Ein lange tobender Machtkampf im konservativen Establishment verschärft sich dramatisch: Will sich Ahmadinedschad der Geistlichkeit entledigen?
von Birgit Cerha
Nach mehr als einem Jahr einem für die Familie aufreibenden Tauziehen soll die amerikanische Sprachlehrerin Sarah Shourd in den nächsten Tagen freigelassen werden. Gegen eine Kaution von 500.000 Dollar darf sie sogar das Land verlassen, während ihre beiden Gefährten, die gemeinsam mit ihr wegen illegalen Grenzübertritts festgenommen und unter dem Vorwurf der Spionage bis heute inhaftiert sind, vor Gericht gestellt werden sollen. Shourd ist Opfer eines tobenden Machtkampfes im iranischen Regime, in dem sich nun die beiden Gegenseiten zum Kompromiss der Kaution durchgerungen haben. Ahmadinedschad wollte durch die Freilassung der vermutlich krebskranken Frau vor seiner Reise zur UNO-Generalversammlung nach New York US-Präsident Obama eine Geste der Großmut zeigen, während seine Gegenspieler in der Justiz eben einen solchen erhofften Prestigegewinn verhindern wollten und darauf beharrten, dass nicht der Präsident, sondern Irans Gerichte in solchen Fällen zu entscheiden hätten.
Der Fall lässt klar die Fronten in einem Machtkampf erkennen, der sich seit Jahresbeginn stetig verschärft, seit jener Zeit, als es dem Regime gelungen war, durch ungeheure Repressionen die an seinen Grundfesten rüttelnden demokratischen Gegner der „Grünen Bewegung“ zur – momentanen? – Bedeutungslosigkeit zu verdammen. Als die Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 anschwollen, sich der „Geistliche Führer“ Khamenei entschieden hinter den heftig umstrittenen Ahmadinedschad stellte und dabei zugleich die Reste an Popularität verlor, da schlossen sich die konservativen Fraktionen aus Angst um das Fortbestehen des islamischen Systems zusammen. Doch sobald die unmittelbare Gefahr gebannt war, brachen die Konflikte erneut aus und verschärfen sich stetig mit dem zunehmend provokativen und autoritären Regierungsstil des Präsidenten. Ein jahrelanger Konflikt mit dem Parlament unter dessen pragmatisch-konservativen Präsidenten Ali Laridschani, einem mächtigen und engen Vertrauten Khameneis, spitzt sich derart zu, dass Ahmadinedschad jüngst drohte, er werde sich nicht mehr an seinen nach der Wiederwahl vor den Abgeordneten abgelegten Amtseid gebunden fühlen.
Jüngster Streitpunkt ist die Entscheidung des Präsidenten, außenpolitische „Sondergesandte“ zu ernennen und damit de facto einen parallelen außenpolitischen Dienst aufzubauen, der direkt ihm und nicht – wie das Außenministerium – Khamenei untersteht. Mehr als hundert Abgeordnete unterzeichnete daraufhin einen Protestbrief an den Präsidenten, dem Ali Laridschani vorwarf, nichts zu tun, „um die Probleme des Landes zu lösen“. Ein Appell, den Khamenei auf Drängen Ali Laridschanis und dessen Bruders und Justizchefs Sadegh an Ahmadinedschad zur „Einheit des Regimes“ richtete, stieß auf taube Ohren.
Besonders empört die konservative Fraktion, darunter auch viele Geistliche, die Ernennung von Esfandiar Rahim Mashai zum „Sondergesandten“ für den Nahen Osten. In politischen Kreisen Teherans kursiert der Verdacht, Ahmadinedschad wolle seinen engen Freund und Schwiegervater seines Sohnes zu seinem Nachfolger aufbauen, um sich damit, a la Putin in Russland, weiterhin entscheidenden politischen Einfluss und vielleicht nach vier Jahren Unterbrechung (wie in der Verfassung vorgesehen) die erneute Wiederwahl zum Präsidenten zu sichern. Mashai, dessen Ernennung zum Vizepräsidenten Ahmadinedschad vor einem Jahr aufgrund massiven Drucks des „Führers“ zurücknehmen musste, den er aber demonstrativ zum Chef des Präsidentenbüros und damit zu seinem wichtigsten Berater machte, ist konservativen Kreisen seit langem verhasst.
Er vertritt eine Mischung von liberalen Ideen – setzt sich für Kontakte mit Israel ein oder eine Lockerung der Kleidervorschriften für Frauen – und den okkultischen Glauben an die Rückkehr des „zwölften Imams“ der Schiiten, der seit dem 9. Jahrhundert verschwunden ist und eines Tages wiederkehren wird. Mashai, so die weithin kursierenden Gerüchte, gibt vor, gemeinsam mit Ahmadinedschad direkten Kontakt mit dem „Imam“ zu pflegen. Deshalb bedürfe er und der Präsident nicht mehr der Geistlichkeit, um die Macht im Staate auszuüben.
Während sich Ahmadinedschad vorerst noch loyal zu Khamenei verhält, deuten seine politischen Aktionen darauf hin, dass er sich eine eigene Machtbasis aufbaut. Khamenei steckt in einem Dilemma. Distanziert er sich nun von seinem Schützling, verliert er den Rest an Glaubwürdigkeit und das Parlament zögert – noch -, ein Absetzungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten, dessen Folgen sich nicht absehen lassen.
Bildquelle: AP
Erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 13.09.2010
Montag, 13. September 2010
IRAN: Irans Regime schlittert in eine Sackgasse
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