten gespürt, „dass Frauen den Männern gleich sind. Die Männer haben sie behandelt wie Kolleginnen, nicht als seien sie nur ein Körper.“ Junge Aktivistinnen bestätigen, dass sie keinerlei sexuellen Belästigungen ausgesetzt worden seien – eine bemerkenswerte Entwicklung in einem Land, wo laut ägyptischer Menschenrechtsorganisation 83 Prozent der arbeitenden Frauen über derartige Erfahrungen klagen, eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen hat. Doch kaum war Mubarak abgetreten, fielen so manche Männer nach den Wochen des gleichberechtigten Zusammenlebens auf dem Platz wieder in ihr altes Verhaltensmuster. Ermutigt durch das Errungene schritten junge Aktivistinnen zur Selbsthilfe, gründeten, unterstützt von gleichgesinnten Männern, eine Frauenpolizei. „Wir wollen mit ihrer Hilfe aufklären und auf sexuelle Belästigungen aufmerksam machen“, erläutert die Anwältin Riem Schahin.“Es diszipliniert die Männer, wenn sie merken, dass sie eine starke Reaktion auslösen.“

Doch um das Verhalten der Ägypter nachhaltig zu verändern, bedarf es einer Reform der Gesetze., die immer noch Sexualbelästigungen nicht, „Ehrenmorde“ und Genitalverstümmelungen (die 95 Prozent der Ägypterinnen treffen) nur milde bestrafen und im Familienrecht den Männern die Entscheidungsgewalt über die Frauen einräumen. „Ich wünsche mir, dass der einfache ägyptische Bürger weiß, dass die Rolle der Frau nicht weniger wichtig ist, als die des Mannes in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, betont Schahin. Deshalb auch planen Aktivistinnen nun eine intensive Alphabetisierungskampagne, denn mehr als 40 Prozent der Frauen im Land können immer noch nicht lesen und schreiben und es ist vor allem diese Schichte, die sich oft willenlos dem Diktat der Patriarchen beugt.

Eine Koalition von 63 Frauengruppen wehrt sich entschieden gegen erste Versuche, den Frauen auch im neuen Ägypten den ihnen gebührenden Platz im öffentlichen und politischen Leben zu verwehren. Das vom Höchsten Militärrat, der das Land in einer Übergangsperiode führt, eingesetzten Komitee zur Verfassungsreform sei – so Saadawi – ein „Club der alten Männer“, in dem nicht keine einzige Frau sitzt. Auch der neuen Regierung gehört nur eine Ministerin an, die zudem von Mubaraks Kabinett übernommen wurde. Die Frauen fordern die Aufnahme mindestens einer Anwältin in das Verfasssungskomitee und sie zeigen sich höchst irritiert über einen neuen Passus, der die Voraussetzungen für das Amt des Staatspräsidenten so vage formuliert, dass er die Möglichkeit bietet, Frauen von dieser Position auszuschließen.

Es gehe auch darum, betonen die Aktivistinnen, nicht nur mehr Rechte für die Frauen durchzusetzen, sondern sicher zu stellen, dass das bisher Erreichte – Gleichberechtigung im Erbrecht und bei Scheidungen etwa - nicht wieder aufgegeben werde. Der wahre Kampf beginnt erst jetzt, damit der Traum von einem freien, gleichberechtigten Ägypten in Erfüllung geht.

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