Freitag, 18. März 2011

ÄGYPTEN: Von der Revolte zum Referendum

Ägyptens Demokratie-Aktivisten befürchten die Wiederbelebung des Mubarak-Regimes, mit Unterstützung der Moslembruderschaft

vin Birgit Cerha

Kaum mehr als ein Monat nach dem Sturz Präsident Mubaraks sind 40 Millionen Ägypter vom herrschenden Militärrat aufgerufen, den ersten entscheidenden Schritt zu einem „neuen Ägypten“ zu setzen. Eine Verfassungsreform wird heute, Samstag, dem Volk zur Abstimmung präsentiert. Sie soll den Weg zu Parlaments- und anschließenden Präsidentschaftswahlen ebnen und ein Ausscheiden der Streitkräfte aus dem politischen Geschehen garantieren.

Das Referendum aber spaltet die Massenbewegung, die in nur wenigen Wochen den Autokraten, der Ägypten drei Jahrzehnte beherrscht hatte, von der Macht fegte. 50 politische Gruppen informierten den Militärrat in einem Brief von ihrer Kampagne für ein „Nein“ zu den Verfassungsreformen. In ihren Websites, in Facebooks, die so eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung der Massen gegen den Diktator gespielt hatten, dominieren nun Videos und Kommentare, die das Volk vor einer Neubelebung des autokratischen Systems warnen. Fast alle prominenten Persönlichkeiten der Opposition, von Mohammed el-Baradei über Amr Moussa, die beide ihre Kandidatur für die Präsidentschaft angemeldet haben, bis säkulare Demokraten wie Ayman Nour haben ihr „Nein“ zu den Reformen angekündigt.

Hingegen wirbt Ägyptens bestorganisierte Oppositionsbewegung, die Moslembruderschaft, entschieden für ein „Ja“, ebenso stimmen Menschenrechtsaktivisten und Wirtschaftskreise den Reformen zu. Ein Teil der ägyptischen Geschäftswelt beklagt die starke Zunahme der Kriminalität seit dem Sturz Mubaraks und sehnt sich nach einem Ende des politischen Vakuums und einer raschen Rückkehr zur Normalität. Moslembrüder argumentieren, ebenso wie Menschenrechtsaktivisten mit der Notwendigkeit eines raschen Endes der Militärherrschaft. Einflussreiche Blogger wie Alaa Abedelfattah oder der Anwalt Ahmed Seif klagen, dass die Streitkräfte ihre Machtbefugnisse verletzt haben, insbesondere, da sie Zivilisten durch Militärgerichte aburteilen. Ein „Ja“ zu den Verfassungsreformen würde die Macht der Armee rasch beenden.

Ein vom Militär bestelltes Komitee hat in nur zehn Tagen die Änderung von neun Verfassungsartikeln erarbeitet. Diese Reformen, die einen der Grundsteine für ein neues Ägypten legen sollen, wurden der Bevölkerung drei Wochen lang zur Diskussion vorgelegt. Viel zu kurz klagt die Opposition, die zudem den Ausschluss vieler Sektoren der Gesellschaft aus dem Komitee bemängelt. Die Hauptkritik konzentriert sich aber darauf, dass nur wenige von der Opposition geforderte Veränderungen durchgeführt wurden, wie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Vierjahres-Perioden (Mubarak hatte drei Jahrzehnte lang geherrscht), eine Lockerung der krassen Einschränkungen von Kandidaturen, sowie Überwachung der Wahlen durch Juristenteams. Vor allem aber wurden die außerordentlichen Machtbefugnisse des Präsidenten beibehalten. „Es ist die Verfassung einer Diktatur“, klagt Baradei. Sie werde einen „neuen Mubarak“ hervorbringen. Und die Demokratie-Aktivisten werten das neue Dokument als „Verrat an ihrer Revolution“.

„Facebook“, das sich zu einem wichtigen Stimmungsbarometer am Nil entwickelt hat, wird überschwemmt von Kommentaren, die die Sorge darüber ausdrücken, dass sich der Militärrat zu einer Machtkonstellation aus Mitgliedern der drei Jahrzehnte lang herrschenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP) Mubaraks und der Moslembruderschaft entschlossen hat, weil er darin eine größere Chance auf Stabilität sieht als in einem Aufstieg der jungen Demokratie-Aktivisten, die keinerlei politische Erfahrung besaßen und deren wahre Absichten nicht klar seien.

Tatsächlich würde nach dem vom Militärrat vorgesehenen, von vielen Aktivisten, von Baradei, wie Amr-Moussa heftig kritisierten Szenarium die binnen einen halben Jahres geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Chancen neuer Parteien, die sich erst organisierten müssten gegenüber der NDP und den Moslembrüdern enorm schwächen. Aus den Wahlen würde ein von den „Brüdern“ dominiertes Parlament hervorgehen, das weitere geplante Verfassungsreformen nach seinen Vorstellungen gestalten und die Chancen auf eine liberale, säkulare Demokratie zunichte machen würde.

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