Höhepunkt jahrelangen Terrors gegen Christen, der ein Ende dieser alten Religionsgemeinschaft im Irak heraufbeschwört
von Birgit Cerha
„Die Operation war erfolgreich“, triumphierte Abdul-Qadr al-Obeidi, Iraks Verteidigungsminister, nachdem Montag Früh ein vierstündiges Geiseldrama in einer der größten christlichen Kirchen Bagdads zu Ende gegangen war. Alle acht Terroristen waren getötet worden, doch mit ihnen fast die Hälfte der Geiseln. Vier Stunden lang hatten Extremisten, die sich zum irakischen Zweig der Al-Kaida bekannten, mehr als hundert Gläubige in der katholischen Kirche „Our Lady of Salvation“ als Geisel genommen und über Handy einer lokalen TV-Station ihre Forderungen nach Freilassung im Irak inhaftierter und in Ägypten festgehaltener Gesinnungsgenossen gefordert. Die Verhandlungen mit den offenbaqr nicht-irakischen Terroristen scheiterten. Daraufhin stürmten irakische Sicherheitskräfte, von US-Militärs unterstützt, das Gotteshaus. Mehr als 50 Menschen verloren in dem Blutbad ihr Leben. Der „Islamischer Staat des Iraks“ bekannte sich Montag zu dem Anschlag und setzte ein Ultimatum von 48 Stunden für die Freilassung von zwei angeblich von der koptischen Kirche in Ägypten festgehaltenen christlichen Frauen, die zum Islam übergetreten waren.
Zahlreiche Augenzeugen des Blutbades zeigten sich zutiefst empört über das Vorgehen der Sicherheitskräfte, die zu lange gezögert und dann das Leben von so vielen unschuldigen Menschen geopfert hätten. Scharfe Kritik an der Inkompetenz der irakischen Einheiten wurde ebenso laut, wie der Verdacht, dass terroristische Infiltranten ein effizientes Vorgehen unmöglich gemacht hätten.
Es war bei weitem der blutigste Anschlag auf die ohnedies schon zutiefst eingeschüchterte christliche Minderheit des Iraks. Seit vielen Monaten appellieren christliche Führer an den irakischen Regierungschef, an die US-Militärführung, an den Westen, für größeren Schutz der tödlich bedrohten Christen zu sorgen. Vergeblich. So war offensichtlich auch die Kirche „Our Lady of Salvation“ unzureichend geschützt. Laut irakischer Verfassung hat der Staat für die Möglichkeit der freien Religionsausübung der Minderheiten zu garantieren.
Christliche Führer klagen seit Monaten, dass ihre Gemeinschaft zu den Hauptleidtragenden des seit den Parlamentswahlen im März bestehenden Machtvakuums zählt. Tatsächlich werden Christen zunehmend Opfer in dem immer mehr gewaltsam ausgetragenen Ringen um Macht und Einfluß in einem Land, das es auch nach neun Monaten noch nicht schaffte, eine Regierung auf die Beine zu stellen.
Die Christen im Irak können ihren Ursprung bis auf das Jahr 35 n.Chr. zurückverfolgen, als der Apostel Thomas den Glauben in das Zweistromland brachte. Sie sind heute überwiegend Chaldäer, autonom vom Rom, erkennen jedoch die Autorität des Papstes an. Die zweitgrößte Religionsgemeinschaft ist jene der assyrischen Christen, der vor allem Nachkommen der alten assyrischen und babylonischen Reiche angehören. Assyrer sind auch Mitglieder der Syrisch Orthodoxen Kirche.
Hatte das säkulare Regime des Diktators Saddam Hussein die Christen, die seit Generationen in Harmonie mit der muslimischen Mehrheit gelebt hatten, weitgehend von seinem Terror verschont, so änderte sich die Situation für die Minderheit mit dem Sturz des Despoten radikal. Bei einer Synode nahöstlicher Bischöfe Mitte Oktober in Rom beschuldigte der Syrische Erzbischof Athanase Matoka von Bagdad unverblümt die USA, durch die von ihnen 2003 angeführte Invasion des Iraks dem Land und insbesondere den Christen „Zerstörung und Ruin auf allen Ebenen“ gebracht zu haben. Die christliche Gemeinde des Landes ist von mehr als einer Million 1991 auf etwa 300.000 geschrumpft und der Exodus hält an. „Wo ist das Weltgewissen“ sprach der hohe Geistliche eine Frage aus, die viele Christen des Iraks quält. „Wir fragen die Großmächte: Ist es wahr, dass es einen Plan gibt, die Christen aus dem Mittleren Osten zu vertreiben und der Irak das erste Opfer ist?“
Die allgemeine Unsicherheit, die alarmierende Zunahme islamistischen Radikalismus seit 2003 stürzte die Christen in eine äußerst verzweifelte Lage: An die 200.000 suchten bisher in der relativ sicheren autonomen Kurdenregion Zuflucht. Besonders schlimm ist die Situation in den Städten, in denen sich die christlichen Gemeinden konzentrieren, wie vor allem Bagdad und Mosul. In dieser nördlichen Stadt wurden in den vergangenen drei Jahren nicht nur Hunderte Christen ermordet, sondern 2008 sogar der Erzbischof, Faradsch Raho, entführt. Nur sechs Monate, nachdem seine Leiche gefunden worden war, ermordeten islamistische Terroristen auch seinen Nachfolger. Entführungen von Christen zur Erpressung hohen Lösegeldes, Morde, Vertreibungen aus ganzen Stadtvierteln, Attacken auf Kirchen und andere christliche Einrichtungen steigern die Ängste der Minderheit zur Panik. Wer kann, flüchtet. Ein Schritt, der nach dem Blutbad von Bagdad noch vielen mehr als die einzige Überlebenschance erscheinen mag.
Bildquelle: Reuter