Warum Ägyptens Regime durch massive Repression und Bestechung den Ausgang der Parlamentswahlen zu garantieren hofft
von Birgit Cerha
Billige Tomaten, in Posters von Kandidaten der regierenden „Nationalen Demokratischen Partei“ (NDP) eingewickelt, machen, auf Lkw beladen, ihren Einzug in die Slums von Kairo. In Ägypten eskaliert die Spannung vor den Parlamentswahlen am 28. November. Die NDP, die das Land beherrschende Partei Präsident Mubaraks, nimmt die Masse der Armen aufs Korn. Bei einer 22-prozentigen Inflation im Sektor der Nahrungsmittel, die den Preis für ein Kilo Tomaten auf 2,8 Dollar pro kg hinaufjagte und die Armen in immer tiefer Verzweiflung treibt, schenkt die NDP nun den sozialen Nöten so vieler betont Aufmerksamkeit. Selbst Präsident Mubarak gestand mit Blick auf dieses starke Wählerpotential, dass die Früchte der wirtschaftlichen Liberalisierung keineswegs alle Ägypter erreicht hätten. Und in seinem Auftrag präsentiert sich die Partei nun als Anwalt der Armen.
Wiewohl die Wirtschaft mit einem siebenprozentigen – und selbst in Zeiten der Weltwirtschaftskrise vier- bis fünfprozentigen – Wachstum rasanten Aufschwung erlebte,, konnten nicht die so dringend nötigen hunderttausenden Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Gegenteil: Die Kluft zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. 40 Prozent der Bevölkerung lebt an oder unter der Armutsgrenze von zwei Dollar im Tag.
Doch werden die Armen der Partei Mubaraks, der ihnen in drei Jahrzehnten keine Hoffnung schenkte, diesmal ihre Stimme geben? Welche Bedeutung besitzt ihre politische Meinung denn überhaupt? Diese Frage stellen sich viele diesmal besonders, da das Regime alles unternimmt, um seine unumschränkte Macht abzusichern und zu zementieren. Das alles freilich – mit Blick auf den Westen - unter dem Deckmäntelchen der „Demokratie“
Deshalb auch sind 42 Millionen wahlberechtigte Ägypter am Sonntag zu einer demokratischen Übung aufgerufen, die von wahrer Demokratie weit entfernt ist. Traditionell liegt die Wahlbeteiligung am Nil angesichts des so geringen Vertrauens in die wahren demokratischen Absichten des Regimes, bei kaum 25 Prozent. Diesmal könnte es noch weit schlechter ausfallen. Denn noch nie zuvor seit der Machtübernahe Mubaraks 1981 versuchte der Herrscher, einen Wahlausgang durch derart massive Repression Andersdenkender, sowie der Zivilgesellschaft zu garantieren.
Insgesamt hofft eine Rekordzahl von 5.725 Personen, darunter 297 Frauen (für die 64 Sitze reserviert sind) und 80 Kopten in die Nationalversammlung einzuziehen. Die NDP hat 800 Bewerber aufgestellt, die liberale Wafd-Partei 250 und die stärkste, weitaus am besten organisierte, offiziell verbotene, doch tolerierte „Moslembruderschaft“ 135. Diese Bewerber allerdings dürfen – wie bei den letzten Parlamentswahlen 2005 – nur als „Unabhängige“ auftreten. Damals hatten sie allerdings mehr als ein Fünftel der Parlamentssitze erobert. Dies wird ihnen diesmal nicht gelingen. Denn das Regime hat nach einer jahrelangen systematischen Repression gegen seine gefährlichste Opposition nun die Schrauben noch fester zugegezogen. Mehr als tausend Moslembrüder wurden im Vorfeld der Wahlen verhaftet, Kundgebungen von der Polizei gesprengt, Aktivisten mit Knüppeln niedergeschlagen, während NDP-Vertreter gleichzeitig mit Hilfe von Banknotenbündeln Zulauf zu ihrer Partei zu sichern suchen. Die Massenmedien werden geknebelt wie noch nie und die Zivilgesellschaft massiv eingeschüchtert.
Während die Moslembrüder empfindlich geschwächt sind, boykottieren andere Oppositionsparteien, wie die „Nationale Vereinigung für Veränderung“ des heimgekehrten Chefs der Atomenergiebehörde und potentiellen Bewerber um die ägyptische Präsidentschaft, Mohammed el-Baradei, oder die Al-Ghad-Partei Ayman Nours, der bei den Präsidentschaftswahlen 2005 Mubarak herausgefordert hatte, die Wahlen mit dem Argument, sie wollten solch politischer Manipulation keine Legitimität verleihen. Die alte Opposition, wie die Wafd, die linke Tagammu oder die Nasseristen, die ohnedies schon lange jede Überzeugungskraft in der Bevölkerung verloren hat, nimmt zwar an den Wahlen teil, ist aber wegen dieses Schrittes intern zerrissen.
Entschieden hat sich das Regime US-Druck widersetzt, ausländische Wahlbeobachter zuzulassen. Dass auch diesmal, wie vor fünf Jahren, Wähler sogar gewalttätig vor den Wahllokalen „zur richtigen Wahl“ gedrängt werden, ist anzunehmen. Wiewohl kein Zweifel am Ausgang des Wahlausgangs besteht, besitzt diese Farce dennoch Bedeutung. Denn sie soll den Weg für einen komplikationslosen Prozeß zur Übergang der Macht vom alterkränklichen Mubarak auf seinen – bis heute ungeklärten – Nachfolger ebnen. In einem Jahr endet Mubaraks fünfte Amtszeit. Ob der Rais erneut kandidiert bleibt Spekulation. Zu vermuten ist, dass er das Ende einer sechsten Amtszeit nicht mehr erlebt, da er dann über 90 wäre. All diese Ungewissheiten heizen am Nil die Spannungen beunruhigend auf.
Bildquelle: Reuters
Freitag, 26. November 2010
ÄGYPTEN: Tomaten, Knüppel und Banknoten
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