Mittwoch, 29. September 2010

IRAN: Irans heiß umstrittener „Blogvater“

Hossein Derakhshan galt als „Ikone“ der liberalen Jugend, dann als Apologet Ahmadinedschads – nun wurde er zu 19,5 Jahren Gefängnis verurteilt

Das Schlimmste trat zwar nicht ein. Ein iranisches Revolutionsgericht befahl nicht, wie befürchtet, die Exekution des 35-jährigen Hossein Derakshan, sondern verurteilte ihn zu 19,5 Jahren Gefängnis. Doch es ist die weitaus schärfste Strafe, die im islamischen „Gottesstaat“ je gegen einen Blogger verhängt wurde. „Propaganda gegen das Regime“, „Kooperation mit feindlichen Staaten“, „Förderung kontra-revolutionärer Gruppen“, „Beleidigung des Islams und religiöser Persönlichkeiten“, und „Betreiben obskurer Websites“ lauten die Hauptvorwürfe gegen den iranisch-kanadischen Doppelstaatsbürger, der bereits fast zwei Jahre Isolationshaft mit höchst spärlichen Kontakten zu Familie und Anwalt im berüchtigten Evin-Gefängnis von Teheran überstand. Die Möglichkeit der Berufung gegen das Urteil, so heißt es aus Teheraner Justizkreisen, stehe ihm nun allerdings offen.
Diese außergewöhnlich harte Strafe widerlegt wohl ein insbesondere von Exil-Iranern verbreitetes Gerücht, Derakshan hätte sich vom iranischen Regime kaufen lassen, sei vom Freiheitskämpfer zum Apologeten Präsident Ahmadinedschads konvertiert. Die Aktivitäten und Ansichten dieses Journalisten und Bloggers lösten in den vergangenen Jahren viel Verwirrung, Empörung unter iranischen Oppositionellen und Verschwörungstheorien aus. Wer ist Hossein Derakshan und welche Rolle spielte er in dem zunehmend brutalen Machtkampf zwischen den repressiven Theokraten und den sich nach Freiheit sehnenden Iranern tatsächlich. Ein Teil der Antworten auf diese Fragen muss vorerst offen bleiben.
Hossein wuchs als Sohn einer wohlhabenden Familie mit weitreichenden Beziehungen im Iran auf. Er spezialisierte sich auf Computertechnologie und arbeitete 1999 als Journalist und Internet-Kolumnist für eine Reformzeitung in Teheran. Doch er geriet zunehmend in Konflikt mit der staatlichen Zensur und nach einer vom Geheimdienst erzwungenen offenen Entschuldigung für seine Kommentare reiste er im Jahr 2000 nach Kanada aus. In Toronto begann er unter dem Namen „Hoda“ einen Blog, in dem er Iranern Anleitungen erteilte, wie sie mit einfachen Schritten selbst einen Blog in ihrer Muttersprache erstellen können. Er trug damit entscheidend zu einer Explosion der iranischen „Blog-Sphäre“ bei. Bereits 2004 gab es bereits 64.000 Blogs und ein Jahr später an die 100.000. Heute ist Farsi eine der meistgebrauchten Sprachen im Internet. Die Zahl der Blogs wird auf mehr als 700.000 geschätzt und Blogszene lebt fort, ungeachtet massivster Repression durch das Regime insbesondere seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Vorjahr. Nicht zuletzt deshalb meint die Organisation „Reporter ohne Grenzen“, dürfte das Regime nun an Derakshan ein Exempel statuieren, das Blogger nun endlich nachhaltig einschüchtern solle.

Hossein wurde als „Vater“ des iranischen Blogs gefeiert, neun Jahre lang zählte er zu den bekanntesten und einflussreichsten iranischen Bloggern. Er engagierte sich unermüdlich für demokratische Freiheiten, die Achtung der Menschenrechte, kämpfte in seinen Blogs – in Farsi und Englisch - gegen Zensur und Repression. Im Iran wurden seine Seiten gefiltert, doch seine Anhänger fanden immer wieder Wege, um Hosseins Texte zu verbreiten. Auch in westlichen Medien gewann er zunehmend Prominenz. Man präsentierte ihn als „Ikone“ des jungen, liberalen Iran, er durfte seine Gedanken in der Washington Post oder im britischen Guardian darlegen, trat bei Fernsehsendungen auf und bei Kongressen, wo er gegen die Repressionen in seiner Heimat und die Außenpolitik der „Islamischen Republik“ wetterte.

Er beschrieb sich selbst stolz als Atheisten, zugleich vor allem aber als iranischen Patrioten, der der Islamischen Republik durchaus positive Seiten abgewinnen konnte, denn sie trieb seiner Ansicht nach den Iran auf einem postkolonialen Erfolgsweg voran. Er hielt das politische System, ungeachtet aller Kritik, für durchaus reformfähig und dabei sei jede westliche Hilfe abzulehnen.

Als der Konflikt mit dem Westen über das iranische Atomprogramm offen ausbrach, begann sich die Position dieses iranischen Patrioten zu wandeln. Je mehr seine Heimat von Amerikanern und Europäern unter Druck gesetzt wurde, desto mehr wuchs seine Enttäuschung über die westliche Demokratie. Die aggressive Politik US-Präsident Bushs im Mittleren Osten (Palästina, Libanon, Afghanistan und Irak) weckte tiefe Hassgefühle auf die Doppelmoral der verbal Menschenrechte und Freiheit so hoch achtenden politischen Führer des Abendlandes. In seinem englischsprachen Blog stellte er jede Kritik an der iranischen Außenpolitik und dem Präsidenten ein und verteidigte entschieden das iranische Atomprogramm.

Doch Hossein verschrieb sich zunächst einem Kurs der Versöhnung. Diesem Ziel sollten zwei weithin publizierte Besuche in Israel dienen, wo er Ahmadinedschads Verbalattacken den starken Wunsch vieler Iraner nach Verständigung mit dem Judenstaat entgegenzusetzen suchte. Wiewohl im Iran eine Reise in die verhasste „Zionistische Einheit“ mit mindestens zwei Jahren Haft bestraft wird, wagte Derakshan 2008 die Heimkehr, wurde aber wenig später, im November 2008 festgenommen. Zuvor hatte er einen beträchtlichen Teil der iranischen Blog-Gemeinde und Opposition im Exil vor den Kopf gestoßen, als er nicht nur Ahmadinedschad verteidigte, sondern auch heftig Exil-Iraner, die sich für den Sturz des Regimes mit westlicher Hilfe engagierten, attackierte. Dies wurde ihm zum Verhängnis, als er sich mit dem prominenten Iranisten Mehdi Khalaji des Washington Institute for Near East Policy (WINEP), anlegte. WINEP klagte Hossein wegen Ehrenverletzung und forderte zwei Millionen Dollar Entschädigung. Die Anwälte des Instituts ließen kurzerhand den Blog löschen. Ein krasses Beispiel der auch im Westen zunehmenden Verletzungen von Meinungsfreiheit.

Um Derakhshans Verhaftung rankten sich wilde Verschwörungstheorien. Kritiker meinten, er sei in Wahrheit gar nicht festgenommen worden, sondern schreibe im Luxus einer Teheraner Villa Blogs für das Regime gegen die iranischen Reformer. Tatsächlich tauchten Beiträge im Internet auf, die nach Ansicht iranischer Blogger Hosseins Handschrift trugen. Dass das Regime in den Turbulenzen der Präsidentschaftswahlen im Vorjahr Derakhshans Know-hows im Internet bedurfte, steht wohl außer Zweifel. Ebenso gibt es genügend Beispiele dafür, wie Irans Folterknechte solche „Kooperation“ erreichen.

Eine Antwort auf so manche Unklarheiten über die Hosseins wahre Position gab der Blogvater wohl selbst vor einiger Zeit im „Guardian“. Dort schrieb er im Dezember 2006:

„Wenn die USA den Iran attackieren, werde ich, trotz all meiner Probleme mit der Islamischen Republik“ zurückgehen und diese Bastarde bekämpfen….Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie sie ein Bagdad aus Teheran machen.“


Später erklärte er seine Haltungsänderung mit den Worten:

„Je mehr die Konfrontation zwischen dem Westen und dem Iran eskaliert, desto mehr bin ich überzeugt, dass die wahren Probleme des Westens mit dem Iran nicht dessen nukleare Aktivitäten sind oder das Maß an Demokratie, die Menschenrechte oder seine Unterstützung für ‚Terroristen’-Gruppen. … Das eigentliche Problem liegt in der Entscheidung der Islamischen Republik, unabhängig zu sein in einer an fossilen Energiequellen so reichen Region, in der amerikanische Marionetten den Ton angeben. Iran stellt die amerikanische Hegemonie in der gesamten Welt vor ihre größte dauerhafte Herausforderung, und dafür muß er einen Preis bezahlen. Immer mehr säkulare Iraner wie ich es bin kommen zu der Ansicht, selbst wenn sich der Iran zu einem weltweiten Vorbild an Demokratie, einem säkularen und friedlichen System entwickelt, es keinerlei Garantie dafür gibt, dass die USA nicht wieder eine Ausrede dafür suchen, auch diese Regierung zu stürzen….. Ich bin Atheist…. Ich habe Ahmadinedschad nicht gewählt und ich würde alles tun, um ihn auf demokratische Weise zu Fall zu bringen. …. Ich träume von einem offenen, freien, fairen und säkularen Iran, der von kompetenten, repräsentativen Politikern geführt wird und in Frieden mit der gesamten Welt lebt, inklusive Israel. „

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